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Michael Baade (Hrsg.)
» Jan Voge­ler – Sohn des Malers Hein­rich Vogeler

Autor:Michael Baade (Deutsch­land, 2007)
Titel:Jan Voge­ler – Sohn des Malers Hein­rich Vogeler
Aus­gabe:Neu-Aus­gabe 2020, KellnerVerlag
Erstan­den:Ent­deckt im Moder­sohn-Haus in Worpswede/Vom Autor
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Im Titel­bild der Neu-Aus­abe des Buchs von Michael Baade ist ein Gemälde von Hein­rich Voge­ler ent­hal­ten. Es zeigt sei­nen 11-jäh­ri­gen Sohn Jan 1935, Titel »Kopf eines ski­lau­fen­den Knaben«.

Vor­spann: Spä­tes­tens seit­dem ich einige Zeit in Bre­men gelebt hatte, war mir das »Künst­ler­dorf« Worps­wede ein Begriff. Nicht nur weil es in der Nähe liegt, son­dern weil die Bre­mer in mei­ner Umge­bung die Künst­ler aus ihrer nähe­ren Hei­mat sehr hoch hielten.

Das galt beson­ders für den welt­be­kann­ten Hein­rich Voge­ler, der als Künst­ler des Jugend­stils begann, sich mit dem 1. Welt­krieg aber zum poli­ti­schen Künst­ler wan­delte, zum Anhän­ger der Novem­ber­re­vo­lu­tion, des Sozia­lis­mus und der dama­li­gen Sowjet­union. Dort­hin floh er unter dem Ein­druck des in Deutsch­land auf­kom­men­den Faschis­mus, dort lebte und arbei­tete sein Sohn Jan, bis er, der Sohn, am Ende sei­nes Lebens in die Hei­mat sei­nes Vaters, nach Worps­wede zurück kehrte. Und es war wie­der ein Besuch in Worps­wede, der mich völ­lig über­ra­schend, auf die­ses Buch über Jan Voge­ler sto­ßen ließ. Den Mann, den ich in beein­dru­cken­den Phi­lo­so­phie­vor­le­sun­gen einst ken­nen­ler­nen durfte.

Jan Voge­ler war 1923 in Mos­kau als Sohn des Künst­lers Hein­rich und des­sen 2. Frau Zofia (Sonja) March­lews­kaja gebo­ren. Er lebte 9 Jahre in Ber­lin Neu­kölln, nahe der berühm­ten »Huf­ei­sen­sied­lung«, einem völ­lig ande­rem Neu­kölln, als das, was heute in rei­ße­ri­schen Schlag­zei­len steht.

Die Zeit danach wohnte er mit den Eltern in Mos­kau. Ab 1942 war er als Dol­metscher und Pro­pa­gan­dist in der Ro­ten Ar­mee, ähn­lich jung wie ein ande­rer Deut­scher in Rot­ar­mis­ten-Uni­form, Kon­rad Wolf, Sohn des Autors Fried­rich Wolf.

Nach dem Sieg der Sowjet­union über die deut­schen Faschis­ten folgte Jans Stu­dium der Phi­lo­sophie, gemein­sam mit der spä­te­ren Raissa Gor­bat­schowa, der Frau des Prä­si­den­ten von Glas­nost und Pere­stroika. Jan Voge­ler wurde erst Dok­tor und dann Pro­fes­sor an der Lomo­nossow-Uni­ver­si­tät Mos­kau, hielt jedoch auch Gast­vor­le­sun­gen im Aus­land, unter ande­rem in Leip­zig und Österreich.

Voge­ler, der Sohn, stand in der inter­na­tio­na­len Par­teiarbeit, er war der erste in der Sowjet­union, der für Kon­takte mit den deut­schen Grü­nen plä­dierte. Tscher­no­byl machte ihn zu einem schar­fen Kri­ti­ker der sowje­ti­schen Poli­tik des Ver­schwei­gens und des Man­gels an öffent­li­cher Kri­tik. Kon­se­quent wurde er Er­neuerer im Team Gor­bat­schows, aktiv für Glas­nost und Pere­stroika. Nach dem Zusam­men­bruch der Sowjet­union erfolgte seine Rück­kehr nach Deut­schland, zum Lebens­ende in Worps­wede, im Kreis der Fami­lien der Schwestern.

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Jan Voge­ler mit sei­ner Schwes­ter Bet­tina Mül­ler-Voge­ler vor dem »Haus-im-Schluh« in Worps­wede 1973.
Das Bild ent­stammt der Neu-Auf­lage des Buchs von Michael Baade, S. 302. Zur Ver­fü­gung gestellt von der Hein­rich Voge­ler Stif­tung »Haus im Schluh«, Worps­wede; Nach­lass Jan Vogeler

Das ist die Kurz­fas­sung des Le­benszyklus von »VdV«, Jan Jür­gen »Voge­ler dem Ver­mittler«, der Zeit sei­nes Lebens zwi­schen sei­nen bei­den Hei­ma­ten, Deutsch­land und Russ­land ver­mit­teln wollte.

»VdV«, so die lie­be­volle, kon­ge­niale Benen­nung durch den He­rausgeber Michael Baade, der die­ses schöne Buch aus sorg­fäl­tig gewähl­ten Zeug­nissen Drit­ter erstellt hat. Denn nach einem ers­ten Tref­fen mit M. Baade durch­kreuzte der Tod Jan Vogel­ers Anfang 2005 den Plan eines aus­führ­li­chen Interviews.

Voge­ler arbei­tete in sei­nem Leben über Heid­eg­ger und Mar­cuse, setzte sich gründ­lich mit der bun­des­deut­schen Poli­tik aus­ein­an­der. Er über­setzte pro­mi­nente Red­ner der KPdSU (Chrust­schow-Rede 1956!) und ihrer ver­bün­de­ten Par­teien ins Deut­sche, emp­fängt die erste Grü­­nen-Dele­ga­tion in der Sowjet­union. Grüne, die er schon 1982 als Bündnis­partner be­zeich­­net hatte. Er übte gro­ßen Ein­fluss auf (west-)deutsche Linke aus, sowohl durch seine Gastprofes­suren als auch über die, die ihn als Phi­lo­so­phie-Leh­rer ken­nen und schät­zen ler­nen konnten.

Nach­dem er oft im deutsch­spra­chi­gen Dienst von Radio Mos­kau mit unor­tho­do­xen Kommen­ta­ren auf­fiel, stei­gerte er dies in weit­sich­ti­ger Nachdenk­lich­­keit anläss­lich Tscher­no­byls. Was damals noch in völ­li­gem Kon­trast zur offi­zi­el­len Reak­tion stand, die auf Ver­schwei­gen und Ver­harm­lo­sung setzte.

Jan Vogel­ers Geschichte ist undenk­bar ohne die sei­nes Vaters Hein­rich, der Künst­ler, der die Wan­derung der Vogel­ers zwi­schen den Wel­ten »Deutsch­land« bzw. »Sow­jetunion« begann, was die­ses Buch in wie­der­hol­ten Rück­bli­cken treff­lich wider­spie­gelt. Es zeigt den gro­ßen Sohn eines gro­ßen Künst­lers, ein klu­ger Phi­lo­soph, Leh­rer und Philan­throp, der die Bil­der sei­nes Vaters lie­ber einem Land, einer Stif­tung schenkt, als selbst Pro­fit dar­aus zu schla­gen – trotz eige­ner Alters­ar­mut. Eines so klu­gen Man­nes, der am Ende sei­nes Lebens­wegs gesteht, ich habe mich geirrt. Der fest­stellte, dass 1989 die Sowjet­union keine ent­wi­ckelte sozia­lis­ti­sche Gesell­schaft war. Dass sie das Erbe des Sta­li­nis­mus nicht über­wun­den hatte und man die tech­nisch-wis­sen­schaft­li­che Revo­lu­tion nicht vor­her­ge­se­hen hatte. Michael Baade ist eine feine Erin­ne­rung an einen äußerst klu­gen, zutiefst huma­nis­ti­schen und lie­bens­wer­ten Men­schen gelun­gen, an Jan Voge­ler, Künst­ler­sohn und Ver­mitt­ler – mei­nen aus­drück­li­chen Dank dafür nach Rostock.

Beson­ders lesenswert


Nach­trag: Der Autor zu Leben und Werk Jan Vogel­ers, der Ros­to­cker Schrift­stel­ler Michael Baade, hat sich schon mit der ers­ten Aus­gabe zu »VdV« ver­dient gemacht. Sie war sei­ner­zeit unter dem Titel »Von Mos­kau nach Worps­wede – Jan Voge­ler – Sohn des Malers Hein­rich Voge­ler« im Jahre 2007 im Ingo Koch Ver­lag erschie­nen. In Worps­wede, im Moder­sohn­haus hatte ich sie damals ent­deckt. 2020 und 2021 sorgte Baade für eine neue Aus­gabe, die im Kell­ner Ver­lag Bre­men erschien, jetzt mit dem Titel »Jan Voge­ler – Sohn des Malers Hein­rich Voge­ler«. Und wie­der mit erstaun­li­chen Quel­len, Doku­men­ten, Fotos und Gemäl­den von Hein­rich Voge­ler, beson­ders schön, dass die über­wie­gend far­bi­gen Repro­duk­tio­nen nun­mehr auf Kunst­druck­pa­pier bes­ser zur Gel­tung kom­men. Der Autor wies mich auch auf die Gedenk­pla­kette für Jan Vogel­ers Vater in Ber­lin Neu­kölln (Britz) hin, wo er mit Jan einige Jahre gewohnt hatte. Sie ist hier nun integriert.

Die neue Aus­gabe war für mich auch Anlass meine ursprüng­lich im Februar 2017 erschie­nene Rezen­sion zu über­ar­bei­ten. Und wie­der fiel mir auf: Was für span­nende Men­schen, Künst­ler, Maler, Poli­ti­ker und ein Phi­lo­soph, Hein­rich und Jan Voge­ler. Man sollte sich an sie erinnern!

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Gedenk­ta­fel für Hein­rich Voge­ler (Bild: simon) | Die Metall­ta­fel aus dem Neu­köll­ner Gedenk­ta­fel­pro­gramm, die rechts ein ein­ge­ätz­tes Por­trait­foto Vogel­ers zeigt, ist links neben der Haus­tür befes­tigt, Britz, Ber­lin-Neu­kölln, Onkel-Brä­sig-Straße 138. Ent­hüllt wurde sie am 12. Mai 1995. | Quelle

2017 rezensiert, 2023 überarbeitet, Heinrich Vogeler, Historisches, Jan Vogeler, Michael Baade, Perestroika, Sowjetunion, Worpswede