
Marica Bodrožic
Autorin: | Marica Bodrožic |
Titel: | Pantherzeit |
Ausgabe: | Otto Müller Verlag, Salzburg 2021 |
Erstanden: | antiquarisch |
Der Irmtraud-Morgner-Literaturpreis 2023 wurde am 22. August in Chemnitz feierlich überreicht. Anlass war der 90. Geburtstag von Irmtraud Morgner. Welche Schriftstellerin kann sich mit Irmtraud Morgner messen und hat damit auch den Literaturpreis »verdient«?
Das Chemnitzer Frauenzentrum Lila Villa, das alle fünf Jahre diesen Preis auslobt, hat eine hochkarätige Jury gebeten, die Preisträgerin zu benennen. Hier zunächst die Begründung der Jury: »Ihre fein gewobenen Texte zeugen von überaus scharfsinnigen, weltaufnehmenden und welteinlassenden Beobachtungen und Wahrnehmungen, die stets mit Augenblicken der Erkenntnis einhergehen und deren ‚verwandelnde‘ Kraft wie ein Funke auf den Leser überspringt. Als Grenzgängerin zwischen Kulturen, Sprachen und Gattungen, zwischen Innerem und Äußerem, Realität und Imagination, Körper, Gefühl und Bewusstsein, Fragen und Antworten eröffnet sie begehbare Passagen und bricht die ‚gusseisernen Begriffe‘ – Schablonen, Klischees, Parolen – auf, um sie ins offene Gespräch zurückzuholen.«. Quelle
Marica Bodrožic ist die Preisträgerin 2023!
Nun mein Versuch, eine Verbindung zwischen diesen beiden Schriftstellerinnen herzustellen. Für beide Frauen steht die Gleichheit aller Menschen im Vordergrund, sie haben eine planetare Sicht auf die Welt, betrachten die Utopie »Mensch«. Beide beschäftigen sich mit gesellschaftlichen Fragen, so mahnt Marica Bodrožic ebenso wie Irmtraud Morgner immer wieder die Menschlichkeit an. Irmtraud Morgner ist schon 1990 gestorben, aber wenn es ein fiktives Gespräch zwischen diesen beiden Schriftstellerinnen geben würde, so hätten sie sich viel zu sagen, wurde in der Eröffnungsrede betont.
Marica Bodrožic ist eine mit vielen Auszeichnungen anerkannte Poetin. In ihrem Buch »Pantherzeit« ist die Covid-19-Pandemie der Anlass, sich Gedanken zu machen über sehr persönliche Dinge: das Zusammenleben mit Ihrem Mann, ihre innige Beziehung zu ihrer kleinen Tochter, die Pflanzen auf ihrem Balkon, die neue Blumenerde benötigen, und das eigene Aussehen. Soll der Lippenstift aufgetragen werden, obwohl sie die Wohnung gar nicht verlassen will? Sie sucht während der Pandemie eine Struktur für sich, um Sicherheit zu haben. Denn niemand weiß, wann die Pandemie als beendet erklärt werden kann. Marica Bodrožic ist nicht nur zuversichtlich, sondern auch hoffnungsvoll, dass sich aufgrund dieser gemeinsamen Erfahrung, dass alle Menschen gleich verletzlich sind, sich eine Chance auftun wird, die sie als Motto voranstellt.
»Man verändert die Dinge nicht, indem man gegen die bestehende Wirklichkeit ankämpft. Um etwas zu ändern, muss man ein neues Muster schaffen, das das bestehende hinfällig macht.« (Richard Buckminster Fuller)
Sie hofft, dass eine neue Lernzeit aufgrund der Pandemie entsteht. Für sich selbst hat sie schon festgestellt: »Wenn ich jetzt meine Tochter ins Bett bringe, habe ich keine Pläne mehr im Kopf. Ich denke nicht mehr daran, was ich noch alles erledigen, machen, arbeiten muss, wenn sie eingeschlafen ist.« (S. 45). Aber ist es wirklich so, dass wir Menschen aufgrund gemeinsamer negativer Erfahrungen, wie mit Covid 19, fähig sind zur Umkehr? Werden wir unvernünftiges Verhalten z.B. im ökologischen Bereich ablehnen, um unseren Planeten zu retten? »Ich fühle große Trauer in mir aufsteigen bei der Vorstellung, dass die Autos, der Krach und der Gestank das hier, was wir unsere Erde, unsere Welt und unser Leben nennen, wieder an sich reißen und es dieses Mal, wenn es ihnen gelingt, uns das im Lockdown Erlebte zu vergessen, ganz übernehmen werden.« (S. 180). Das lyrische Ich der Autorin ist hoffnungsvoll, benennt aber sehr deutlich, dass es auch Profiteure der Pandemie gibt: »Heute ist Sonntag in meinem Leben. Nur, welche Rolle spielt Zeit, wenn wir unser Denken aufgeben und noch mehr Menschen sterben und das Gemeinwohl dabei unterwandern, von dem sie selbst profitieren, indem sie es rigoros und ohne jedwedes ethisches Takt- und Verantwortungsgefühl beanspruchen.« (S. 175).

Marica Bodrožic bleibt also in ihrem persönlichen Bereich nicht stehen, sondern assoziiert politische und zeithistorischen Ereignisse. Und dadurch wird ihr Buch für mich sehr interessant. So geht sie z. B. auf das Erdbeben in der kroatischen Hauptstadt Zagreb am 22. März 2020 ein und auf den rassistische Mord an George Floyd in Minneapolis am 25. Mai 2020. »George Floyd, das Corona-Zeitalter hat dich sichtbarer gemacht als alle anderen und unzähligen Opfer rassistischer Gewalt vor Dir. Dein Tod hat das bewirkt, was unzählige andere vorher nicht gezeigt haben: Weltweit stehen Menschen auf und wollen diesen systemischen Rassismus nicht mehr hinnehmen.« (S. 255). Haben wir also mit Corona eine Zeit zu lernen gewonnen? Sollte alles Alte erhalten werden? Warum ist das Alte ein Wert an sich?
»Nach Adidas und der Lufthansa wird nun auch die Deutsche Bank, die einst mit riesigen Krediten den 45. amerikanischen Präsidenten in seinem Fake-Milliardär-Sein unterstützt hat, von der deutschen Regierung gerettet werden. Muss eine Bank, die derart fernab eines jeglichen Ethik-Kompasses agiert, ausgerechnet im Zeichen der unsere Gesellschaft zusammenhaltenden sozialen Ethik gerettet werden? Das Alte zu erhalten ist in diesem Kontext schlicht: dem abgründig Bösen Kraft zu geben.« (S. 239).
Marica Bodrožic schreibt in einer poetisch sehr schönen Sprache, für die man sich Zeit lassen muss. Aufgrund ihrer vielen Hinweise auf Literatur, Philosophie, Ethik, und die sozialen und politischen Ereignisse in Vergangenheit und Gegenwart ist ihr Essay nicht immer leicht zu lesen, aber unbedingt lesenswert. »Man liest dieses Buch mit seinen ganzheitlichen Denkanstößen mit höchstem Gewinn. Marica Bodrožic ist überzeugt, dass gerade in dieser weltumspannenden Krise die Möglichkeit einer neuen Zukunft heraufzieht, dass wir es in der Hand haben, die Welt zu gestalten.« Quelle
Lesenswert!
Margret Hövermann-Mittelhaus
2023 rezensiert, Covid 19, Essay, Irmtraud-Morgner-Literaturpreis 2023, Marica Bodrožic, Otto Müller Verlag, Pandemie, Zeitenwende