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Caro­lin Wür­fel
» Drei Frauen träum­ten vom Sozialismus

Autorin:Caro­lin Würfel
Titel:Drei Frauen träum­ten vom Sozialismus 
Aus­gabe:Han­ser Ber­lin, 3. Auf­lage 2022
Erstan­den:Buch­hand­lung Thaer, Ber­lin Friedenau

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Caro­lin Wür­fel will mit ihrem Buch ›Drei Frauen träum­ten vom Sozia­lis­mus‹ errei­chen, dass sich die junge Gene­ra­tion, vor allem im Wes­ten Deutsch­lands, mit der DDR und ihrer Lite­ra­tur beschäf­tigt. Bei mei­ner Toch­ter, 30 Jahre alt, ist es ihr schon gelun­gen, denn meine Toch­ter betonte, dass sie weder über Bri­gitte Rei­mann noch Maxie Wan­der etwas wisse, aber gerne etwas wis­sen wolle, Christa Wolf mit ihren Wer­ken sei schon mal im Deutsch­un­ter­richt auf­ge­taucht. Caro­lin Wür­fel will mit ihrem Buch ihrer Gene­ra­tion erklä­ren, wie der Lite­ra­tur­be­trieb in der DDR funk­tio­nierte, wie die Autorin­nen gegen Wider­stände oder auch mit dem MfS kämp­fen muss­ten. Und so kommt Caro­lin Wür­fel zu dem Geständ­nis: »Es wäre so leicht, die Geschichte Ost­deutsch­lands, die­ses Expe­ri­ment DDR, zu den Akten zu legen, aber die Wahr­heit ist, dass Rei­mann und die bei­den ande­ren Frauen, die Teil die­ses Expe­ri­ments waren, den Weg für meine Frei­heit geeb­net haben.« (S. 262).

Wie die­ser Weg aus­ge­se­hen hat, macht sie den Lese­rin­nen und Lesern deut­lich, die – hof­fent­lich – auch immer neu­gie­ri­ger wer­den. So ler­nen wir die drei Frauen jeweils abwech­selnd ken­nen, und ihre ers­ten Schreib­ver­su­che, ihre ers­ten Lie­bes­ge­schich­ten oder ihre ers­ten Aus­ein­an­der­set­zun­gen mit dem Lite­ra­tur­be­trieb in der DDR. Caro­lin Wür­fel betrach­tet diese ›drei Iko­nen der DDR‹ mit einer ganz per­sön­li­chen Note.

Die Werke die­ser drei Autorin­nen stan­den im Bücher­re­gal ihrer Mut­ter. Caro­lin Wür­fel ist damit sozu­sa­gen groß gewor­den und das macht das Lesen ihres Buches so lesens­wert, sie belehrt nicht, son­dern schreibt sehr per­sön­lich. Alle drei sind um das Jahr 1930 gebo­ren, stan­den eng oder weni­ger eng in Kon­takt mit­ein­an­der, aber Christa Wolf war die­je­nige, die sowohl zu Bri­gitte Rei­mann als auch Maxie Wan­der engen Kon­takt pflegte und beide bis zu ihrem frü­hen Tod 1973 und 1977 beglei­tete. Warum fan­den diese drei Frauen zuein­an­der? Sicher, ihr gemein­sa­mer Traum vom Sozia­lis­mus spielte eine Rolle. »Träu­men vom Sozia­lis­mus – da wird der poli­ti­sche Begriff mit einem Mal zu einem Zei­chen von etwas Begeh­rens­wer­tem. Zu etwas Schö­nem, das es nicht gibt, wes­halb man davon träu­men muss. Oder immer­hin davon träu­men darf.« Quelle. Aber auch das Thema Frau­en­eman­zi­pa­tion hat die drei mit­ein­an­der verbunden.

Maxie Wan­der, in Wien in einer kom­mu­nis­ti­schen Fami­lie auf­ge­wach­sen und frei­wil­lig mit ihrem Mann Fred Wan­der in die DDR gezo­gen, ist mit ihrem Buch ›Guten Mor­gen, du Schöne‹ im Osten wie im Wes­ten schlag­ar­tig berühmt gewor­den. Sie por­trä­tierte Frauen unter­schied­li­cher Her­kunft und Bil­dung in ihrem All­tag und mit ihren Hoff­nun­gen. »Schon in ihrer Vor­be­mer­kung hatte Wan­der klar­ge­macht, dass das Ziel nicht eine ›Eman­zi­pa­tion gegen die Män­ner‹ sein kann, son­dern eine Eman­zi­pa­tion ›in der Aus­ein­an­der­set­zung mit ihnen‹ sein muss.« (S. 244).

Bri­gitte Rei­mann wurde im Wes­ten mit ihrem Roman ›Fran­ziska Lin­ker­hand‹ berühmt, die Prot­ago­nis­tin auf der Suche nach ihrer Iden­ti­tät. Im Osten wur­den ihre neu erschie­ne­nen Romane jeweils inner­halb eines Tages ver­kauft, den Buch­händ­lern sozu­sa­gen aus den Hän­den geris­sen. Christa Wolf, die bekann­teste von den dreien, hat das Thema Frau­en­eman­zi­pa­tion auch in ihrem frü­her Werk ›Der geteilte Him­mel‹ ver­ar­bei­tet. Spä­ter betont sie in ihrer Frank­fur­ter Poe­tik-Vor­le­sung die unter­schied­li­che Sicht­weise von Män­nern und Frauen: »(…) inwie­weit gibt es wirk­lich ›weib­li­ches‹ Schrei­ben? Inso­weit Frauen aus his­to­ri­schen und bio­lo­gi­schen Grün­den eine andere Wirk­lich­keit erle­ben als Män­ner (…). Inso­weit sie, schrei­bend und lebend, auf Auto­no­mie aus sind.« (Christa Wolf, Vor­aus­set­zun­gen einer Erzäh­lung: Kas­san­dra. Frank­fur­ter Poe­tik-Vor­le­sun­gen. Mün­chen 1998, S. 133).

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Caro­lin Wür­fel wurde 1986 in der DDR gebo­ren. Maxi Wan­ders Buch »Guten Mor­gen, Du Schöne« spielte eine beson­dere Rolle bei den Frauen in ihrer Fami­lie. © Lea Hopp | Quelle

All das teilt uns Caro­lin Wür­fel in ihrem Buch mit, geht aber auch sehr aus­führ­lich auf das per­sön­li­che Leben der Autorin­nen ein und schafft damit eine sehr große Nähe. Bri­gitte Rei­mann wird uns so vor­ge­stellt: »In der Geschwis­ter-Scholl-Ober­schule nennt man sie wegen ihrer dunk­len Augen und spit­zen Eck­zähne ›schwar­zer Pan­ther‹. Ihre unbe­re­chen­bare Art tut den Rest. Sie ist klug, aber kann sich nicht unter­ord­nen.« (S.46). Maxie Wan­der träumt gerade »von einem Leben in der fran­zö­si­schen Haupt­stadt. Klein­mach­now nennt sie ihr ›herz­lie­bes Gefäng­nis‹.« (S. 142). Und Christa Wolf ärgert sich über ihren Mann. »Ger­hard war kurz nach Annet­tes Geburt als Redak­teur zum Deutsch­land­sen­der nach Ber­lin beor­dert wor­den. Eine Aus­zeich­nung für ihn. Eine Zumu­tung für sie.« (S. 54)

Bri­gitte Rei­mann war die­je­nige, die keine Kom­pro­misse ein­ging, Klein­bür­ger­lich­keit ver­ab­scheute und ein exzes­si­ves Leben führte. So zitiert Caro­lin Wür­fel Tage­buch­ein­träge Bri­gitte Rei­manns: »Sie haben mir so oft von mei­nem unbarm­her­zi­gen Ego­is­mus gere­det, dass ich daran zu glau­ben beginne, ich ent­de­cke meine Bos­heit, Hart­her­zig­keit, Streit­sucht, mei­nen hyper­tro­phier­ten Eman­zi­pa­ti­ons­trieb.« (S. 130). Oder beschreibt sie auf einer Fahrt nach Mos­kau: »Rei­mann brannte von allen Sei­ten. Wolf mochte diese Unbän­dig­keit. Gleich­zei­tig ver­suchte sie, die­ses Bren­nen immer etwas zu ent­schleu­ni­gen.« (S. 138). Bri­gitte Rei­mann war tod­krank: »Die Geschichte (ihr unvoll­ende­ter Roman Fran­ziska Lin­ker­hand, M.H.) zerrte genauso an ihr wie ihr kran­ker Kör­per und der ver­dammte Krebs.« (S. 228). Sie hat ein aus­schwei­fen­des Leben geführt, was ihr Tage­buch­ein­tra­gung zeigt: »Merk­wür­dige Über­wach­heit. Letzte Nacht (…) mal wie­der getrun­ken, aber nicht aus Angst, nur so, aus Spaß am Wodka, und mit hun­dert Ziga­ret­ten (…). Mor­gens um sechs hat­ten T. und ich zwei Fla­schen Wodka aus­ge­trun­ken (…).« (Bri­gitte Rei­mann, Hun­ger auf Leben, Auf­bau Ver­lag Ber­lin 2004, S. 267).

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v.l.n.r.: Christa Wolf, Maxie Wan­der, Bri­gitte Rei­mann, imago, Rolf Zöll­ner/Auf­bau-ver­lag, Fred Wander/dpa, ZB | Quelle

Auch Maxie Wan­der ist mit vie­lem nicht ein­ver­stan­den: »›Es wäre alles sehr ein­fach, wenn ich mich nicht immer dage­gen auf­lehnte, weni­ger Frei­hei­ten als ein Mann zu haben.‹« (S. 143). Aber Caro­lin Wür­fel betont gleich­zei­tig: »In der DDR leben heißt für sie (Maxie, M.H.) auch, sich nie allein füh­len.« (S. 149). Die Bücher der drei Iko­nen wur­den »nicht grund­los zu einem rie­si­gen Erfolg. Denn sie erzähl­ten genau von dem, was ein­zu­lö­sen war, wenn irgend­je­mand in die­sem Land die Idee einer men­schen­ge­rech­ten Gesell­schaft wirk­lich ernst nahm. Die man Sozia­lis­mus nen­nen kann.« Quelle.

Caro­lin Wür­fel beschreibt das Leben der drei Frauen aus einem sehr per­sön­li­chen Blick­win­kel her­aus und zeigt, dass Frauen und Män­ner immer noch vor den­sel­ben Her­aus­for­de­run­gen ste­hen, um ein selbst­be­stimm­tes Leben zu füh­ren und »dass der ganze 30 Jahre lang anhal­tende Ver­such, auch die­sen Teil der DDR-Geschichte ›auf dem Müll­hau­fen der Geschichte zu ent­sor­gen‹, geschei­tert ist.« Quelle. Zum Abschluss Caro­lin Würfel:

»Frei­heit ist in der Aus­ein­an­der­set­zung mit ost­deut­schen Frau­en­bio­gra­fien – neben den Träu­men – für mich das wich­tigste Schlag­wort.« (S. 262)

Sehr lesens­wert!

Unterschrift
Mar­gret Hövermann-Mittelhaus