Claire Keegan
» Small things like these
Autor: | Claire Keegan (Irland, 2021) |
Titel: | Small things like these |
Ausgabe: | Faber & Faber, Taschenbuch 2022, irische Originalfassung |
Erstanden: | Ein Tipp meiner Tochter |
Einer der guten Vorsätze im neuen Jahr für mein Berliner Literaturblog »altmodisch:lesen« war, mehr irische Bücher zu lesen. Was hiermit ausgeführt werden soll … 🙂
Der Titel steht für die Art der Erzählung, sie wendet sich den kleinen Dingen des Alltags zu, oder besser ihr Protagonist, der Brennstoffhändler Bill Furlong in einer irischen Kleinstadt der achtziger Jahre. Schon die ersten Zeilen demonstrieren, wie die Autorin schreiben kann, beeindruckend, wie sie es schafft, dass der Leser jedem einzelnen Wort nachdrücklich seine Aufmerksamkeit widmet.
Ein armes Irland ist es, S. 13: »It was 1985 and the young people were emigrating, living for London and Boston, NewYork.«
Furlong, verheiratet, 5 Töchter, 2 helfen schon im Betrieb, gehört als Händler zu den Besserverdienenden und kommt doch in den »poor eighties« gerade so über die Runden. Der Händler spürt in seinem Alltag den allgegenwärtigen wirtschaftlichen Niedergang im Land, achtet auf die kleinen alltäglichen Dinge, die die Erzählung meisterhaft reflektiert. Und beobachtet in aller Frühe wie ein kleiner hungriger Junge die Milch aus einem Katzennapf stiehlt. Furlong beobachtet nicht nur, er ist gutmütig, opferbereit und hilft manchem armen Teufel. Und ist nachdenklich, auch mitten im Weihnachtstrubel, S.19: »What would life be like, he wondered, if they were given time to think and reflect over things.«
Furlong kennt selbst die Armut, er ist der uneheliche Sohn eines mit 16 Jahren geschwängerten Dienstmädchens. Nachdenklich fragt er sich mitten im Trubel eines Selbstständigen im Jahresendgeschäft, was außer seiner Frau und seinen Töchtern eigentlich wirklich wichtig ist.
Mit seiner Aufmerksamkeit für die kleinen Dinge des Alltags entwickelt die Keegan auch einen Sprachzauber, S. 34: »He sat on, listening to the clock ticking on the mantel and the wind eerily piping in the flue … From inside the cooker he heard a lumpe of anthracite collapsing against another …«. So sitzt er müde, schläfrig bis 3:00 morgens, bis er mit einem Stich der Stricknadel befriedigt feststellen kann, der Weihnachtskuchen ist durchgebacken.
In die Scheinidylle tritt aber etwas Düsteres hinein, als er beim Beliefern des örtlichen Klosters, eines Großkunden, auf Insassinnen trifft, die unbedingt heraus wollen. Das Kloster ist Teil der Magdalen Laundries, Irland weit von der Kirche betrieben, tausende junge Frauen und Mädchen beschäftigend. Seine Frau warnt ihn, halt Dich da raus, es gibt Dinge im Leben, da sollte man besser nicht hinsehen.
Und es sind wieder die fein beobachteten Alltagsdinge, die die Erzählung so wertvoll machen, in der Morgendämmerung der Hund, der eine Dose ausleckt, das Spiel der Krähen, das auch Assoziationen weckt, S. 52: »… inspecting the ground and their surroundings with their wings ticked in, putting Furlong in mind of the young curate who liked to walk about town with his hands behind his back.«
Claire Keegan ist eine, die mit Sprache Bilder malt, so eine Szene, in der Bill seine Nachbarin um heißes Wasser bittet, um einen eingefrorenen Riegel aufzutauen und er wieder beobachtet:?Die 3 Kinder der Nachbarin, die am Frühstückstisch sitzen, sie selbst noch im Nachthemd. Dieses einfache, kleine, schöne Leben, die Schönheiten des Alltäglichen in der Morgendämmerung. S. 57: »So many things had a way of looking finer, when they were not so close.«
Der empfind- und achtsame Kohlenhändler lässt den Gesang der Nonnen des örtlichen Klosters auf sich einwirken, den aus den Schornsteinen der Häuser aufsteigenden Rauch, die in der Morgendämmerung verblassenden Sterne. All das geschieht kurz vor Weihnachten, der Händler hat alle Hände voll zu tun, zwei seiner Töchter helfen schon im Büro. Hab ich schon jemals eine so gekonnte Darstellung von Alltags-Ritualen wie Tee einschenkrn und Rosinenkuchen austeilen gelesen, so dass man meint, mitten dabei zu sein?
Mit einem unbeabsichtigten Eindringen Furlongs ins Kloster (eine nicht verriegelte Tür) bei den Nonnen und dem Zusammentreffen mit den Schulmädchen, die aus dem Konvent heraus wollen, und dass eines der Mädchen, das sogar schon ein Baby hat, via klösterlichem Kohlenlager zu fliehen versucht, bricht etwas in Furlongs Leben ein. Etwas Ungewohntes, etwas Bedrohliches. Hinter dem harmonischen Frieden des Weihnachtsfestes schimmert etwas, die im Konvent haben etwas zu verbergen.
Bill macht sich auch Vorwürfe, dass er nicht eingegriffen hat, als die junge Frau, die sich im Kohlenlager versteckt hatte, vor seinen Augen harsch gemaßregelt wird. Gleichzeitig spürt er wieder die Not in der Stadt, bei Lieferungen zwischen den Feiertagen nehmen ihn einige beiseite und fragen, ob er auf das Bezahlen etwas warten könnte. Er geht oft darauf ein, hätte ja auch eine hohe Weihnachtsgratifikation von 50 Pfund vom Konvent zu erwarten. So dass er sich mit denen kaum anlegen möchte.
Seine Gedanken, S. 91: »People could be good, Furlong reminded himself, as he drove back to town; it was a matter of learning how to manage and balance the give-and-take in a way that let you get on with others as well as your own.«
Und Mrs. Kehoe vom örtlichen Pub warnt Furlong, sich mit dem Konvent anzulegen, nichts bleibt verborgen in dem Kaff! Denn er wird von einer Klosterinsassin ausdrücklich gebeten, ihr zu helfen, und steckt in einem tiefen inneren Konflikt. Er denkt, S.108: »… he found himself asking was there any point in beeing alive without helping one another?«
Bill Furlongs Entscheidung, wie er mit dem Mädchen umgehen soll, das wie viele andere mit dem Leben in der Klosterwäscherei schwer hadert, möchte ich hier nicht verraten, um Ihnen nicht die Spannung zu nehmen – lesen Sie selbst!
Mit dem Blick auf die Kleinigkeiten des Alltags entwickelt sich ein Ahnen eines düsteren Geheimnis, in das das örtliche katholische Kloster verwickelt ist, das aber zu Furlongs besten Kunden gehört. Kann ein Kleinstadthändler sich mit dem anlegen?
Da hat es gute Gründe, dass die Keegan ihrer Erzählung einen Auszug aus der irischen Verfassung voranstellt, religiöse und bürgerliche Freiheit, gleiche Rechte und Möglichkeiten betonend. Was es damit real auf sich hat, unter dem massiven Einfluss eines repressiven Katholizismus, wird raffiniert, spannungsvoll entwickelt, bis zur Enthüllung eines miesen Geheimnisses von Kloster und Kirche.
»Small things like these« ist neben der Widmung den kleinen Dingen des Alltags auch eine Anklage gegen das schreiende Unrecht, das tausenden (geschätzt 30.000) von Frauen und Mädchen von der katholischen Kirche in Irland angetan wurde. Das erst 1996 beendet wurde und für die sich der irische Taoiseach (Premierminister) erst 2013 öffentlich entschuldigt hat.
Ein eindrucksvolles, ein ergreifendes Buch!
Anhang
Die hier rezensierte irische Originalausgabe ist bei Faber & Faber in London 2021 (Hardcover/E-Book) und 2022 als Taschenbuch (8,99 £) erschienen; E-Book 5,22 £. Hier kann man mehr über die Autorin erfahren.
Die hier aufgeführten Zitate sind aus der irischen Originalausgabe, auf die sich auch die Seitenzahlen beziehen.
Die von Hans-Christian Oeser übersetzte deutsche Fassung gibt es seit 2022 in mittlerweile vierter Auflage für 20 Euro (E-Book 10,99 €) beim Steidl Verlag.
2023 rezensiert, Claire Keegan, Faber & Faber, Irland, katholische Kirche, Steidle Verlag