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Entmannung

Christa Rei­nig
» Ent­man­nung

Autorin:Christa Rei­nig (1976)
Titel:Ent­man­nung
Aus­gabe:Samm­lung Luch­ter­hand, Düs­sel­dorf 1977
Erstan­den:anti­qua­risch

Entmannung

Die zen­trale Figur in die­sem Roman ›Ent­man­nung‹ ist ein Mann. Am Schluss des Romans ist aus dem Mann eine Frau gewor­den – der Titel lässt es schon erah­nen. Was sich auf der erzäh­le­ri­schen Ebene so ein­fach anhört, muss gleich revi­diert wer­den. Die­ser Roman ist schwere Kost – auch für eine geübte Leserin!

In Form von phan­tas­ti­schen, geist­rei­chen Streit­ge­sprä­chen setzt sich Christa Rei­nig mit der patri­ar­cha­li­schen Kul­tur aus­ein­an­der. Als fik­tive Gesprächs­part­ner tau­chen z. B. Sig­mund Freud oder Mr. Hitch­cock auf. Otto Kyra, die zen­trale Figur, möchte her­aus­fin­den, was Frau zu sein heut­zu­tage bedeu­tet und, ob sich das Geschlech­ter­ver­hält­nis im Laufe der Jahr­zehnte schon ver­än­dert hat. Er umgibt sich also mit vier Frauen und lebt einen weib­li­chen All­tag. Obwohl diese vier Frauen genau wis­sen, dass sie ihr Leben ver­än­dern müs­sen, um sich zu eman­zi­pie­ren, ver­hal­ten sie sich nicht so, also schei­tern sie. Es sind Frauen aus dem all­täg­li­chen Leben, die sich um Otto grup­pie­ren. Im Schluss­ka­pi­tel stellt Christa Rei­nig eine Uto­pie vom ent­mann­ten Leben vor, eine Fik­tion des fried­li­chen Mit­ein­an­ders. Dar­ge­stellt aber nicht in einer fik­tio­na­len Wirk­lich­keit, son­dern auf dem Thea­ter. Dafür dekon­stru­iert sie die Ores­tie von Aischy­los. Für Christa Rei­nig ist der Geschlech­ter­kampf dem­nach nur zu lösen auf der Ebene der dich­te­ri­schen Phantasie.

Lite­ra­tur­kri­ti­ker sind sich einig, mit die­sem Roman schrieb sich Christa Rei­nig ihren Weg in die Frau­en­be­we­gung der 70er Jahre. Sie wurde »zur häu­fig zitier­ten Vor­kämp­fe­rin der Frau­en­be­we­gung. ›Aus­brü­che, Auf­brü­che und Abbrü­che‹ kon­sta­tierte Ulla Hahn als Cha­rak­te­ris­tika in ihrer Rei­nig-Lau­da­tio 1993 anläss­lich der Ver­lei­hung der Ros­wi­tha-Medaille.« Quelle (https://​lite​ra​tur​kri​tik​.de/​i​d​/​1​2​418) Gewür­digt wird mit die­ser Aus­zeich­nung eine her­aus­ra­gende lite­ra­ri­sche Ein­zel­leis­tung einer in Europa leben­den und täti­gen Schriftstellerin.

Christa Rei­nig sagt über sich selbst, dass sie mit die­sem Roman ihren Weg in die Frau­en­be­we­gung gefun­den und eine radi­kal femi­nis­ti­sche Posi­tion ver­tre­ten habe. Mit vie­len ande­ren aner­kann­ten Autorin­nen, z. B. Verena Ste­fan, ›Häu­tun­gen‹, stand sie im Lite­ra­tur­be­trieb der 70er Jahre ziem­lich alleine da.

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Frank­fur­ter Antho­lo­gie : Christa Rei­nig: »Brief­schrei­ben­müs­sen« Video: dpa, Tho­mas Huber, Bild: dpa | Quelle

»Christa Rei­nigs Texte lesen sich heute inhalt­lich wie ästhe­tisch hoch­in­ter­es­sant. Ihre Stimme ist scharf und humor­voll, ein­zig­ar­tig und gewich­tig. Trotz­dem – oder des­halb? – ist sie inzwi­schen fast ver­ges­sen.« Quelle https://​blog​.muench​ner​-stadt​bi​blio​thek​.de/​c​h​r​i​s​t​a​-​r​e​i​n​i​g​-​w​e​r​-​h​a​t​-​a​n​g​s​t​-​v​o​r​-​d​e​r​-​a​u​t​o​r​i​n​-​u​n​d​-​f​e​m​i​n​i​s​t​i​n​-​e​i​n​e​-​a​n​a​l​y​s​e​-​v​o​n​-​n​i​c​o​l​e​-​s​e​i​f​e​r​t​-​f​e​m​a​l​e​h​e​r​i​t​a​ge/. Mit­tels Satire hat Christa Rei­nig die patri­ar­cha­li­sche Ideo­lo­gie in den Köp­fen der Män­ner und Frauen entlarvt.

Hier Bei­spiele aus ihrem Roman ›Ent­man­nung‹:

  • »Die neu­es­ten wis­sen­schaft­li­chen For­schun­gen haben erge­ben: Die Welt ist eine Män­ner­welt. Es gibt zwei Mög­lich­kei­ten für eine Frau, in die­ser Welt vor­han­den zu sein, als weib­li­che Frau oder männ­li­che Frau.« (S. 6).
  • »Am nächs­ten Mor­gen wei­gert Her­zel sich die roten Strumpf­ho­sen anzu­zie­hen. Sie pas­sen nicht zum blauen Mini­röck­chen. Menni muß sich ein­ge­ste­hen, daß Her­zel recht hat. Aber wer hat Her­zel diese weib­li­chen Vor­ur­teile ein­pro­gram­miert?« (S. 12).
  • »Wenn eine Frau so sehr zum Objekt des Man­nes wird, daß sie selbst nicht mehr weiß, ob sie über­haupt noch ein Lebe­we­sen ist oder nur ein Ding, dann begreift sie die Ohr­feige ihres Gat­ten als eine Bestä­ti­gung ihres Leben­digs­eins im Schmerz.« (S. 36).
  • »Ich bin nur eine Frau. Wir Frauen haben in der Welt­ge­schichte nichts voll­bracht außer, daß wir die Schürze erfun­den haben.« (S. 47).
  • »Es geht um mei­nen Bauch. Jeder darf ihn besit­zen: der Gatte, der Sohn, der Rich­ter, der Arzt. Ich allein, ich habe auf ihn kei­nen Eigen­tums­an­spruch.« (S. 49).
  • »Allein mit dem Geld­zäh­len bin ich eher fer­tig als meine männ­li­chen Kol­le­gen. Und ich trag auch leich­ter an mei­nen Schei­nen, daher der Name Leicht­lohn. Weil näm­lich die Arbei­ter­frau einer ande­ren Klasse ange­hört als der Arbei­ter­mann.« (S. 65).
  • »Mon­si­gnore sagt: ›Küche, Kin­der, Kir­che, das sind die Bas­tio­nen der Frau­en­macht. Diese Stel­lun­gen soll­ten sie nicht räu­men, um eine Chi­märe, die sich Gleich­be­rech­ti­gung nennt. Beson­ders der Kampf­platz der Küche sollte einer Frau nicht feil sein für einen Sitz im Par­la­ment.‹ «(S. 94).

Die­ser Roman ist schwere Kost – auch für eine geübte Leserin!

Aber lesens­wert!

Unterschrift
Mar­gret Hövermann-Mittelhaus

2023 rezensiert, Christa Reinig, Feminismus, Frauenbewegung, Orestie von Aischylos, Patriarchat, Sammlung Luchterhand