Swetlana Alexijewitsch
» Zinkjungen
Autor: | Swetlana Alexijewitsch (Weißrussland, 2007) |
Titel: | Zinkjungen |
Ausgabe: | Hanser Berlin, 2014 |
Erstanden: | Buchhandlung Volk, Recke |
Was für ein schweres und eminent wichtiges Buch der weißrussischen Literaturnobelpreisträgerin, die mit mir die Vorliebe für das Literaturhotel in Berlin Friedenau von Christa Moog teilt – auch so kommt man zu Autoren:-) – Das Buch, das im (post)sowjetischen Kulturraum den Lügenschleier über dem sowjetischen Krieg in Afghanistan entfernte, in einer Radikalität, dass es selbst bei den interviewten Protagonisten z.T. nachträglich auf Widerspruch stieß, was bis zum Prozess gegen die Autorin eskalierte. Wobei deutlich wird, dass auch heute noch die Meinungen zu diesem Krieg gespalten sind, viele die Wahrheit nicht wissen wollten oder nicht ertrugen. Der Autorin gelingt es meisterhaft in den Zeitzeugenberichten die Jahre des Niedergangs der Weltmacht Sowjetunion, des inneren Zerfalls, des materiellen Mangels, des Unterlegenheitsgefühls gegenüber westlichem Massenkonsum (dieser Krieg wurde in der Sowjetunion verloren!) mit dem hoffnungslosen, weil imperialen militärischen Abenteuer in Afghanistan zu verknüpfen. Einem Land, was seit Jahrtausenden alle Versuche abweist, sich fremde Modelle überstülpen zu lassen. Die Interviewpartner der Autorin: Soldatenmütter, Frauen, Hinterbliebe, aber auch Veteranen selbst und bei manchen Aussagen in diesem dokumentarischen Glanzstück stockt einem der Atem. Sie legt offen: Die schlechte Ausstattung von Soldaten und Hilfspersonal, wie viele unter Vorwänden nach Afghanistan gelockt wurden, wie sie abgrundtief belogen wurden. Unmenschlicher Drill, fiese Brutalitäten unter Soldaten, Aufputschmittel, Schmuggel, es hört nicht auf an Schrecklichkeiten. Aber sie lässt unterschiedliche Stimmen, auch Verteidiger des Kriegs zu Worte kommen. Wie tief die Kluft war zwischen »Pawel Kortschagin Gläubigen« und denjenigen, die nur einen Kühlschrank voller Fleisch und die neuesten Kassettenrecorder wollten, ein Riss nicht allein durch die Armee, sondern quer durch die sowjetische Gesellschaft, die auch damit zerbrach. Ein Buch was jede Legende über heldenhafte Krieger abtakelt und schonungslos offenbart, was der Krieg aus den Menschen macht (»Der Krieg lehrte, alles mit Gewalt zu regeln«) und sei es der gerechteste aller Kriege. Was die brutalen Zustände innerhalb der russischen Korps offenbart, ohne die grausame Kriegsführung der Mudjahedin auszusparen. Ihr gelingt es größtenteils, »die Geschichte auf den Menschen herunterzubrechen« und intensive Einblicke in die postsowjetische Diskussion zu vermitteln. Nur frage ich mich: trägt die Methode ein ganzes Buch? Fehlt nicht eine historisch-politische Einordnung des Konflikts? Kann man Vietnam und Afghanistan wirklich in einen Topf werfen? – Jedenfalls ein unglaublich intensives Buch, was all den geschichtsvergessenen westlichen Kriegern, Frau von der Leyen an der Spitze, so wärmstens empfohlen wäre – wo ist das Werk über die Zinkjungen, die die Nato bald doppelt so lange produziert, wie die untergegangene SU?