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Teheran-1

Shida Bazyar
» Nachts ist es leise in Teheran

Autorin:Shida Bazyar
Titel:Nachts ist es leise in Teheran
Aus­gabe:Kie­pen­heuer & Witsch Ver­lag, 1. Auf­lage 2016, Köln
Erstan­den:anti­qua­risch, gele­sen im Lite­ra­tur­kreis der Fürst Donnersmarck-Stiftung

Teheran-1

»Nachts ist es leise in Tehe­ran. Tags­über so laut. So laut die Men­schen im Hause, so laut ihr Spre­chen, wenn es um Unwich­ti­ges, so laut ihr Zögern, wenn es um Wich­ti­ges geht.« (S. 148). Damit sind die The­men des Romans ›Nachts ist es leise in Tehe­ran‹ von Shida Bazyar grob umris­sen und sol­len hier erklärt wer­den. Shida Bazyar lässt in vier Kapi­teln vier Per­so­nen einer ira­ni­schen Fami­lie zu Wort kom­men. Der Zeit­raum des Erzäh­lens erstreckt sich über meh­rere Jahr­zehnte, begin­nend mit der ira­ni­schen Revo­lu­tion 1979, endend im Jahr 2009 und mit einem Aus­blick in die Zukunft.

Behsad und Nahid flie­hen mit ihren min­der­jäh­ri­gen Kin­dern Laleh und Mo aus dem Iran, weil die Eltern als Kom­mu­nis­ten gegen den Schah gekämpft haben, aber auch unter dem isla­mi­schen Regime von Aja­tol­lah Cho­meini ver­folgt wer­den, nach Deutsch­land. Ihre Toch­ter Tara wird erst in Deutsch­land gebo­ren. Die Autorin Shida Bazyar blickt nun aus den unter­schied­li­chen Erzähl­per­spek­ti­ven der ein­zel­nen Per­so­nen auf die Ereig­nisse. Behsad ist über­zeug­ter Kom­mu­nist, kämpfte gegen »den ame­ri­ka­ni­schen Impe­ria­lis­mus« (S. 25) und musste bei den Demons­tra­tio­nen gegen den Schah mit­er­le­ben, wie sein Freund ange­schos­sen wurde. Gegen den Schah zu demons­trie­ren, war lebensgefährlich.

Als Flücht­ling in der deut­schen Pro­vinz ange­kom­men, fühlt Besah sich als Frem­der, er besucht zwar Sprach­kurse, grenzt sich aber von den Deut­schen ab, denn er möchte in seine Hei­mat zurück­keh­ren. Behsad und Nahid ler­nen Wal­ter und Ulla ken­nen, aber eine enge Freund­schaft ent­steht nicht. Die Unter­schiede, vor allem poli­tisch betrach­tet, sind zu groß und Behsad ver­sinkt in Erin­ne­run­gen. »In die­sem Land haben sie ja alles … es gibt kei­nen Grund sich zu poli­ti­sie­ren und woge­gen sol­len sie schon rebel­lie­ren.« (S. 81).

Auch Nahid zieht sich von den deut­schen Freun­den immer mehr zurück, die Gesprä­che in der Frau­en­gruppe sind ihr pein­lich, wenn sie daran denkt, ihren ira­ni­schen Freun­din­nen von ihrem poli­ti­schen Leben in Deutsch­land erzäh­len zu müs­sen und sie will ihrer Freun­din Ulla nicht sagen, »dass mich ihre Frau­en­gruppe beschämt und ich mich schlecht füh­len würde, dort aktiv zu wer­den. Dass ich Azar und meine ande­ren Freun­din­nen vor mir sehe, wie sie die Stirn run­zeln und den­ken, Nahid, das bedeu­tet es für dich also, als Frau aktiv zu sein? Mit ande­ren Frauen über Gemüse (gemeint ist der Anbau von Bio­ge­müse) und Luft (gemeint ist die Nukle­ar­ka­ta­stro­phe in Tscher­no­byl) zu spre­chen?« (S. 83). Auch sie zieht sich immer mehr in ihre Gedan­ken an die zurück­ge­blie­be­nen Freunde und Fami­li­en­mit­glie­der im Iran zurück. »… und ich denke, wann, wann sol­len wir denn zurück, wenn wir auch noch damit anfan­gen, in die­sem Land in unse­ren Drei­ßi­gern noch­mal zu Stu­den­ten zu wer­den.« (S. 120).

Shida-Bazyar
Shida Bazyars Eltern waren im kom­mu­nis­ti­schen Wider­stand in Iran. Von ihnen hat sie viele Infor­ma­tio­nen, die sie aber frei zu einem aus­ge­spro­chen sou­ve­rä­nen Debüt­ro­man ver­ar­bei­tet hat.
Foto: Joa­chim Gern | Quelle

Im Jahr 1999 fliegt Nahid mit ihren Töch­tern Laleh und Tara nach Tehe­ran. Laleh emp­fin­det das Leben hier als sehr fremd, vor allem wenn ihre Freun­din Ava ihr erzählt: »Eine Freun­din von mir hatte lackierte Fin­ger­nä­gel … sie haben sie ihr aus­ge­ris­sen.« (S. 156). Aber auch Nahid fin­det in Tehe­ran nicht das, was sie sucht. »Was hast du gedacht, Nahid? Dass wir ein­an­der auf den Stra­ßen immer noch hel­fen und bei­ste­hen wie wäh­rend der Revo­lu­tion?« (S. 160).

Laleh dis­ku­tiert mit den Freun­den Ava und Nima über die Situa­tion der Frauen im Iran. Es sei gut, dass Frauen stu­die­ren kön­nen, »aber wem bringt das was, wenn sie hin­ter­her nir­gendwo arbei­ten dür­fen, weil es ent­we­der ihre Män­ner oder die­ses Sys­tem nicht erlau­ben?« (S. 193). Aber auch über das Thema Sexua­li­tät wird gespro­chen, für Laleh keine Frage, dass sie mit ihrem Freund David in Deutsch­land eine sexu­elle Bezie­hung hat, ohne ver­hei­ra­tet zu sein. Ava und Nima müss­ten eine sexu­elle Bezie­hung geheim hal­ten und das »wäre nur ein wei­te­res Geheim­nis auf der Liste der Geheim­nisse, die dies Land zu ver­bu­chen hat. Ein Geheim­nis, das mit der Todes­strafe ver­bun­den ist.« (S. 194).

Nach drei Wochen kehrt die Fami­lie zurück nach Deutsch­land. Die Freunde in Tehe­ran hal­ten Behsad für einen Mär­ty­rer. »Ein Held, der für alle gekämpft hat …« (S. 202). Und Laleh über­legt, ange­kom­men am Flug­ha­fen in Frank­furt: »Wer würde den­ken, dass es ein Mär­ty­rer ist, der uns da abholt. Nicht mehr im Polo, son­dern in einem Toyota.« (S. 203).

Im nächs­ten Kapi­tel geht es um Mo im Jahr 2009, er stu­diert Geo­gra­fie, scheint sich ange­passt zu haben. Aber Äußer­lich­kei­ten las­sen sich nicht anpas­sen, daher reagiert er auf die Frage: »Und, wo kommst du her?« (S. 237) eher aggres­siv, weil er sich aus­ge­grenzt fühlt. Auch bei den Demons­tra­tio­nen gegen die Erhö­hung der Stu­di­en­ge­büh­ren fühlt er sich nicht wohl: »… das Letzte, was ich brau­che, sind Kin­der rei­cher Eltern, die sich über Stu­di­en­ge­büh­ren ärgern und zu Trom­mel­mu­sik tan­zen.« (S. 215). Er ver­steht das nicht als Pro­test, denn er hat die Erzäh­lun­gen sei­ner Eltern im Hin­ter­kopf über die Demons­tra­tio­nen im Iran. So fühlt er sich auch eher den Exil­ira­nern zuge­hö­rig, wenn er an deren Demons­tra­tio­nen teil­nimmt, beson­ders seit dem Aus­bruch der Grü­nen Revo­lu­tion im Iran, der größ­ten Pro­teste seit 1979. »Wer weiß, was nicht viel­leicht schon in den nächs­ten Stun­den pas­sie­ren wird. Viel­leicht etwas so Bri­san­tes und Auf­re­gen­des, dass es die Ver­än­de­rung direkt hier­her zu uns bringt, dass unsere Eltern viel­leicht end­lich ihren Frie­den fin­den, denn irgend­wie war das doch immer das, was zu ihrem Glück fehlte: am Ende doch noch zu gewin­nen, gegen das, was sie hier­her­schickte.« (S. 223).

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1979 fin­den in Iran die Pro­teste gegen den Schah ihren Höhe­punkt. Der Wider­stand kommt aus vie­len Ecken, unter ande­rem von mili­tan­ten Kom­mu­nis­ten wie dem Vater Behsad im Roman von Shida Bazyar.
Foto: Keystone/ Getty Images | Quelle

Im Epi­log wagt Tara, die aus­schließ­lich in Deutsch­land auf­ge­wach­sen ist, einen mög­li­chen Blick in die poli­ti­sche Zukunft des Iran: »Kei­ner hat die Vor­zei­chen bemerkt. Jahr­zehn­te­lang ein Got­tes­staat. Jetzt ein Sym­bol gegen den Ter­ror in der Region.« (S. 275). Das wäre auch ein Hoff­nungs­schim­mer für Behsad und Nahid, denn Tara glaubt, dass ihre Eltern dann schon längst auf dem Weg zum Flug­ha­fen wären. Lei­der ist das nur ein mög­li­cher Blick in die Zukunft des Iran, eine reine Uto­pie, die Rea­li­tät sieht anders aus, wenn das Mul­lah-Regime seit Jahr­zehn­ten die Frauen im Iran unter­drückt, aber den­noch: Seit Ende 2022 ver­su­chen die Frauen ihre Frei­heit zurück zu erobern.

Shida Bazyar hat uns auch einen Teil ihrer Lebens­ge­schichte erzählt, wenn sie in ihrem Roman über drei Gene­ra­tio­nen auf die Schwie­rig­kei­ten der Inte­gra­tion, der Migra­tion, der Selbst­fin­dung und der Suche nach der Hei­mat ein­geht. Ein wich­ti­ger Roman über die poli­ti­sche Situa­tion im Iran und die Lage der Frauen, die seit Ende des Jah­res 2022 um ihre Frei­heit kämpfen.

Unbe­dingt lesen!


Nach­trag: Es ist immer wie­der berei­chernd, mit ande­ren über Bücher zu dis­ku­tie­ren, wie in unse­rem Lite­ra­tur­kreis. Posi­tiv wurde her­vor­ge­ho­ben, dass die Erzäh­le­rin aus unter­schied­li­chen Per­spek­ti­ven berich­tet, wodurch aber auch der ›rote Faden‹ drohe ver­lo­ren zu gehen. Die Sehn­sucht nach der Hei­mat stehe im Vor­der­grund und damit der Blick der Migran­ten auf die deut­sche Gesell­schaft, die wie Besad for­mu­liert, keine Revo­lu­tion benö­tige, die Deut­schen hät­ten doch alles. Gut gehe es den Prot­ago­nis­ten nicht, wurde fest­ge­stellt, denn ihr Ziel sei die Rück­kehr nach Tehe­ran, dar­auf wür­den sie jedoch eher resi­gniert war­ten. Auch die poli­ti­sche Ein­stel­lung der drei Kin­der sei nicht deut­lich gewor­den, vor allem bei Mo, der auf der Suche nach sich selbst sei. Es wurde dis­ku­tiert, dass das Buch zu wenig his­to­ri­schen Hin­ter­grund böte und dadurch letzt­lich ober­fläch­lich sei. Man könne aber von einem Buch nicht alles erwar­ten, die eige­nen Wün­sche könne das jewei­lige Buch nicht erfül­len, son­dern nur die Vor­stel­lun­gen der Autorin.

Unterschrift
Mar­gret Hövermann-Mittelhaus

2023 rezensiert, Iran, Kiepenheuer & Witsch, Migration, Rassismus, Shida Bazyar