Kristine Bilkau
» Nebenan
Autorin: | Kristine Bilkau |
Titel: | Nebenan |
Ausgabe: | Luchterhand Literaturverlag, 1. Auflage, München 2022 |
Erstanden: | antiquarisch |
Die letzten Sätze des Romans ›Nebenan‹ von Kristine Bilkau sind die wichtigsten: »Sie (Julia) muss dieses Gefühl bewahren … das Vertrauen in einen anderen Menschen.« (S. 287). Aber wie gelingt es, dieses Vertrauen zu gewinnen? Der Roman handelt von zwei Paaren, Julia und Chris, beide in den Dreißigern, sind aus der Großstadt in den kleinen namenlosen Ort gezogen. Sie ist Keramikerin und eröffnet hier einen Keramikladen, Chris ist Diplombiologie. Julias größter Wunsch ist, schwanger zu werden. Das zweite Paar, Astrid und Andreas, leben schon seit Jahrzehnten in diesem Ort, Astrid betreibt hier noch eine Arztpraxis, ist in den Sechzigern und Andreas ist pensionierter Lehrer. Weitere Personen sind Elsa (Astrids Tante), Marli (Astrids Nachbarin und mögliche Freundin) und Mona (Julias Nachbarin), alle sind auch irgendwie miteinander vernetzt, aber nicht unbedingt vertraut miteinander. Die Erzählerin versucht die Fragen zu beantworten, was eine glückliche Ehe ausmacht, wie es sich lebt auf dem Dorf und wie das soziale Miteinander das Leben beeinflusst. Ich nehme gleich vorweg: Eindeutige Antworten werden nicht gegeben.
Julia hat einen Keramikladen eröffnet, in dem sie die eigenen Produkte verkauft, finanziell scheint sie darauf nicht angewiesen zu sein, sie verkauft eher im Internet. Es ist ihr sogar lästig, wenn Kunden den Laden betreten und sie womöglich ein Verkaufsgespräch führen müsste. So hofft sie meistens, »dass die Tür sich nicht öffnet, wenn jemand am Fenster die Steine, Vasen oder Teller betrachtet.« (S. 130). Das, was ihr Leben bestimmt, ist der Wunsch schwanger zu werden, auch mit medizinischer Hilfe. Sie treibt sich ständig auf online Plattformen herum, um ihre Nöte mit anderen Frauen zu teilen und Tipps zu erhalten, um schwanger zu werden. »Im Forum haben einige Frauen erzählt, es hätte ihnen geholfen, es hätte wahre Wunder bewirkt. Zwei Monate Luna Yoga, Test positiv,« also endlich schwanger (S. 78). Ihre Vorstellungen vom Mutter sein sind sehr romantisch geprägt, auf den Plattformen betrachtet sie ständig Bilder mit ähnlichen Inhalten: »Mother_Mary, was für ein Name, eine Frau steht mit ihren Kindern im frisch verschneiten Garten … der Säugling schläft im Tragetuch, alle haben rosige Wangen.« (S. 53).
Wie sieht das soziale Miteinander in dieser Kleinstadt aus, die geprägt ist von Leerstand, Abriss und damit Trostlosigkeit? Freundschaften werden gesucht, um der Trostlosigkeit zu entgehen, so versucht Astrid die Freundschaft zu ihrer Nachbarin und Freundin wieder aufleben zu lassen, sie nähern sich an, aber gewisse Vorurteile existieren weiter. Also bleibt die Sehnsucht nach Freundschaft unerfüllt? Auch Julia zieht sich immer mehr ins Private zurück und bleibt mit Chris allein. Anfangs waren die beiden begeistert. »Sie haben bisher alles wachsen lassen, den Rasen, die Sträucher, die Brennnesseln in den Beeten … dann haben sie mit dem Rasenmäher hohe Schneisen ins Gras gemäht … und zwei Liegestühle hingestellt.« (S. 8). Aber diese positive Stimmung ändert sich bald ins Negative, nämlich als das Nachbarhaus über einen längeren Zeitraum leersteht und Julia sich Sorgen macht, denn sie hätte Mona mit ihren drei Kindern gerne kennen gelernt. Im Dunkeln versucht sie herauszufinden, ob hier vielleicht ein Verbrechen vorliegt.
Eine Antwort wird uns nicht gegeben, um das angeblich Unheimliche des Romans noch zu unterstützen, das auch in anderen Bereichen auftaucht, wenn z.B. die Ärztin Astrid eine alte, tote Frau in der Badewanne vorfindet und konstatiert, dass sie ein Hämatom am Oberarm hat. Oder wenn Julia ihren Mann bittet, Wäsche nicht zwischen Weihnachten und Neujahr aufzuhängen – Aberglaube! Alles das wird von der Erzählerin nicht weiter aufgeklärt, aber aus dieser Darstellung zu schließen, dass hier eine Verbindung zu den Nachtstücken von E.T.A. Hoffmann zu finden sei Quelle https://taz.de/Neuer-Roman-Nebenan/!5845696/ , halte ich für sehr gewagt. Denn E.T.A. Hoffmann hat Erzählungen über unheimliche Begegnungen, schicksalhafte Wendungen im Leben eines Protagonisten geschrieben, denen dieser sich kaum erwehren konnte. Im Roman ›Nebenan‹ steht jedoch im Vordergrund, dass die Begegnung mit dem angeblich Unheimlichen folgenlos bleibt.
Beide Frauen, Julia und Astrid, wollen dazugehören, aber es gelingt ihnen auf unterschiedliche Weise nicht. Astrid vertraut sich selbst nicht, wenn sie infrage stellt, ob sie als Ärztin immer richtig gehandelt oder nicht doch vieles übersehen habe. Der verinnerlichten Julia gelingt es nicht, sich von ihrer familiären Vergangenheit zu lösen, weil sie nicht aktiv wird, weil sie sich nicht traut die Freundin ihrer Mutter zu fragen, warum diese ihren Mann während der Schwangerschaft mit Julia verlassen hat. Hat Julia Angst vor ihrer eigenen Vergangenheit? Damit schafft sie sich aber selbst beängstigende Verhältnisse, die sie selber auflösen könnte, wenn sie nicht nur warten würde. So resümiert Chris: »Sechs Monate sind wir jetzt hier. Man lernt die Menschen aus dem Ort langsamer kennen, als ich gedacht hätte.« (S. 57). Was suchen die beiden hier in diesem Dorf? »›Wir haben es geschafft, wir sind raus‹, hatte Chris gesagt. Er meinte damit ein Geflecht aus Bedingungen, in dem sie sich gefangen gefühlt hatten.« (S. 26). Glauben sie hier »eine Welt ohne Brüche« (S. 278) zu finden?
Mein Ergebnis ist, dass das beschriebene Dorfleben nicht vom Unheimlichen geprägt ist, sondern die Erzählerin sehr realitätsnah darstellt, wie das Leben auf dem Dorf sein könnte. Das angeblich Unheimliche ordne ich eher dem Blick einer Städterin zu, die nie in einem Dorf gelebt hat.
Eher langweilig!
Margret Hövermann-Mittelhaus
2023 rezensiert, Dorfroman, Kristine Bilkau, Luchterhand Verlag, Schwangerschaft