Andrew Davidson
» The Gargoyle
Autor: | Andrew Davidson (Kanada, 2008) |
Titel: | The Gargoyle |
Ausgabe: | Canongate, GB, 2009 |
Erstanden: | Buchhandlung Volk, Recke |
Der Erstling des Kanadiers Andrew Davidson entpuppt sich als ein intelligent-schrecklicher Fantasy Roman um die Story zwischen einem schwerstverbrannten Rekonvaleszenten und einer exzentrisch-erfolgreichen und psychopathischen Bildhauerin namens Marianne Engel. Die reibt sich in exzessartigen Schaffensprozessen ihrer »Gargoyles« auf, deren Schaffung ihr »von höherer Stelle befohlen wird«. Richtig raffiniert wird es durch die zweite Erzählebene, im 14. Jhdt im deutschen Kloster Engelthal spielend. In der Marianne ihrem heutigen Lover angeblich vor 700 Jahren das erste Mal begegnet ist und aus der Zeit ein Schmucksouvenir sowie zwei sensationelle historische Bücher ihren Weg ins Heute gefunden haben. Manches ist ein bisschen dick aufgetragen, wenn der Titelheld, ein ehemaliger Pornodarsteller und -Regisseur infolge seiner Brandverletzungen fortan penislos dahinlebt. Was die Story erotisch entschärft, aber auch um eine interessante Nuance der Beziehungen bringt. Besser gelingt die Darstellung der aufgrund der langwierigen Behandlung entstandenen Morphin-Sucht, die als »Schlange im Rückgrat« auch typografisch geschickt eingebaut ist. An-derer Charaktere, wie die japanische Therapeutin oder die verständnisvollen Ärzte sind erzählerischer Gewinn, wenn auch fernab der Realität heutiger, der Gewinnmaximierung unterworfener Kliniken.
Unklar geblieben ist mir der Sinn der anderen eingestreuten Geschichten, wenn Sie auch hübsch und im Fall der in Japan spielenden geradezu märchenhaft schön wirkten. Den »Cold Turkey«, also den Morphin-Entzug des Titelhelden, habe ich als unnötig mit schrecklichen Details gepflasterten Abschnitt weitgehend überlesen, das »unnötig« gilt auch für manche Einzelheiten des Autounfalls und der Brandverletzungen des erzählenden Heldens. Was so zum stellenweise stark morbiden Charakter des Buches beiträgt. Viel Wert in den Roman bringt jedoch die nicht zu langatmige Schilderung der langwierigen Widerherstellung schwerst Brandverletzter und ihrer – oft nur teilweisen – Re-Integration als Krüppel in die Gesellschaft bei, Chapeau.
Insgesamt ist Davidson ein schönes Fantasy-Märchen gelungen, das seine Spannung aus der Verquickung mehrer Erzählebenen und dem Einfluss des Mystischen, Unheimlichen bekommt. Ist etwas dran, an der Wiederbegegnung der Hauptpersonen nach 700 Jahren? Ist die Bildhauerin nur Psychopathin oder doch in übersinnlichen Welten zu Hause? Aus denen auch ihre leicht unheimlichen Mensch-Tier-Ungeheuer Figuren, die Gargoyles entspringen? Mit einem spannenden Ende, an dem eine Bildhauerin nach Abschluss ihres Werks aus der Welt geht und dabei manches Rätsel hinterlässt, und einen Mann, der ihr sein wiedergewonnenes Leben verdankt, schließt ein gutteils zauberhafter, manchmal erschreckender, mitunter morbider, aber fast immer spannender Fantasy-Roman. Der genau das tut, was die meisten wohl erwarten: Gute Unterhaltung zu bieten, Anlässe zum Nachdenken zu geben und Alltag und Fantasie angenehm zu verbinden – sehr gute Fantasy eben.
Sehr lesenswert
2016 rezensiert, Andrew Davidson, Kanada, Mittelalter, Wiedergeburt