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Bri­gitte Rei­mann
» Katja – Erzäh­lun­gen über Frauen

Autorin:Bri­gitte Reimann
Titel:Katja - Erzäh­lun­gen über Frauen
Aus­gabe:Auf­bau Ver­lag 1. Aus­gabe 2024
Erstan­den:Buch­hand­lung Thaer, Friedenau

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Ich habe fast alles von Bri­gitte Rei­mann gele­sen. »Fast« muss ich sagen, weil 2024 der Auf­bau Ver­lag »Katja – Erzäh­lun­gen über Frauen« von Bri­gitte Rei­mann her­aus­ge­ge­ben hat. Es han­delt sich um Erzäh­lun­gen, die bis­her nicht in Buch­form erschie­nen sind. Bei die­sen Erzäh­lun­gen ste­hen Frauen im Mit­tel­punkt, nicht aber ihre Fem­i­ni­tät, son­dern die Aus­sage Bri­gitte Rei­manns, dass die Frauen und Män­ner nach der Qua­li­tät ihrer Arbeit beur­teilt wer­den sollten.

Warum lese ich Bri­gitte Rei­mann so aus­führ­lich? Zum einen, weil ihre Erzäh­lun­gen und Romane über die Lebens­wege von Frauen, geschrie­ben in den 50er und 60er Jah­ren in der DDR, auch aus heu­ti­ger Per­spek­tive sehr aktu­ell und eman­zi­piert sind. Zum ande­ren weil über sie gesagt wird und so emp­finde ich das auch, dass sie »so eine Wärme beim Schrei­ben habe«. Quelle

Bei den von Cars­ten Gan­sel her­aus­ge­ge­be­nen Erzäh­lun­gen ste­hen immer Frauen im Mit­tel­punkt, die The­men jedoch sind sehr unter­schied­lich! Schon 1948 hat Bri­gitte Rei­mann, nach­dem sie gerade das Abitur bestan­den hatte, das kleine Thea­ter­stück »Die Probe« geschrie­ben. Hier hin­ter­fra­gen die Schü­le­rin­nen ihr eige­nes Ver­hal­ten den männ­li­chen Schü­lern gegen­über. Sie müss­ten wohl war­ten, bis sie von den männ­li­chen Schü­lern ange­spro­chen wer­den, um viel­leicht eine Bezie­hung zu knüp­fen. »Aber wenn ein weib­li­ches Wesen so was wagen würde, wäre alles ent­rüs­tet.« (S. 144). Inter­es­sant ist die Reak­tion von Angela: »Und das wird wohl auch keine Frau­en­recht­le­rin jemals abschaf­fen kön­nen, weil es zu tief in allen wur­zelt und zu jeder Zeit als »unweib­lich« gel­ten wird.« (S. 144). Hier ist mir sofort Irm­traud Morg­ner ein­ge­fal­len mit ihrer Kurz­ge­schichte »Kaf­fee ver­kehrt« (1974). Irm­traud Morg­ner dreht das erwar­tete Ver­hal­ten ein­fach um, also ein Rol­len­tausch von Mann und Frau. Hier kann man die Kurz­ge­schichte nach­le­sen. Aber diese Satire hat Bri­gitte Rei­mann nicht mehr ken­nen gelernt, sie ist 1973 an Krebs gestorben.

In der Erzäh­lung »Rei­fe­prü­fung« (um 1952) geht es um Erfah­run­gen, die wir alle schon gemacht haben, wenn die Eltern beto­nen, was die Leute über ein bestimm­tes Ver­hal­ten der Toch­ter den­ken, denn das Wich­tigste sei, nicht aus der Reihe zu tan­zen. »In engen Stra­ßen wach­sen oft enge Anschau­un­gen, und der Gesichts­kreis man­cher Men­schen umschließt nur das eigene Fens­ter und das des Nach­barn. Die Mei­nung der Leute ist wich­ti­ger Fak­tor bei Ent­schei­dun­gen, mag es sich nun um einen modi­schen Som­mer­hut oder um eine unpas­sende Lieb­schaft han­deln.« (S. 11). Den bei­den Jugend­li­chen wird ver­bo­ten sich zu tref­fen. Aber das macht die Lieb­schaft für beide nur noch inter­es­san­ter. Sie wer­fen den Eltern vor, ihre eigene Jugend ver­ges­sen zu haben und die Mut­ter beklagt sich bei Karla: »Du bringst dich und mich in schlech­ten Ruf, wenn ihr ewig zusam­men­steckt.« (S. 13).

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»Ich lebe ein Schein­le­ben, und ich weiß nicht, wann ich wahr­haf­tig ich selbst bin, am Schreib­tisch oder sonst. Ich frage mich, ob all meine Kraft und mei­nen Mut die auf einem Blatt Papier geschaf­fe­nen Men­schen fres­sen, oder ob ich gar keine Kraft und kei­nen Mut habe und sie gerade des­halb mei­nen Gestal­ten gebe, schöne und gute Eigen­schaf­ten, deren ich selbst nicht fähig bin.« | Bri­gitte Rei­mann, Hoyers­werda, am 23.07.1962 | Foto: Lite­ra­tur­zen­trum Neu­bran­den­burg | Quelle

Wer kennt sol­che Aus­sa­gen nicht aus eige­ner Erfah­rung? Karla wird schwan­ger, aber wel­che Ent­schei­dung sie tref­fen wird, erfah­ren wir nicht. Ein Schwan­ger­schafts­ab­bruch ist in der DDR noch straf­bar. Der Arzt ihrer Kind­heit rät ihr: »Bis dahin musst du die Zähne zusam­men­bei­ßen und den Kopf hoch tra­gen.« (S. 39). Er ärgert sich jedoch sofort über sein »hoch­tra­ben­des Geschwa­fel« (S. 39). Er ist dann der­je­nige, der Gesell­schafts­kri­tik übt und zor­nig denkt: »worin denn eigent­lich ver­dammt noch­mal!, die Erzie­hung durch Eltern und Leh­rern besteht, wenn sie dann doch sol­che ahnungs­lo­sen Sech­zehn­jäh­ri­gen auf die Mensch­heit los­las­sen.« (S. 40). Im Nach­wort betont Cars­ten Gan­sel, dass Bri­gitte Rei­mann gewusst habe, wovon sie erzählt, denn auch sie sei vor dem Abitur schwan­ger geworden.

Ich will nicht auf alle Erzäh­lun­gen so aus­führ­lich ein­ge­hen, aber bei allen ste­hen die Frauen im Vor­der­grund. Die Erzäh­lung »Clau­dia Serva« (um 1952) ist eine Eman­zi­pa­ti­ons­ge­schichte, die mit der Aus­sage endet: »Sie (die Men­schen) alle müs­sen ler­nen, mit ihrer Frei­heit etwas anzu­fan­gen, selb­stän­dig über ihr Leben zu bestim­men und die Ver­ant­wor­tung für alle ihre Hand­lun­gen selbst zu tra­gen.« (S. 66).

In der Erzäh­lung »Katja« (1953) wird das Thema schnell auf den Punkt gebracht, wenn Kat­jas Freund betont, die »höchste Auf­gabe der Frau wäre es aber, ihrem Gat­ten und ihren Kin­dern zu leben.« (S. 84). Reak­tion von Katja: »Im Grunde ist deine ganze Hal­tung nur Ego­is­mus, klein­li­cher Ego­is­mus.« (S. 84).

Cars­ten Han­sel geht in sei­nem Nach­wort dar­auf ein, dass Bri­gitte Rei­mann durch­aus als eine moderne Erzäh­le­rin bezeich­net wer­den kann, die sou­ve­rän mit lite­ra­ri­schen Tech­ni­ken umge­hen könne: dem Wech­sel der Zeit­ebe­nen, Per­spek­ti­ven­wech­sel, inne­rem Mono­log und dem Bewusst­seins­strom. (S. 220).

Viele eigene Erleb­nisse ver­ar­bei­tet Bri­gitte Rei­mann in ihren Wer­ken. Ein Satz aus einer der Erzäh­lun­gen trifft viel­leicht gene­rell auf das Leben und das Werk der Erzäh­le­rin zu: »Ich lasse mich nicht zwin­gen« (S. 103).

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Bücher, die aus der Reihe fal­len: Wand­bild für Bri­gitte Rei­mann in ihrer Geburts­stadt Burg, Sach­sen-Anhalt | Foto: IMAGO/imagebroker | Quelle

»Mit ihren frü­hen Erzäh­lun­gen über junge Frauen in der jun­gen DDR hat Bri­gitte Rei­mann auch heute viel zu sagen. Es sind Ori­gi­nal­an­sich­ten einer muti­gen Autorin, die die frühe DDR Geschichte ver­ste­hen las­sen.« Quelle

Sehr lesens­wert!

Unterschrift
Mar­gret Hövermann-Mittelhaus