Skip to main content
Die-Wut

Mareike Fall­wickl
» Die Wut, die bleibt

Autorin:Mareike Fall­wickl (2022)
Titel:Die Wut, die bleibt
Aus­gabe:Rowohlt Ver­lag Ham­burg 2022
Erstan­den:von mei­ner Tochter

Die-Wut

Unter der Pan­de­mie und dem Lock­down haben Frauen beson­ders gelit­ten. »Die Corona-Pan­de­mie hat das Leben in Deutsch­land mas­siv beein­träch­tigt: Kon­takt­be­schrän­kun­gen, Lock­downs, Schlie­ßun­gen von Kitas und Schu­len sowie neue Arbeits­for­men gehör­ten plötz­lich zum All­tag vie­ler Men­schen. Vor allem Fami­lien mit Kin­dern muss­ten sich mit völ­lig neuen Abläu­fen arran­gie­ren.« (Quelle). Diese neuen Abläufe zu orga­ni­sie­ren, lag haupt­säch­lich in den Hän­den der Frauen. Und genau dar­über hat Mareike Fall­wi­ckel einen Roman geschrieben.

Helene, drei­fa­che Mut­ter, kann die Situa­tion nicht mehr ertra­gen, ist völ­lig über­for­dert und springt vom Bal­kon, als beim Abend­essen die Frage gestellt wird: »Haben wir kein Salz?« (S. 9). Die Für­sor­ge­rolle für die Kin­der und den Vater über­nimmt, ohne das in Frage zu stel­len, Hele­nes Freun­din Sarah. Sie schlüpft frei­wil­lig in diese Frau­en­für­sor­ge­rolle, es wäre auch durch­aus mög­lich gewe­sen, jeman­den für diese Arbeit (!) ein­zu­stel­len und zu bezah­len (!). Die­sen Gedan­ken ver­folgt der Vater nicht, im Gegen­teil er nutzt die Für­sorge Sarahs aus. Die 15jährige Toch­ter Lola erkennt die Situa­tion, for­dert Sarah auf sich zu eman­zi­pie­ren und diese Rolle nicht wei­ter auszuführen.

Dafür braucht Sarah jedoch Zeit. Lola, angeb­lich erklärte Femi­nis­tin (sie erklärt das aber im Roman nicht), soli­da­ri­siert sich inzwi­schen mit zwei wei­te­ren Freun­din­nen, macht einen Kampf­sport­kurs für Teen­ager in der Poli­zei­sport­halle. Zukünf­tig wird sie mit ihren Freun­din­nen den Weg der Gewalt gehen und Män­nern, die sie oder grund­sätz­lich Frauen bedro­hen, Gewalt antun, sie über­fal­len und zusam­men­schla­gen. Einer der letzte Sätze des Romans lau­tet: »Denn wenn die Frauen sich nicht län­ger unter­drü­cken las­sen, das wirk­lich nicht mehr zulas­sen, wenn sie ein­an­der bestär­ken und unter­stüt­zen, kann womög­lich end­lich Gleich­be­rech­ti­gung ent­ste­hen.« (S. 373). Mit der »Spra­che der Selbst­er­mäch­ti­gung« (S. 373) dem Empower­ment sol­len eigene Inter­es­sen der Frauen ver­tre­ten werden.

Aber mit Gewalt?

Die ein­zige, die durch­blickt, ist Sunny, sie betont, dass die Unter­drü­ckung der Frau am Sys­tem liege (S. 180) .Lei­der wird die­ser Gedanke nicht wie­der auf­ge­nom­men. Denn Gewalt gegen Frauen ist kein ›Frau­en­pro­blem‹, son­dern eines der gan­zen Gesell­schaft. Die Ursa­chen geschlechts­spe­zi­fi­scher Gewalt lie­gen in einem unglei­chem Macht­ver­hält­nis begrün­det. Gesamt­ge­sell­schaft­li­ches Ziel sollte es daher sein, die­ses Macht­ver­hält­nis zu besei­ti­gen. Mein fast letz­ter Satz zu einer Aus­sage in die­sem Roman: »Das Grund­ge­fühl zwi­schen Frauen ist Liebe.« (S. 373). Das ist doch fern ab jeg­li­cher Realität!

»Mareike Fall­wickls Roman bleibt zum Glück nicht ste­hen beim Lamento über man­geln­den Fort­schritt in Sachen Gleich­be­rech­ti­gung. Sie gibt ihren Frau­en­fi­gu­ren (und der Lese­rin) Quel­len der weib­li­chen Selbst­er­mäch­ti­gung an die Hand: Selbst­ver­tei­di­gung. Essen. Soli­da­ri­tät unter Frauen.« (Quelle)

Die-Wut-2
Tau­sende demons­trie­ren in Chile gegen Gewalt an Frauen
© Axel Sprin­ger SE. Alle Rechte vor­be­hal­ten. Quelle: WELT/Nicole Fuchs-Wiecha

Und damit kann ein poli­ti­sches Sys­tem geän­dert wer­den? Da hat wohl jemand etwas völ­lig falsch ver­stan­den! Ein Bei­spiel für soli­da­ri­sches Ver­hal­ten mit Hin­wei­sen auf patri­ar­cha­li­sche Struk­tu­ren in der Gesell­schaft ist für mich die chi­le­ni­sche Frau­en­be­we­gung im Som­mer 2022. (Quelle)

Was will eine femi­nis­ti­sche Bewe­gung? Sie strebt eine grund­sätz­li­che Ver­än­de­rung der gesell­schaft­li­chen Nor­men und damit auch der tra­di­tio­nel­len Rol­len­ver­tei­lung und der patri­ar­cha­li­schen Struk­tur an, sie setzt sich ein für poli­tisch-prak­ti­sche Maß­nah­men zur Ver­bes­se­rung der Lebens­chan­cen von Frauen. »Die femi­nis­ti­sche Feel­good-Qua­li­tät die­ses Romans besteht darin, dass Lola und ihre Freun­din­nen nicht beim Hand­kan­ten­schlag ste­hen blei­ben. Sie fin­den Gefal­len am Zurück­schla­gen.« (Quelle). Ist das wirk­lich ernst gemeint?

Ganz sicher kein femi­nis­ti­scher Roman!

Unterschrift
Mar­gret Hövermann-Mittelhaus

2023 rezensiert, Feminismus, Gewalt, Lockdown, Mareike Fallwickl, Pandemie, Patriarchat, Rowohlt Verlag, Österreich