Michael Baade (Hrsg.)
» Jan Vogeler – Sohn des Malers Heinrich Vogeler
Autor: | Michael Baade (Deutschland, 2007) |
Titel: | Jan Vogeler – Sohn des Malers Heinrich Vogeler |
Ausgabe: | Neu-Ausgabe 2020, KellnerVerlag |
Erstanden: | Entdeckt im Modersohn-Haus in Worpswede/Vom Autor |
Vorspann: Spätestens seitdem ich einige Zeit in Bremen gelebt hatte, war mir das »Künstlerdorf« Worpswede ein Begriff. Nicht nur weil es in der Nähe liegt, sondern weil die Bremer in meiner Umgebung die Künstler aus ihrer näheren Heimat sehr hoch hielten.
Das galt besonders für den weltbekannten Heinrich Vogeler, der als Künstler des Jugendstils begann, sich mit dem 1. Weltkrieg aber zum politischen Künstler wandelte, zum Anhänger der Novemberrevolution, des Sozialismus und der damaligen Sowjetunion. Dorthin floh er unter dem Eindruck des in Deutschland aufkommenden Faschismus, dort lebte und arbeitete sein Sohn Jan, bis er, der Sohn, am Ende seines Lebens in die Heimat seines Vaters, nach Worpswede zurück kehrte. Und es war wieder ein Besuch in Worpswede, der mich völlig überraschend, auf dieses Buch über Jan Vogeler stoßen ließ. Den Mann, den ich in beeindruckenden Philosophievorlesungen einst kennenlernen durfte.
Jan Vogeler war 1923 in Moskau als Sohn des Künstlers Heinrich und dessen 2. Frau Zofia (Sonja) Marchlewskaja geboren. Er lebte 9 Jahre in Berlin Neukölln, nahe der berühmten »Hufeisensiedlung«, einem völlig anderem Neukölln, als das, was heute in reißerischen Schlagzeilen steht.
Die Zeit danach wohnte er mit den Eltern in Moskau. Ab 1942 war er als Dolmetscher und Propagandist in der Roten Armee, ähnlich jung wie ein anderer Deutscher in Rotarmisten-Uniform, Konrad Wolf, Sohn des Autors Friedrich Wolf.
Nach dem Sieg der Sowjetunion über die deutschen Faschisten folgte Jans Studium der Philosophie, gemeinsam mit der späteren Raissa Gorbatschowa, der Frau des Präsidenten von Glasnost und Perestroika. Jan Vogeler wurde erst Doktor und dann Professor an der Lomonossow-Universität Moskau, hielt jedoch auch Gastvorlesungen im Ausland, unter anderem in Leipzig und Österreich.
Vogeler, der Sohn, stand in der internationalen Parteiarbeit, er war der erste in der Sowjetunion, der für Kontakte mit den deutschen Grünen plädierte. Tschernobyl machte ihn zu einem scharfen Kritiker der sowjetischen Politik des Verschweigens und des Mangels an öffentlicher Kritik. Konsequent wurde er Erneuerer im Team Gorbatschows, aktiv für Glasnost und Perestroika. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion erfolgte seine Rückkehr nach Deutschland, zum Lebensende in Worpswede, im Kreis der Familien der Schwestern.
Das ist die Kurzfassung des Lebenszyklus von »VdV«, Jan Jürgen »Vogeler dem Vermittler«, der Zeit seines Lebens zwischen seinen beiden Heimaten, Deutschland und Russland vermitteln wollte.
»VdV«, so die liebevolle, kongeniale Benennung durch den Herausgeber Michael Baade, der dieses schöne Buch aus sorgfältig gewählten Zeugnissen Dritter erstellt hat. Denn nach einem ersten Treffen mit M. Baade durchkreuzte der Tod Jan Vogelers Anfang 2005 den Plan eines ausführlichen Interviews.
Vogeler arbeitete in seinem Leben über Heidegger und Marcuse, setzte sich gründlich mit der bundesdeutschen Politik auseinander. Er übersetzte prominente Redner der KPdSU (Chrustschow-Rede 1956!) und ihrer verbündeten Parteien ins Deutsche, empfängt die erste Grünen-Delegation in der Sowjetunion. Grüne, die er schon 1982 als Bündnispartner bezeichnet hatte. Er übte großen Einfluss auf (west-)deutsche Linke aus, sowohl durch seine Gastprofessuren als auch über die, die ihn als Philosophie-Lehrer kennen und schätzen lernen konnten.
Nachdem er oft im deutschsprachigen Dienst von Radio Moskau mit unorthodoxen Kommentaren auffiel, steigerte er dies in weitsichtiger Nachdenklichkeit anlässlich Tschernobyls. Was damals noch in völligem Kontrast zur offiziellen Reaktion stand, die auf Verschweigen und Verharmlosung setzte.
Jan Vogelers Geschichte ist undenkbar ohne die seines Vaters Heinrich, der Künstler, der die Wanderung der Vogelers zwischen den Welten »Deutschland« bzw. »Sowjetunion« begann, was dieses Buch in wiederholten Rückblicken trefflich widerspiegelt. Es zeigt den großen Sohn eines großen Künstlers, ein kluger Philosoph, Lehrer und Philanthrop, der die Bilder seines Vaters lieber einem Land, einer Stiftung schenkt, als selbst Profit daraus zu schlagen – trotz eigener Altersarmut. Eines so klugen Mannes, der am Ende seines Lebenswegs gesteht, ich habe mich geirrt. Der feststellte, dass 1989 die Sowjetunion keine entwickelte sozialistische Gesellschaft war. Dass sie das Erbe des Stalinismus nicht überwunden hatte und man die technisch-wissenschaftliche Revolution nicht vorhergesehen hatte. Michael Baade ist eine feine Erinnerung an einen äußerst klugen, zutiefst humanistischen und liebenswerten Menschen gelungen, an Jan Vogeler, Künstlersohn und Vermittler – meinen ausdrücklichen Dank dafür nach Rostock.
Besonders lesenswert
Nachtrag: Der Autor zu Leben und Werk Jan Vogelers, der Rostocker Schriftsteller Michael Baade, hat sich schon mit der ersten Ausgabe zu »VdV« verdient gemacht. Sie war seinerzeit unter dem Titel »Von Moskau nach Worpswede – Jan Vogeler – Sohn des Malers Heinrich Vogeler« im Jahre 2007 im Ingo Koch Verlag erschienen. In Worpswede, im Modersohnhaus hatte ich sie damals entdeckt. 2020 und 2021 sorgte Baade für eine neue Ausgabe, die im Kellner Verlag Bremen erschien, jetzt mit dem Titel »Jan Vogeler – Sohn des Malers Heinrich Vogeler«. Und wieder mit erstaunlichen Quellen, Dokumenten, Fotos und Gemälden von Heinrich Vogeler, besonders schön, dass die überwiegend farbigen Reproduktionen nunmehr auf Kunstdruckpapier besser zur Geltung kommen. Der Autor wies mich auch auf die Gedenkplakette für Jan Vogelers Vater in Berlin Neukölln (Britz) hin, wo er mit Jan einige Jahre gewohnt hatte. Sie ist hier nun integriert.
Die neue Ausgabe war für mich auch Anlass meine ursprünglich im Februar 2017 erschienene Rezension zu überarbeiten. Und wieder fiel mir auf: Was für spannende Menschen, Künstler, Maler, Politiker und ein Philosoph, Heinrich und Jan Vogeler. Man sollte sich an sie erinnern!
2017 rezensiert, 2023 überarbeitet, Heinrich Vogeler, Historisches, Jan Vogeler, Michael Baade, Perestroika, Sowjetunion, Worpswede