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Mar­len Haus­ho­fer
» Die Tapetentür

Autorin:Mar­len Haus­ho­fer (1957)
Titel:Die Tape­ten­tür
Aus­gabe:Paul Zsol­nay Ver­lag, Wien 1957
Erstan­den:anti­qua­risch

Das Cover des Buches

Eine Tape­ten­tür ist eine Geheim­tür, mit der man aus der Rea­li­tät schnell ver­schwin­den kann. Annette, die Prot­ago­nis­tin, unter­nimmt kurz vor der Geburt ihres Kin­des im Traum den Ver­such durch eine Tape­ten­tür ihre Rea­li­tät zu ver­las­sen. Aber es ist nur ein Traum, ein selbst­be­stimm­tes Leben eröff­net sich ihr auch im Traum nicht.

Ihre Schwan­ger­schaft sieht sie als kör­per­li­che und see­li­sche Belas­tung. »Wie kommt es, dass die­ses win­zige Kind mir ein so abscheu­li­ches Gefühl von Kleb­rig­keit und Unsau­ber­keit macht? Ich möchte mich den gan­zen Tag waschen.« (S. 95) Durch diese Innen­per­spek­tive wer­den dem Leser die Gefühle ganz beson­ders nahe­ge­bracht, man kann dem Unglück­lich­sein der Prot­ago­nis­tin kaum entfliehen.

Das Thema die­ses Romans ist die Liebe. Gre­gor ist nicht Annet­tes erste Bezie­hung, aber sie ist ihm von Anfang an hörig. »Gre­gor braucht weder meine Liebe noch meine Freund­schaft wirk­lich, aber er gibt mir das Gefühl, dass ich lebe.« (S. 75)

Es ist eine grau­en­volle, unglück­li­che, Kräfte ver­zeh­rende Liebe. Annette hei­ra­tet Gre­gor nach sehr kur­zer Zeit, obwohl sie genau weiß, dass auch diese Liebe zum Schei­tern ver­ur­teilt ist. »Immer fing es so an, zuerst die Lan­ge­weile, dann der Ärger und schließ­lich ein zufäl­li­ges Ende. Und nach zehn Jah­ren grüßte man ein­an­der freund­lich und des­in­ter­es­siert.« (S. 12)

Ähn­lich wie von der Frau­en­fi­gur Eli­sa­beth in dem Roman ›Eine Hand­voll Leben‹ von Mar­len Haus­ho­fer – hier im Blog ›altmodisch:lesen‹ rezen­siert – hat man den Ein­druck auch von Annette, dass die Frauen sich ihrer fast hoff­nungs­lo­sen, ver­zwei­fel­ten Lage bewusst sind. Aber, warum befreien sie sich nicht daraus?

Kann man dar­aus schlie­ßen, dass Mar­len Haus­ho­fer keine frau­en­be­wegte Frau, keine Femi­nis­tin war? Einige Lite­ra­tur­kri­ti­ker gehen davon aus: »In der Geschichte weib­li­chen Schrei­bens im deutsch­spra­chi­gen Raum gehört Mar­len Haus­ho­fer, der jeg­li­cher Femi­nis­mus fern­lag, zu der Gene­ra­tion vor dem Auf­bruch der Frau­en­be­we­gung in den 70er Jah­ren des vori­gen Jahr­hun­derts.« (https://​www​.deutsch​land​funk​kul​tur​.de/​d​i​e​-​s​c​h​r​i​f​t​s​t​e​l​l​e​r​i​n​-​m​a​r​l​e​n​-​h​a​u​s​h​o​f​e​r​-​w​u​e​t​e​n​d​-​v​i​s​i​o​n​a​e​r​-​1​0​0​.​h​tml)

Das geschiedene Paar Haushofer mit den Söhnen Manfred und Christian 1951
Das geschie­dene Paar Haus­ho­fer mit den Söh­nen Man­fred (links) und Chris­tian 1951 (aus Wahr­schein­lich bin ich ver­rückt … Mar­len Haus­ho­fer – die Bio­gra­phie, Daniela Strigl).
Copy­right Sybille Haus­ho­fer Steyr/Wien – Quelle

Sicher muss der Zeit­geist der 50er und 60er Jahre in Öster­reich berück­sich­tigt wer­den, aber ich möchte die Ein­schät­zung der Lese­rin über­las­sen, indem ich hier die Erzäh­le­rin der ›Tape­ten­tür‹ zu Wort kom­men lasse:

  • »Man konnte ja immer wie­der in den Frau­en­zei­tun­gen lesen, dass das Lebens­glück von rich­tig lackier­ten Nägeln und der uner­läss­li­chen des­odo­rie­ren­den Seife abhing.« (S. 31)
  • »Man durfte sich keine Blöße geben; es gehörte sich ein­fach für eine Frau, an Lein­tü­chern inter­es­siert zu sein.« (S. 31)
  • »Die Vor­stel­lung, dass alle diese ernst­haf­ten, dezent geklei­de­ten Män­ner manch­mal die Klei­der able­gen und, bleich wie Kar­tof­fel­triebe, dar­an­ge­hen, sich eine Stunde mit Liebe zu beschäf­ti­gen, hat etwas Obs­zö­nes und Lächer­li­ches an sich.« (S. 42)
  • »Das Schlag­wort ›Alles für die Dame‹ sollte bes­ser hei­ßen ›alles für den Pro­fit‹.« (S. 53)
  • »Es gibt keine Par­tei, die die Inter­es­sen der Frau ver­tritt. Davon kann man sich leicht über­zeu­gen, wenn man gewisse Gesetze stu­diert. Die Gleich­be­rech­ti­gung, von der so viel geschrie­ben wird, besteht nur auf dem Papier. Die weni­gen und ein­fluss­lo­sen Stel­len, die man mit Frauen besetzt, die­nen nur dazu, diese Tat­sa­che zu ver­schlei­ern und Wäh­ler­stim­men zu gewin­nen.« (S. 95)
  • »Gre­gor scheint zu glau­ben, dass ich aus purem Eigen­sinn meine Arbeit nicht auf­gebe, und ich kann ihm nicht begreif­lich machen, wie wich­tig es ist für mich, zu arbei­ten. Wenn ich den gan­zen Tag daheim auf ihn war­ten müsste, würde ich den Ver­stand ver­lie­ren.« (S. 98)
  • »Sie sah sich das Leben einer guten Haus­frau füh­ren, ein­kau­fen, kochen, das Baby pfle­gen und ihr Leben lang auf den Augen­blick war­ten, in dem Gre­gor zur Tür her­ein­kom­men würde. Sie wusste mit dump­fer Ver­zweif­lung, dass sie nicht dazu fähig sein würde.« (S. 166)

Hier muss man zwi­schen den Zei­len lesen, um das Ver­steckte, nicht aus­drück­lich Genannte zu ver­ste­hen. Es spielt sicher auch die Per­spek­tive, aus der geschrie­ben wird, eine große Rolle, näm­lich aus weib­li­cher Per­spek­tive mit ten­den­zi­ell auch poli­ti­schen Themen.

Weib­li­ches Schrei­ben sei ten­den­zi­ell ein poli­ti­sches Schrei­ben, meint San­dra Gugic: »Weil oft aus einer Posi­tion gespro­chen wird, die pre­kär ist, weil oft aus einer Posi­tion gespro­chen wird, die eine Posi­tion der Min­der­heit dar­stellt. Aus einer unter­drück­ten Posi­tion. Und des­we­gen sehe ich auch oft eine bestimmte Dring­lich­keit und eine Wut.« (https://​www​.deutsch​land​funk​kul​tur​.de/​d​i​e​-​w​a​h​r​n​e​h​m​u​n​g​-​w​e​i​b​l​i​c​h​e​n​-​s​c​h​r​e​i​b​e​n​s​-​v​e​r​a​e​n​d​e​r​t​-​s​i​c​h​-​1​0​0​.​h​tml)

Die Biblio­the­ka­rin Annette und damit auch die Autorin Mar­len Haus­ho­fer äußern sich ebenso zum ›weib­li­chen Schrei­ben‹: »Auch jede Frau in den von Män­nern geschrie­be­nen Roma­nen war ein Unding, und das hatte sie beim Lesen noch immer geär­gert und ver­stimmt; der­ar­tige Romane waren anma­ßend und unwahr.« (S. 108)

Die Romane von Mar­len Haus­ho­fer dür­fen nicht in Ver­ges­sen­heit geraten!

Sollte jede frau­en­be­wegte Frau gele­sen haben!

Unterschrift
Mar­gret Hövermann-Mittelhaus

2023 rezensiert, 50er und 60er Jahre, Feminismus, Frauenbewegung, Marlen Haushofer, Paul Zsolnay Verlag, Wien, Österreich