Marlen Haushofer
» Eine Handvoll Leben
Autorin: | Marlen Haushofer (1955) |
Titel: | Eine Handvoll Leben |
Ausgabe: | Paul Zsolnay Verlag, Wien 1955 |
Erstanden: | antiquarisch |
»Um vier Uhr morgens des 11. Aprils 1920 wurde dem Förster Ehepaar Heinrich und Maria Frauendorfer in Frauenstein, Oberösterreich eine Tochter geboren: Maria Helene.
Der Name »Marlen« entstammt nicht, wie man meinen könnte, einer Zusammenziehung der Taufnamen Maria und Helene, sondern dem Lieblingsmärchen von Marlen Frauendorfer.« (Quelle)
Das Märchen vom Machandelboom spielt in der Literatur immer wieder eine Rolle, so auch in dem Roman von Regina Scheer ›Machandelbaum‹, rezensiert hier im Blog ›altmodisch:lesen‹.
›Marleenken und der Machandelbaum‹ der Gebrüder Grimm ist »»hier nachzulesen.
Ich empfinde das Märchen eher als gruselig, hier ein Zitat aus dem Märchen: »Mein Mutter der mich schlacht, mein Vater der mich ass, …«. Warum wurde von den Eltern eine Beziehung zu diesem Märchen hergestellt und von dem kleinen Mädchen Maria Helene akzeptiert?
Ich nehme mein Fazit schon mal vorweg: Marlen Haushofer bleibt ein Rätsel. Wer ist diese Frau, über die viel Widersprüchliches zu lesen ist? Sie einzuordnen in die Geschichte des weiblichen Schreiben, ist eindeutig, wenn ihre Biografin betont:
»Im Alltag kämpfte Marlen stets um ein paar Schreibstunden. Sie nutzte dazu die Stunden am frühen Morgen, noch vor dem Frühstück. Ihre Texte schrieb sie von Hand; überall lagen Schreibblöcke herum, auf denen sie während der Hausarbeit Einfälle notierte. Vormittags Hausarbeit, nachmittags Lernen mit den Kindern, Wochenende Büroarbeit.« (Quelle)
So hat sie auch sehr viel Autobiografisches verfasst: »Und bin der Ansicht, dass im weiteren Sinn alles, was ein Schriftsteller schreibt, autobiographisch ist.« (Quelle)
Aber kann sie auch als Feministin bezeichnet werden? Einerseits wird gesagt, dass ihr jeglicher Feminismus fern lag, weil sie mit ihren Werken in die 50er und 60er Jahre gehört und die Frauenbewegung erst in den 70er Jahren Fahrt aufnahm. Andererseits betont ihre Biografin:
»Viele Freunde und Bekannte Marlens zeigten sich sehr erstaunt, wenn man die anscheinend sanfte, liebenswürdige und bürgerliche Frau als Feministin und Männerfeindin bezeichnete. Die Tarnung war eines von Marlens Talenten, sie behielt ihre wahren Ansichten für sich und lebte in so vielen Dingen nicht nach ihrer eigenen Überzeugung.« (Quelle)
Ihr Nachlassverwalter bestätigte in einem Brief:
»Marlen liebte und bewunderte Simone de Beauvoir, las mit höchster Anerkennung Rosa Mayreder und fühlte sich den Vorkämpferinnen der Frauenbewegung schwesterlich verbunden, war aber selbst keine Kämpfernatur.« (Quelle)
Jetzt aber zu ihrem Roman ›Eine Handvoll Leben‹. Nach dieser Einleitung ist man schon darauf vorbereitet, dass es sich bei Marlen Haushofer nicht um eine einfache Schriftstellerin handelt. In ihrem Roman geht es um das Elend einer Frau in den 50er und 60er Jahren. Elisabeth kehrt nach 20 Jahren in ihre Heimatstadt und in ihr Haus zurück, das sie zu kaufen vortäuscht. Diese ›Heimat‹ hat sie vor 20 Jahren verlassen, sie hat einen Selbstmord vorgetäuscht und ist verschwunden. Nun zieht in dieser einen Nacht, die sie in diesem Haus verbringt, ihre bedrückende Vergangenheit an ihrem inneren Auge vorbei.
Das Leben in der Klosterschule: »Die Kindheit war nicht sanft und idyllisch, sondern der Schauplatz wilder, erbitterter Kämpfe unter der Maske rosiger Wangen, runder Augen und unschuldiger Lippen. So mörderisch waren diese Kämpfe, daß die meisten Menschen sie entsetzt zu vergessen suchten und sich einbildeten, sie seien nach Jahren oberflächlicher Spiele und leicht gestillter Tränen erst zum wahren Leben erwacht.« (S. 52)
Die Suche nach einer Familie: »Und sie war niemals imstande gewesen gegen ihren Körper zu leben; so oft sie es versucht hatte, war Unheil daraus entstanden. Sie dachte schaudernd an das Elend tausender gegen ihren Willen verheirateter Frauen der vergangenen Jahrhunderte.« (S. 121)
Die Suche nach sich selbst: »Weinend putze sie sich ihre Nase und fühlte sich elend, ganz und gar uneins mit ihrem Körper, der sie plötzlich anekelte.« (S. 64)
Von nun an führt sie ein Doppelleben und geht eine Beziehung mit dem Geschäftsfreund ihres Mannes ein, aber auch diese ist zum Scheitern verurteilt, denn sie kann es nicht ertragen, »von einem anderen Menschen in Besitz genommen zu werden.« (S. 81)
Ihre Romane spiegeln den Zeitgeist der 50er und 60er Jahre wider. Frauen hatten kaum Möglichkeiten ein selbstbestimmtes Leben zu führen, genau das kritisiert Marlen Haushofer, sie schreibt über ein Leben in der Normalität, das sie selbst als nicht gelebt bezeichnet. Sie resigniert.
Marlen Haushofer – sie lebt ein kurzes Leben. Ein rätselhaftes, widersprüchliches Leben. Ein komplexeres, tiefgründigeres, als es scheint! Ein zerrissenes, verpasstes, ein reduziertes, ungelebtes Leben. Ein angepasstes, ein ordentliches, ein verdrängtes Leben. Ein vergessenes Leben, ein Traum-Leben, ein tragisches Leben. Ein falsches Leben im richtigen? (Quelle)
»Marlen Haushofer zählt nicht zu den vergessenen Autorinnen – ihr Werk ist lieferbar, wenn auch verteilt auf mehrere Verlage –, aber den ihr gebührenden Rang nimmt sie nicht ein.« (Quelle)
Und genau das möchte ich mit diesem Text unterstützen, dass sie einen ihr gebührenden Rang erhält! Wenn ich Interesse geweckt habe, hier im Blog ›altmodisch:lesen‹: Marlen Haushofer, ›Die Tapetentür‹
Marlen Haushofer – eine Vorkämpferin der Frauenbewegung!
Sehr lesenswert!
Nachtrag: Wir haben in unserem Literaturkreis sehr intensiv, aber auch kontrovers über den Roman diskutiert. Bemerkt wurde, dass er sehr depressiv sei und kaum einen Lösungsweg zeige, so dass die Leserin und der Leser sich am Ende doch allein gelassen fühle. Positiv bemerkt wurde die Konstruktion des Romans, die man jedoch auch durchschauen müsse. Die Protagonistin könne keine Nähe aushalten, weder zu ihren Eltern, noch zu ihrem Kind, ihrem Mann und ihrem Geliebten. Daher entstünde auch keine Nähe zur Leserin oder zum Leser, es gibt keine Identifikationsmöglichkeit. Frauen scheinen austauschbar in ihrer Rolle als Mutter oder Ehefrau. Auch ein Grund, warum Elisabeth die Freiheit suche, aber dafür einen hohen Preis bezahle. Ihren Zwiespalt und ihre widersprüchlichen Wünsche nach Freiheit und Geborgenheit könne Elisabeth nicht lösen. Gerne hätten einige Leserinnen gewusst, was Elisabeth während der 20 Jahre Abwesenheit gemacht habe. Das erfahren wir nicht. Ich denke, die Aussage des Romans besteht darin, sich darüber Gedanken zu machen, wie Mann und Frau zukünftig zusammen leben können, ohne dass weder Frau noch Mann unterdrückt werden.
Margret Hövermann-Mittelhaus
2023 rezensiert, 50er und 60er Jahre, Feminismus, Frauenbewegung, Marlen Haushofer, Paul Zsolnay Verlag, Wien, Österreich