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Owen Jones
» This land – struggle for the left

Autor:Owen Jones (Groß­bri­tan­nien, 2020)
Titel:This land - struggle for the left
Aus­gabe:Pen­guin Books, 2021, eng­li­sche Originalfassung
Erstan­den:Von mei­ner Tochter

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Sel­ten hat ein euro­päi­sches Land eine sol­che Abfolge zwei­fel­haf­ter Regie­rungs­chefs gezeigt wie Groß-Bri­tan­nien: Vom Polit­clown und Corona-Regel­bre­cher John­son über die Kür­zest-Pre­mie­rin Liz Truss bis zum Mul­ti­mil­lio­när Sunak, der sich lie­ber um seine pri­vate Pool­hei­zung küm­mert, als um rund 4 Mil­lio­nen frie­ren­der und vom Brexit gebeu­tel­ter Bri­ten. Die ent­we­der essen oder hei­zen kön­nen. Wo in der Corona-Zeit die Nut­zung der Tafeln um 329% gestie­gen war.

Warum wurde eine sol­che merk­wür­dige Riege, die zudem noch ein Frie­dens­ab­kom­men Russ­land-Ukraine aktiv ver­hin­dert hat, nicht schon lange von der Regie­rung des Lan­des abge­löst? Wo doch die Labor Par­tei unter Jeremy Cor­byn in 2017 schon so nahe an einem Wech­sel war?

Genau dem geht Owen Jones in sei­nem Buch »This Land – Struggle for the left [Der Kampf für die Linke]« nach. Zu Beginn gibt es einige nütz­li­che his­to­ri­sche Exkurse. Beson­ders wich­tig die Hin­weise auf den Weg­fall der Indus­trie-Arbeits­plätze gegen Dienst­leis­tungs­jobs. Eine frag­men­tierte bri­ti­sche Arbei­ter­klasse und einen gerin­gen gewerk­schaft­li­chen Orga­ni­sa­ti­ons­grad, also viel Erbe der That­cher-Ära, aber auch der Zeit von Tony Blair.

Jones arbei­tet gründ­lich her­aus, wel­che Feh­ler die Labor-Linke um Cor­byn gemacht hat, aber auch wel­che Fak­to­ren der bri­ti­schen Lin­ken das poli­ti­sche Leben sauer gemacht haben. Man erfährt man­nig­fal­tige Details aus der bri­ti­schen Poli­tik so die Stu­di­en­ge­büh­ren­lüge der eins­ti­gen Lib­Dems, dass Ed Mil­li­band den neo­li­be­ra­len Kurs von Blair nicht wirk­lich änderte.

Dass Labors Brexit-Kurs für den Ver­lust der schot­ti­schen Man­date sorgte, die an die SNP gin­gen. Dass der einst sieg­rei­che Cor­byn und mit ihm die Labor Party sich in GB nicht durch­set­zen konnte, ist in der Summe gleich einer Reihe von Fak­to­ren zu ver­dan­ken: Nicht nur, dass Cor­byn erst 2015 an die Spitze der Labor-Par­tei kam und diese unter Blair eine ähn­lich unrühm­li­che Rolle spielte wie hier­zu­lande Herr Schrö­der bei sei­nem Hart­zIV-Sozi­al­ab­bau. Und einen Tony Blair, den selbst die größte Demons­tra­tion der Nach­kriegs­zeit mit 2 Mil­lio­nen Teil­neh­mern nicht davon abhielt, die USA im Krieg gegen den Irak zu unter­stüt­zen. Nach zehn Jah­ren Blair hat­ten mehr als die Hälfte der Mit­glie­der Labor ver­las­sen. Eine starke »Gras­wur­zel-Bewe­gung (Momen­tum) bil­dete sich spät, näherte sich Labor und trat z. T. mas­sen­weise in die Par­tei ein. »Cor­by­nism: an unsta­ble coali­tion of older acti­vists and youn­ger sup­port­ers« schreibt Jones. Für viele der Cor­byn-Oppo­nen­ten aber war seine Ableh­nung west­li­cher Mili­tär­in­ter­ven­tio­nen der zen­trale Punkt zur Geg­ner­schaft zu sei­ner Führung.

2017 machte die dama­lige Pre­mier­mi­nis­te­rin The­resa May den Rie­sen­feh­ler, Neu­wah­len aus­zur­u­ru­fen, trotz grot­ti­ger Pro­gno­sen schaffte es Labor unter Cor­byn eine posi­tive Wahl­stim­mung zu erzeu­gen. Der Slo­gan »For the many, not the few« zog, der Tory-Sieg fiel recht knapp aus, The­resa May musste die stock­rechte nord­iri­sche DUP zu Hilfe nehmen.

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Owen Jones | Publi­zist und Autor des Guardian

Jones berich­tet viel­fäl­tig, was das polit­sche Mani­fest von Labor ent­hält (Umver­tei­lung per Rei­chen­steuer), dass es Gewerk­schafts­un­ter­stüt­zung gab, wie der Wahl­kampf geführt wurde, wel­che Videos es dazu gab. Die Tories bekom­men dop­pelt so hohe finan­zi­elle Unter­stüt­zung wie Labor, aber die Social Media Cam­paign von Momen­tum und Jeremy Cor­byn erzie­len rie­sige Reich­wei­ten. Selbst die Ter­ror­an­schläge in Lon­don und Man­ches­ter konn­ten damit nicht als Anti-Labor-Kam­pa­gne die­nen. Aller­dings tra­ten große Unter­schiede zwi­schen den tra­di­tio­nel­len Labor-Regio­nen im Nor­den und der jun­gen Momen­tum-Bewe­gung im Süden der Insel zu Tage.

Aber nach 2017 über­schat­tet der ultra­ra­di­kale Brexit-Popu­lis­mus alles andere, mit kei­nem Thema konnte man dage­gen ankom­men, wie ich selbst als Zuhö­rer eines Brexit-Podi­ums in Chel­ten­ham ver­fol­gen konnte. Das Thema spal­tete zudem nicht die Tories, son­dern Labor, auch deren Wäh­ler­schaft. Remain und leave gleich­zei­tig zu ver­tre­ten schei­terte eben­falls. Eine klare Hal­tung zum Brexit gab es bis zum Schluss in der Par­tei nicht. Der Streit um ein zwei­tes Refe­ren­dum, was Keir Star­mer unter­stützte, ver­bes­serte die Situa­tion kei­nes­wegs. Die Argu­mente für »Remain« waren ratio­nal, nüch­tern, wie­sen auf mit dem »Leave« ver­bun­dene Wirt­schafts­pro­bleme hin. »Leave« trat dage­gen rein emo­tio­nal auf. Man behaup­tete es ginge um ein »take back con­trol« und gegen Immi­gran­ten und log scham­los von den angeb­li­chen Mil­lio­nen, die dem Gesund­heits­sys­tem NHS nach dem Brexit jede Woche zukom­men wür­den. Also Brexit hat ein­fach den Sau­er­stoff aus all den The­men gesaugt, in denen Cor­byn gut war. Und die Labor hätte Gegen­kam­pa­gnen machen kön­nen, wo die Par­tei aber ver­sagt hat. Eine Pres­se­mit­tei­lung macht eben noch keine Kampagne.

Die inter­nen Strei­te­reien bei Labor, sei es um den Brexit oder die »Change UK« Kam­pa­gner (der Labor-Rech­ten) trug ebenso viel zum Ver­lust an Wäh­ler­ver­trauen und der Zustim­mung zum Cor­by­nism bei, schreibt Jones, S. 201: »Now howe­ver labor was beco­ming dan­ge­rously enmes­hed in par­lia­men­tasry batt­les, whose intri­cacy made them lar­gely incom­pre­hen­si­ble to the wider public, and fed a sense of exhaus­tion and bore­dom in the electorate.«

Unge­fähr der Todes­stoß für Cor­byn war eine Schmutz­kam­pa­gne gegen ihn, mit Anti­se­mi­tis­mus Vor­wür­fen, auf­ge­baut auf einen Post in einem Uralt-Face­book-Account. Den er aller­dings trotz Anra­ten nicht deak­ti­vierte. Cor­byn hätte das Ganze lei­der nicht ernst genom­men und Mög­lich­kei­ten zu Kon­tak­ten mit jüdi­schen Per­sön­lich­kei­ten nicht wahr­ge­nom­men. Durch die Anti­se­mi­tis­mus-Kam­pa­gne dreht sich die öffent­li­che Mei­nung zu Cor­byn, gleich­zei­tig ver­lor er viel von sei­ner Per­sön­lich­keit. Und auch die von den Brexit-Lügen bestimmte Unter­haus­wahl in 2019. Jones geht aller­dings davon aus, dass unter einer Labor-Füh­rung der Blai­ri­tes die Nie­der­lage noch viel schlim­mer gewe­sen wären. Dazu gibt er eine inter­es­sante Ein­tei­lung des Labor-Lagers: 1/3 wählt jeden lin­ken Kan­di­da­ten, 1/3 wählt jeden Labor-Kan­di­da­ten, nur 1/3 ist unent­schie­den. Cor­byns kon­se­quent linke Pro­gramm ist aber ein Ver­mächt­nis für Labor. Nur frage ich mich, was wird ein Keir Star­mer dar­aus machen?

Das Fazit aus »This land – The struggle for the left« von Owen Jones, woran Jeremy Cor­byn und die Labor Linke scheiterte:

  • Eine jah­re­lange unge­heure Ver­leum­dungs­kam­pa­gne bri­ti­scher Mas­sen­me­dien. Die noch weit unter dem Niveau der Bild-Zei­tung erfolgte, selbst im Rund­funk und tw. der BBC. S.5: »Cor­byn hims­elf was sub­jec­ted to a cha­rak­ter ass­as­si­na­tion cam­paign unpre­ce­den­ted in Bri­tish poli­ti­cal history«
  • Dem Popu­lis­ten­er­folg des Brexit und dass Labor dar­über gespal­ten war.
  • Große Teile der Labor Man­dats­trä­ger haben von Anfang an aktiv gegen Cor­byn gear­bei­tet, so die meis­ten Unterhaus-Abgeordneten.
  • Man­gelnde Unter­stüt­zung durch den Parteiapparat.
  • Die starke Unter­stüt­zung der bri­ti­schen Gras­wur­zel­be­we­gung (Momen­tum) allein reichte nicht.
  • Das Feh­len einer aus­ge­ar­bei­te­ten Stra­te­gie nach Cor­byns Wahl zum Vorsitzenden
  • Keine aus­rei­chende Kampagnenstruktur
  • Fal­sche und unge­nü­gende Reak­tio­nen auf die Anti­se­mi­tis­mus Vor­würfe gegen Corbyn
  • Feh­ler, die in der Per­son Cor­byns begrün­det lie­gen: Wochen­lange Rück­züge und Abwe­sen­heit, man­gelnde Angriffs­lust, Kon­flikt­scheu­heit, Füh­rungs­schwä­che, er kann nicht nein sagen und geht nicht auf Main­stream-Medien ein.
  • Das Duo Johnson/Cummings wurde nicht ernst genommen.
  • Und genau die­ses Schei­tern von Labor ist die Erklä­rung dafür, warum ein euro­päi­sches Land mit gro­ßer demo­kra­ti­scher Tra­di­tion seit Jah­ren Regie­run­gen bekommt, mit Leit­fi­gu­ren, die man eher in einer schlech­ten Ope­rette ver­mu­ten würde.

Owen Jones lehrt viel über jüngste bri­ti­sche Geschichte, aber zu viele Details, die sei­nem eige­nen Enga­ge­ment als Social Media Mana­ger im Team Cor­byn geschul­det sind, erschwe­ren die Les­bar­keit. Zu dem Swing bei den Unter­haus Wah­len 2019 und im Nor­den erklärt er prak­tisch nichts. Manch­mal wäre sicher mehr Distanz und weni­ger inter­ner Klatsch und Tratsch bes­ser gewe­sen. Man­che der Labor-Interna, die Jones anführt, hören sich für mich wie »Erwach­se­nen-Kin­der­gar­ten« an. Das Ganze ist den­noch ein lehr­rei­ches Mus­ter­stück aus Groß­bri­tan­nien über den Sieg eines skru­pel­lo­sen Popu­lis­mus mit­samt scham­lo­sen Medi­en­kam­pa­gnen jen­seits jeder jour­na­lis­ti­schen Ethik, ein Dr. Goeb­bels hätte gra­tu­liert. Es ist aber auch ein Lehr­stück über die Unei­nig­keit und das Ver­sa­gen einer Lin­ken in Groß­bri­tan­nien, die – unter dem Ein­druck des Ukraine-Kriegs – bis­her nicht die Kon­se­quen­zen zie­hen konnte. Eine Labor­par­tei unter Keir Star­mer ent­wi­ckelt sich zu deut­lich in die Rich­tung der eins­ti­gen »Blai­ri­tes« – jammerschade!

Lehr­reich


Nach­trag: Owen Jones ist einer der bekann­tes­ten bri­ti­schen Jour­na­lis­ten und Publi­zis­ten, er arbei­tet für die Zei­tun­gen »The Guar­dian« und »The Inde­pen­dant«. Seine Kolum­nen kann man hier ver­fol­gen. Von sei­nen Büchern ist nach mei­ner Recher­che nur eines über­setzt wor­den: »Prolls. Die Dämo­ni­sie­rung der Arbei­ter­klasse«; der damals her­aus­ge­bende Ver­lag André Thiele ging 2015 in die Insol­venz. Owen Jones Spra­che ist jedoch so gut ver­ständ­lich, dass man ihm auch mit Eng­lisch­kennt­nis­sen auf dem Niveau A3/B1 fol­gen kann.

2023 rezensiert, Brexit, Großbritannien, Jeremy Corbyn, Labor Party, Owen Jones, Penguin, Politik, Tony Blair, Tories