Brendan Behan
» Borstal Boy
Autor: | Brendan Behan (Irland, 1958) |
Titel: | Borstal boy |
Ausgabe: | Hutchinson Verlag 2. Auflage 1960, australische Ausgabe |
Erstanden: | Antiquarisch |
Er war einer der bekanntesten Dramatiker Irlands nach 1945, Brenan Behan. Er war aber auch ein für seine Heimat glühender Ire, der als IRA volunteer mit nicht einmal 17 Jahren 1941 im Besitz von Sprengstoff und Bombenmaterial und auf dem Weg zu einem Attentat verhaftet wurde. Die vollständige Befreiung der gesamten irischen Insel vom kolonialen britischen Joch war seine Motivation.
Nach Wochen der häufig entwürdigenden Untersuchungshaft wird er von einem britischen Gericht verknackt, »nur« zu 3 Jahren Jugendstrafe, leider nicht zu den eigentlich angemessenen 13 Jahren, wie britische Medien und Justiz anmerken. Wie hält es ein stolzer, die gälische Sprache beherrschender 16-jähriger Ire in einem Knast der verhassten englischen Kolonialherren mitten in deren Land aus? Die er nun absolut nicht ausstehen kann, deren Häscher er so beschreibt, S. 11: »A young one with a blonde Herrenvolk head.«
Immerhin kommt er in eines der Borstal Häuser, in Kent unweit des Meeres gelegen, ein »Reformknast«, der auf (harte) Arbeit, Fortbildung und maximal 50 Mann große übersichtliche Gruppen setzt. »Paddy, got a gun?« lautet die Frage des verhaftenden britischen Sergeanten? Nein, denn dann wärt ihr gar nicht in mein Zimmer gekommen, lautet des Erzählers Antwort.
»Paddy«, so werden Iren in Britannien genannt, egal wie alt, welcher Profession, welcher Klasse, eher abwertend denn freundlich gemeint. Es ist die Einführung in ein mehrjähriges Gefängnisleben, es ist die weitgehende Abwesenheit von »Queens English«, ein nicht immer leicht zu verstehender Knastbericht, zum größten Teil in den Dialekten der unteren Klassen geschrieben. Der Iren, Waliser, Schotten, im Dialekt aus Lancashire, in Scouse (Liverpool), Geordie (Newcastle), Cockney und – selten – im näselnden Oxford Dialekt der besitzenden Klasse. In einem Land, in dem bis heute (2023) die Sprache die Klassen bzw. Schichtzugehörigkeit eindeutig bestimmbar macht, etwas was den Gefängnisalltag des jungen Brendan bestimmt, egal ob zwischen den oft solidarisch mit einander lebenden jungen Gefangenen oder im Umgang mit den »Screws«, den Gefängniswärtern. Oder den »Chinas«, den Gefolgsleuten eines Knastinsassen, wo sich – wie im richtigen Leben – Cliquen, Gruppen bilden.
Einem verhörenden Beamten, der sich als Ire aus Cork anbiedert, versucht Brendan zur Spitzeltätigkeit zu überreden, er weist es – trotz angebotener Haftverschonung – brüsk zurück. Brendan wartet sehnsüchtig auf die Heilige Messe, denn er huldigt dem Glauben seiner Vorfahren. Obwohl die Kirche ihn, wegen seiner IRA-Tätigkeit von den heiligen Sakramenten ausgeschlossen hat. Und dem Priester, der von ihm verlangt, der IRA abzuschwören, hält er einen wütenden Vortrag, dass die Kirche doch immer gegen die Armen war. Woraufhin er von den Wärtern zusammengeschlagen wird. – Und dennoch, als er einmal von der Messe ausgeschlossen wird, ist er das erste Mal nahe dem Weinen. Dazu gehört aber auch, dass ein Gottesdienst immer eine willkommene Abwechslung im Gefangenenalltag ist.
Die enge Freundschaft mit einem (englischen) Mitgefangenen, Charlie, hilft ihm sehr. Ebenso wie er durch die bevorstehende Hinrichtung zweier IRA-Mitglieder in Birmingham bedrückt wird. Das britische Personal weist ihn auf deren Schicksal immer wieder hin, immer wiederkehrend in den ersten 150 Seiten des Buchs. Zumal diese Exekution seiner beiden Landsleute deutlich nach einer exemplarischen Bestrafung von zwei Iren aussieht, die nicht unbedingt etwas mit der IRA zu tun hatten.
Brendan hält vor Gericht eine sehr politische Verteidigungsrede und denkt an die kommenden Protestgesänge:
»God save Ireland cried the heroes
God save Ireland cry we all
Whether on the scaffold high or on the battlefield we die,
sure no matter when for Ireland dear we fall.«
Der Bericht des Borstal Boy ist in einer seltenen Weise von Poesie, Lyrik, Liedern und Hymnen an die irische Heimat geprägt. Brendan gewinnt einen Aufsatzwettbewerb in einem der Borstal-Häuser. Lieder gehören in seinen Alltag, erst recht im Gefängnis, bei Arbeit, Ruhe und beim feierabendlichen Zusammensein. Das geht soweit, dass Soldaten eines in Irland eher verhassten Lancashire-Regiments (als Besatzer empfunden), die irischen Lieder lauthals mitsingen. Und ein britischer Offizier, der Brendan bittet, doch irische Revolutionslieder, Lieder der IRA zu singen, je frecher, je offensiver desto besser. Und er, der so gerne gälisch spricht, tut es, singt aber in der Sprache der Besatzer, hat je ein Brite gälisch gelernt? So singen schließlich alle, Gefangene, Screws und Soldaten, Iren, Schotten, Waliser und Engländer lauthals den britischen Militärevergreen »It’s a long way to Tipperary«.
Und es wird weiter gesungen, das Lied von Borstal, »At the rising of the moon«, ein IRA Kampflied und immer wieder:
»The sea, oh the sea, a greadh gheasl mo chroidhe,
Oh, long may you roll between England and me,
God help the poor Scotchmen, they’ll nevber be free,
But we’re entirely surrounded by water«
Worauf selbst der Knastabteilungsboss lachen muss.
Dann folgt das von Behan gedichtete »Kuchenlied« nach dem die Bemerkungen hin- und herfliegen: »He’s an Irishman. Oh’ said Geordie. I sometimes get taken for an Irishman, though I come from Newcastle. It’s on account of talking Geordie (örtlicher Dialekt) …To tell the truth said Joe, when I first ’eard Geordie talk, I thought they were some kind of bloody foreigner.« Aber Brendan entgegnet »Well, everyone is a foreigner out of their own place.«
Gut zwei Jahre im Gefängnis, sich durchsetzen in der Unfreiheit, gedemütigt in kurzen Hosen (Borstals Gefangenenkleidung), auch mit Gewalt, ein explosiver junger Mann, der Beleidigungen von sich oder seiner irischen Heimat in gewaltsamen Wutausbrüchen abwehrt. Und sich so Respekt und einen Freundeskreis im Gefängnis verschafft. Viel Kameradschaft untereinander erlebt, selbst mit so manchem »Screw« [Wärter], wo schon mal in der Gefängniswährung (Tabak/Zigaretten) gehandelt oder Freundlichkeiten ausgetauscht werden. Aber mit seinem Temperament gerät er auch schon mal an den falschen, einen Profiboxer. Mit dem er sich, nach der Prügelei aber gut verträgt.
Behan ist erstaunlich fair gegenüber dem Borstal-Gefängnis und dem Leben dort, fast idyllisch wirkend, wenn sie sich im Sommer des letzten Knastjahres ausführliche Schwimmausflüge an der Nordsee gönnen. Kein Wunder, dass einem jungen Iren, der im Gefängnis erst 18 wird, die Mitgefangenen ans Herz wachsen, und fast eine Heimat für ihn bilden. Insgesamt wird die Knastatmosphäre eine ganz andere nach der Untersuchungshaft und der Überführung nach Borstal. Für die Wärter wird die Überführung fast eine Erholungsreise, die Gefangenen genießen (fast) draußen zu sein, die Behandlung wirkt human, geradezu kollegiale Gespräche zwischen Wärtern und Insassen sind Alltag. Und viel Kameradschaft unter den Knast-Insassen, egal woher sie kommen und wie ihr Slang ist. Und immerhin, auch wenn sie selbst Rugby als einen Sport für Bankangestellte verachten, sie lernen es doch, dank des Engagements eines Offiziers des Gefängnisses.
Zu dem Knastleben gehören auch Rivalitäten und Frotzeleien zwischen Angehörigen der beiden Kirchen, Römisch-Katholisch (RC) und Church of England (CE). Die beschimpfen sich schon mal als Heiden, worauf der Angesprochene wütend antwortet: »E’s got no call to go calling me a bloody ’eathen, even if ’e is only taking the piss« [Das ist keine Art mich einen verdammten Heiden zu nennen, auch wenn er mich nur auf den Arm nehmen will.]. – Ach man könnte noch so viele ironische, witzige despektierliche einander veräppelnde Sprüche in dem dort üblichen Unterklassenjargon zitieren. Und das gegenseitige Erzählen von Geschichten aus ihrem Leben, welche Filme sie gesehen haben, welche Städte.
Der raue Jargon im Borstal-Gefängnis geht für manche über die Grenzen hinaus. Zu Weihnachten soll ein Krippenspiel aufgeführt werden. Als die junge Frau eines Wärters in den Probenraum kommt, heißt es, S.330: »She’s going to act the virgin Mary … I’ll be the Holy Ghost said Joe. The Welshmen looked away, shocked.«
Brendan hat Zugang zu Büchern und liest genussvoll den britischen, sozialkritischen Autor Thomas Hardy; mir wohlbekannt durch den »Mayor of Casterbridge«. Zur Lektüre gehören später Hugh Walpole und die Forsyte Saga. Und ein Zellengenosse weist ihn daraufhin (S. 256) :»Did you know, … there’s a book called ›Crime and punishment‹ – it’s about a geezer that kills an ’ore with an ’atchet.« Schöne Zusammenfassung von Dostojewski im englischen Jargon.
Brendans »Kollegen« sind eine echte »Raupensammlung«, geschmückt mit Spitznamen, S. 308: »Cattrick was called ›Gordon-where’s-your-horse‹ on account of his bandy legs; he killed his father with a hatchet.« Behan selbst pflegt in seinem Buch eine eher nüchterne Sprache, mit Dialektausdrücken und Flüchen gespickt, mit Verszeilen und Liedern geschmückt. IRA Lieder hallen im Gefängnis, Strophen von irischen Gesängen durch Werkstätten, Flure und Bäder. Beim Anstreichen von Türen erschallt die dritte Strophe der Internationale. Wenig schreibt er direkt darüber wie er sich als irischer Nationalist unter lauter Briten fühlt. Nur einmal, als er einen Gesangswettbewerb mit einem Text von seiner Mutter gewinnt. Da verdrückt er sich in eine Ecke, um nicht das obligatorische Abschlusslied »God save the king« mitsingen zu müssen. Und nicht immer gefällt ihm Anbiederei, als einer ihm von irischen Vorfahren erzählen will, winkt er ab, S. 266: »I don’t give a fish`s tit what he was«. In einem anderen Fall gibt er einem Kameraden Recht, wenn der sagt, S.271…it was the fault of the British boss class, that the Irish were forced always into terrorrism to get their demands, which he allowed were just and right.«
Einer der interessantesten Figuren ist der »Chewlips« genannte Mitgefangene, der Sohn eines englischen Obst- und Gemüsehändlers. Der weder lesen noch schreiben kann, aber rechnen. Und Geld und Knast verdient hat durch Gaunereien mit Gemüse und Blumen. Auf Bitten seiner Zellenkameraden zitiert er seinen öffentlichen Ausruf, wenn er mit dem Verkaufskarren unterwegs ist: »Foh-pence a Pahnd-Pehs!«, also 4 Pence für ein Pfund Erbsen.
Endlich, an einem Februartag wird Brendan entlassen, ausgerechnet der Sergeant, der ihn verhaftet hatte, nimmt ihn zur Entlassung in Empfang, S. 338 : »They’ve made a fine man of you, Behan … Well I had to admit … I’d been well looked after.« Woraufhin der Sergeant ihm den Ausweisungsbeschluss der britischen Behörden vorliest.
Mit der unglaublichen Freude des »Borstal Boy« nach mehr als zwei Jahren die Silhouette, die Küsten, die grünen Hügel der irischen Heimat wieder zu sehen, schließt der Roman. S. 340: »Cead mile faite sa bhaile romhat [a hundred thousand welcome home to you]« sagt der irische Grenzbeamte zur Begrüßung, nachdem er Brendans Ausweisungspapier gelesen hat. Und ihn fragt »Caithfidh go builh sé go hiontach bheith saor [It must be wonderful to be free]? »Caithfidh go bhuil [It must] said I, walked down the gangway, past a detective, and got on the train for Dublin« – lautet der Schluss dieses großartigen und faszinierenden Buchs.
Unbedingt lesen
Nachtrag: Ich habe die irische Originalfassung von Brendan Behan gelesen und rezensiert, wenn auch in einer australischen Ausgabe. Das Werk ist 1963 von Curt Meyer-Clason ins Deutsche übersetzt worden. In der notgedrungen sprachliche Feinheiten und Unterschiede der vielfältigen Dialekte nicht immer zum Tragen kommen können.
Der Roman ist mehrfach wieder aufgelegt worden, in Deutsch zuletzt 2019 bei Kiepenheuer & Witsch. Die englischsprachige Originalausgabe gibt es mannigfach antiquarisch, z. B. bei ABE books, aber auch neu bei Nonpareil Books. Das auf dem Buch basierende Theaterstück war jahrelang sehr erfolgreich. Einen zur Liebesgeschichte verkitschten Film kann man sogar bei YouTube bewundern. Allerdings in grottenschlechter Qualität, der weitgehenden Verfälschung des Buchinhalts im Film sozusagen angemessen 🙂
2023 rezensiert, Brendan Behan, Großbritannien, Hutchinson, IRA, Irland, Jugendgefängnis, Originalfassung