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Yesterday-330

Lars Saa­bye Chris­ten­sen
» Yes­ter­day

Autor:Lars Saaby Chris­ten­sen (Nor­we­gen 1984)
Titel:Yes­ter­day
Aus­gabe:Popa Ver­lag 1989 / Gold­mann 1991
Über­set­zung:Chris­tel Hildebrandt
Erstan­den:Anti­qua­risch / Tipp aus Norwegen

Yesterday-330

Das ist der Ver­such, die (Aufbruch-)Geschichte einer Osloer Cli­que, jeder nach einem Beatle benannt, der sech­zi­ger Jahre anhand von Hits der »Fab four« mit der Ent­wick­lung der Pop-Kul­tur dar­zu­stel­len. Jedes Kapi­tel unter die Über­schrift einer Sin­gle oder LP zu stel­len – äh, wis­sen sie noch, was eine Sin­gle ist? Auf­klä­rung hier auf der nächs­ten Seite!

Lange Haare, Fri­seur­an­dro­hun­gen, Pop-Pos­ter, Mäd­chen mit Rat­ten­schwän­zen und Rosi­nen­brüs­ten auf dem Gepäck­trä­ger, man taucht schnell in diese sech­zi­ger Welt eines 13-jäh­ri­gen Osloer Tunicht­gut. Gemein­sam »Ticket to ride« und alle ande­ren Plat­ten hören, der ältere Bru­der bringt die Stich­worte Dylan und Napalm hin­ein. Mas­si­ven Böl­ler-Unsinn trei­bend (hin­ein in die Tuba!), selbst am 17.5. (nor­we­gi­scher Natio­nal­fei­er­tag), die Ach­sel­haare und Brüste von Nina, eine Blume von ihr. Im stän­di­gen Ver­such, mit Blöd­sinn Auf­merk­sam­keit zu hei­schen, erkennt man die eigene Puber­tät wie­der. Die Ver­le­gen­heit, seine Mut­ter sich aus­zie­hend zu sehen, ein Som­mer­haus­re­gen­som­mer, Sturm­schwim­men, der Mann, der Viet­nam­kriegs­pro­teste mit der Axt zer­stört. 1965 – Help! Wenn Eltern »Yes­ter­day« mögen, wird ihnen unheim­lich, »Help im Kino«, das hieß (S. 125): »Wir nah­men einen Vor­schuss auf unsere Zukunft und die sah echt prima aus.« Der Besuch im Munch-Museum mit Jenny, das Bild »Der Schrei«, plötz­lich »höre ich ein Bild!« Rub­ber Soul, »Nor­we­gian Wood«, die Sitar, das muss ihnen erst einer erklären.

Rüh­rende Soli­da­ri­tät mit dem Töl­pel Fred, einem Armen mit Rat­ten im Kel­ler, ihre Väter dage­gen träu­men vom Auf­stieg zum Fili­al­lei­ter und vom Saab.

Yel­low Sub­ma­rine, Revol­ver, Eltern drän­gen auf Haare schnei­den, Kon­fir­ma­ti­ons­un­ter­richt im Unglau­ben, aber Hof­fen auf die Geschenke, Band­grün­dung, »die Gans«, einer der Außen­sei­ter, zer­bricht förm­lich an einem klei­nen Dieb­stahl, Seb schmeißt die Schule – wie­der eín Jahr, einen ganze Sprung älter, das ganze Jahr kotzt sich der Erzäh­ler am Lager­feuer aus.

LPs-330
Mein Bru­der hatte sie alle:?die Beat­les LPs

Der leicht ver­rückte Onkel traut sich mit sei­ner Male­rei Oslo und das Spie­ßer­tum (sein »Jante«!) nach Paris zu ver­las­sen. Früh­jahr ’67 – Straw­berry Fields fore­ver! Teil­nahme an der Viet­nam-Demo, Prü­ge­lei mit der Fro­gner Bande, es ist so erzählt, dass der Leser sich mit­ten­drin fin­det. – Ein ziem­lich ehr­li­cher Bericht über eine Party, die eigent­lich keine ist und Sebs Vater, der See­man, der »Weit-Weg-Vater« schickt aus Liver­pool (!) die neue Sin­gle und erklärt, dass »Penny Lane« dort eine Straße ist. 1967 »A day in the life«, »ließ die Musik in mich hineinfließen.«

Einen deut­li­chen Wech­sel bringt der zweite Teil des Buchs, die Doors schla­gen jetzt »Hello Good­bye«; »I’m the Wal­rus«, es war nicht so ein­fach nach Sgt. Pep­per wei­ter zu machen. Herr­li­che Faxen des Ver­fas­sers, ein Aus­flug aufs Schul­dach macht ihn zu »Karls­son vom Dach«, Ärger über die Ange­be­tete lässt ihn in der Aula mit dem Schul­ske­lett tan­zen, er fliegt raus und sei­ner Ceci­lie in die Arme! Mas­si­ver Stress mit den Alten, köst­li­che Spitz­na­men für Leh­rer und Kame­ra­den, die wun­der­same Bezie­hung mit Ceci­lie, die ihre rei­chen Eltern hasst, aber sei­nen schrä­gen Onkel mag, den Erzäh­ler zur Ver­söh­nung besucht: ».. und ihre Haare fie­len wie eine dünne, frisch-gewa­schene Gar­dine auf mich nie­der« – so emp­fand man mit 16/17 ein Mäd­chen, der Autor trifft Stim­mung und jugend­li­chen Slang präzise.

Nor­we­gens Stim­mung kocht ob des Viet­nam-Kriegs, Stigs Vater ver­liert seine »Kolo­ni­al­wa­ren« gegen den neuen Super­markt, Paris-Prag ’68, er badet im Spring­brun­nen und Olaf stot­tert seit einer Nacht bei sei­ner Kirs­ten nicht mehr, aber »The white album«, das klingt nicht mehr nach Beat­les! Wie­der ist ein Jahr vor­bei, die Beat­les haben sich auf­ge­löst, sie hät­ten mit Sgt. Pep­per auf­hö­ren sollen.

Mit kräf­ti­gen Stim­mungs­bil­dern, hef­ti­ger wer­den­dem Dro­gen­häm­mern lei­tet Chris­ten­sen die Six­ties aus, die nicht so wil­den, eher trist­grauen Seven­ties kom­men. Let it be, Frühjahr/Sommer ’70, den Jun­gen droht die Mus­te­rung, Ende von Kindheit/Jugend, Streiks in Oslo, Prü­gel­po­li­zis­ten (wie in Ber­lin), das Buch glei­tet in die Melancholie.

Single-330
Ich hatte nur eine Single

Jugend­ge­walt, Seb tief im Dro­gen­sumpf, Poli­zis­ten schnei­den gewalt­sam die Haare, ein Leben neben sich an der Uni und um Geld zu besor­gen, wer­den alle Beat­les Plat­ten für 90 Kro­nen (!!!) ver­ramscht, aber 1972 gibt es ein tri­um­pha­les Nein zur EU in Nor­we­gen. Sym­bole, die Sech­zi­ger, Puber­tät, Auf­bruch und Jugend sind vor­bei, sind Erinnerung.

Ein über lange Stre­cken sen­sa­tio­nel­les Buch! Es sind die »Six­ties revi­si­ted«, kon­ge­nial erfasst, was für Erin­ne­run­gen wer­den zurück­ge­bracht. Wie es den Zau­ber die­ser Lebens­jahre zwi­schen 14 und 19 aus den Sech­zi­gern leben lässt und viel Nor­we­gi­sches ver­mit­telt. Ein Jugend­le­ben, das auch die Mög­lich­kei­ten von Abstieg, Melan­cho­lie, Dro­gen und ein frü­hes Lebens­schei­tern nicht unter­schlägt. Der Zer­fall der Jugend, das ver­zwei­felte Fest­hal­ten an der Kin­der-Cli­que, einem Lebens­ab­schnitt und sei­nem Sym­bol: den Beatles!

Das hat nicht die kul­tu­relle und gesell­schaft­li­che Tiefe eines Ketil Bjørn­stad (»Die Welt, die meine war«), ist aber mehr als nost­al­gisch amü­sant, nach­denk­lich, holt unmit­tel­ba­res Erle­ben zurück, eine magi­sche Reise ins Ver­ges­sene eines Lebens­parts. Warum gibt es so etwas nur aus Skandinavien?

PS: Warum ich hier so aus­führ­lich rezen­siert habe? Ich mag wich­tige Teile mei­ner eige­nen Jugend nicht in nur drei Sätze eindampfen.

Mit­ten­drin in den Sechzigern!

2020 rezensiert, Goldmann, Lars Saabye Christensen, Musik, Norwegen, Pop Kultur, Popa Verlag