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Elvira Dones
» Hana

Autorin:Elvira Dones
Titel:Hana
Über­set­zer:Adrian Gia­co­melli
Aus­gabe: Ink Press, 3. Auf­lage 2019
Erstan­den:von mei­ner Tochter

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»Wenn du eine Frau bist und Alba­ne­rin und eine Katho­li­kin aus den Ber­gen mit dei­nem schul­di­gen und von den Kom­mu­nis­ten ver­bann­ten Jesus, bleibt dir nichts ande­res übrig, als jenes Elend zu ver­drän­gen, das zu schlu­cken sie dich gezwun­gen haben, wäh­rend sie es dir als Leben ver­kauf­ten.« (S. 164)

Alba­nien war bis 1990 ein abge­schot­te­ter kom­mu­nis­ti­scher Staat, der in den fol­gen­den Jah­ren aus­ein­an­der­brach. Als Folge davon die bis heute exis­tie­ren­den gro­ßen Unter­schiede zwi­schen Stadt und Land, hier beson­ders die Land­stri­che im Nor­den, in den Ber­gen, wo sich in den vie­len ver­las­se­nen Tälern noch Bräu­che und Tra­di­tio­nen hal­ten, die man eher im Mit­tel­al­ter ver­mu­tet. Auch davon erzählt »Hana«, näm­lich von einer jun­gen Frau, die in den nord­al­ba­ni­schen Ber­gen groß gewor­den ist und im Alter von 19 Jah­ren schwört, Jung­frau zu blei­ben und sich von allem Weib­li­chen los­zu­sa­gen. Wie ist das mög­lich und warum macht sie das? Nach altem alba­ni­schen Gewohn­heits­recht, dem Kanun, kön­nen junge Frauen die Rechte eines Man­nes erhal­ten und ein unab­hän­gi­ges Leben füh­ren, wenn sie schwö­ren, für immer Jung­frau zu bleiben.

Das ist doch mal ein span­nen­des Thema, eine Frau legt ihre Weib­lich­keit ab, erhält alle Rechte eines Man­nes und kann ein unab­hän­gi­ges Leben füh­ren. Ich bin gespannt auf die­sen Ent­wick­lungs­ro­man! Auch weil er mit dem Begriff »queer« als eine Sam­mel­be­zeich­nung für sexu­elle Ori­en­tie­run­gen, die nicht hete­ro­se­xu­ell sind, sowie Geschlechts­iden­ti­tä­ten, die nicht binär oder nicht cis­gen­der sind, nichts, abso­lut gar nichts zu tun hat!

Am 6. Novem­ber 1986 wird Hana zu Mark. Auf das »wie« bin ich oben schon ein­ge­gan­gen, es han­delt sich um ein uraltes alba­ni­sches Gewohn­heits­recht. Aber »warum«? Hana hat als klei­nes Mäd­chen ihre Eltern bei einem Auto­un­fall ver­lo­ren, sie wächst bei ihrem Onkel und ihrer Tante auf, die einige Jahre spä­ter stirbt. Auch ihr Onkel ist tot krank und um zu ver­hin­dern, dass Hana zum Frei­wild für die Män­ner wird, arran­giert er eine Hei­rat, aber Hana wei­gert sich. »Ich will nicht hei­ra­ten und einem Mann gehor­chen müs­sen, ihm noch die Füße waschen. Ich lasse mich nicht ver­skla­ven.« (S. 119). Sie ist eine gebil­dete junge Frau, stu­diert in Tirana an der Uni­ver­si­tät Lite­ra­tur und will sich nichts vor­schrei­ben las­sen. Aber sie fühlt sich ver­pflich­tet, das Andenken an ihre Fami­lie nicht dem Ver­fall preis­zu­ge­ben und damit das alba­ni­sche Gewohn­heits­recht in Anspruch zu neh­men und ein Mann zu wer­den. Dabei weiß sie ganz genau, dass sie damit eine andere, archai­sche Welt betritt, gekenn­zeich­net von Blut­ra­che und dem Leben im Ver­bor­ge­nen und das Wich­tigste: Es gibt kei­nen Weg zurück! 15 Jahre spä­ter begrün­det Hana ihr Ver­hal­ten und sagt: »Es war eine Geste der Liebe.« (S. 235).

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Zu Gast beim ilb: 2021 Elvira Dones © Vasco Dones | Quelle

Hana legt also ihre Frau­en­klei­der ab, zieht die viel zu gro­ßen Hosen und Jacken ihres nun toten Onkels an und wird zum ket­ten­rau­chen­den, trink­fes­ten Mark. »Ein Mann zu sein hat seine Vor­teile. Du machst nichts oder wenig. Die Män­ner rüh­ren meist kei­nen Fin­ger, vor allem nicht, wenn es schneit. Sie ertei­len Befehle, trin­ken, und rei­ni­gen ihre Gewehre. Oder sie machen von ihnen Gebrauch. Seit­dem die Frei­heit bis nach Alba­nien vor­ge­drun­gen ist, hat es viele Tote gege­ben.« (S. 186). Sie lebt 15 Jahre als Mann in den Ber­gen Albaniens.

Der Roman wird nicht chro­no­lo­gisch erzählt, er beginnt im Jahr 2001, Mark/Hana ist auf dem Weg noch Ame­rika, um ihre Cou­sine zu besu­chen und ihre zweite Meta­mor­phose ein­zu­lei­ten, denn Hana ist auch nach mehr als einem Jahr­zehnt als Mark nicht ver­ges­sen. In Rück­blen­den und auch Zeit­sprün­gen wer­den die ver­schie­de­nen Etap­pen aus Hanas Leben erzählt. Ihr Leben als Stu­den­tin in Tirana steht im Vor­der­grund, hier ihr ers­tes Ver­liebt­sein, aber immer mit dem Zwei­fel, ob sie tat­säch­lich gemeint ist. Sie genießt ihre Frei­heit, fühlt sich aber immer auch ihrer Fami­lie verpflichtet.

Bis hier­her ist der Roman also sehr interessant!

Und jetzt sollte es inter­es­sant wer­den, wenn etwas über ihr 15jähriges Leben als Mann im Vor­der­grund steht, wie ist Hana damit umge­gan­gen, ist es ihr schwer gefal­len diese Rolle ein­zu­neh­men? Aber das Leben von Mark wird völ­lig über­sprun­gen. Wir erfah­ren nichts! Wäh­rend die zweite Meta­mor­phose von Mark zurück zu Hana in aller Aus­führ­lich­keit dar­ge­stellt wird. Dabei wird Hana unter­stützt von ihrer Cou­sine Lila und deren puber­tie­ren­der Toch­ter Jolinda, die glaubt, alles bes­ser zu wis­sen, um aus Mark wie­der Hana zu machen, indem sie zum Fri­seur geschickt wird, die Kos­me­ti­ke­rin besu­chen und sich schi­cke Klei­der kau­fen soll. Jetzt wird die Dar­stel­lung so was von ame­ri­ka­nisch, dass ich nur den Kopf schüt­teln kann. Warum muss ich diese Details wis­sen: »Sie trägt eine Hose mit auf­ge­näh­ten Camou­flag-Taschen und ein Sweat­shirt mit Reiß­ver­schluss.« (S. 197). Werde ich dadurch eine Frau, dass ich Frau­en­klei­der trage? Hier bleibt die Erzäh­le­rin völ­lig an der Ober­flä­che, auch wenn sie Hana zum Schluss über Fol­gen­des nach­den­ken lässt: »Selt­sam, aber als sie noch Mark war, konnte sie bes­ser mit Wor­ten umge­hen, sie wog sie ab, betrach­tete sie, polierte sie, strei­chelte sie, und manch­mal löschte sie sie auch.« (S. 229).

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Osmani (80) weiß nicht mehr, wann sie zum Mann wurde. Sie musste sich fru¨h um ihre kran­ken Eltern ku¨mmern. Schon als Kind ver­brachte sie Monate mit den ande­ren Män­nern und den Tie­ren im Gebirge — für eine Frau wäre das nor­ma­ler­weise undenk­bar. ©Pepa Hris­tova | Quelle

Lei­der ist der Roman hier zu ende, wo es tat­säch­lich inter­es­sant wer­den könnte, vor allem auf psy­cho­lo­gi­scher Ebene. Denn irgend­was wird Hana doch von ihrem Mann sein auf ihr neues Frau sein über­tra­gen, oder?

Ins­ge­samt: zu glatt, zu ober­fläch­lich, Cha­rak­tere wer­den kaum gezeich­net, die Bezie­hung zwi­schen Hana, Lila und Jolinda bleibt zu blass, ins­ge­samt zu ame­ri­ka­nisch, obwohl es zum gro­ßen Teil um das alte Alba­nien geht. Hier wie­derum sehr interessant!

Aber, weni­ger lesenswert!

Unterschrift
Mar­gret Hövermann-Mittelhaus

2025 rezensiert, Albanien, Gleichberechtigung, Heimat, Herkunft, Identität, Ink Press, Kommunismus