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Julia Schoch
» Das Lie­bes­paar des Jahrhunderts

Autorin:Julia Schoch
Titel:Das Lie­bes­paar des Jahrhunderts
Aus­gabe:dtv Ver­lags­ge­sell­schaft, 4. Auf­lage 2023
Erstan­den:von mei­ner Nachbarin

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Schon auf der zwei­ten Seite des Romans musste ich inne­hal­ten. Die Ich-Erzäh­le­rin hat sich ver­liebt und betont schon nach einer Woche des Kenn­ler­nens: »Ich war näm­lich längst dabei mich auf­zu­ge­ben.« (S. 10). Doch alles vor­weg­neh­men, will ich nicht.

»Das Lie­bes­paar des Jahr­hun­derts« so der Titel des Romans von Julia Schoch ist kein reprä­sen­ta­ti­ves Lie­bes­paar unse­res Jahr­hun­derts, auch nicht eines wie Du und Ich – es spielt im intel­lek­tu­el­len Kreis der 90er Jahre – und will in ers­ter Linie der Lese­rin erklä­ren, was Liebe ist.

Einen der ers­ten Sätze habe ich oben zitiert, hier einer der letz­ten Sätze: »Ich war schon lange nicht mehr dar­über zor­nig, dir jah­re­lang blind vor Liebe gefolgt zu sein. Ich bereute nicht, dass ich abhän­gig von dir gewe­sen bin.« (S. 187). Zwi­schen die­sen Sät­zen spielt sich der ganze Roman ab, oder wenn man will, fast ein gan­zes Leben.

Die namen­lose Ich-Erzäh­le­rin, eine Schrift­stel­le­rin, erzählt von ihrem Leben, vom ers­ten Tref­fen, der dann begin­nen­den Bezie­hung, der wei­te­ren Ent­wick­lung der Bezie­hung und – der Liebe. Es han­delt sich um eine sehr lange zurück­bli­ckende Erin­ne­rung, denn die Bezie­hung dau­ert inzwi­schen schon 30 Jahre. Noch­mal zu den ent­schei­den­den Sät­zen des Anfangs zurück! Der zweite Satz lau­tet: »Ich ver­lasse dich.« (S. 7). Auf den fol­gen­den 180 Sei­ten sam­melt die Ich-Erzäh­le­rin Gründe, warum sie ihren Mann ver­las­sen will. Man hat den Ein­druck, die Ich-Erzäh­le­rin sucht wie beses­sen nach Grün­den, viel­leicht weil das Schei­tern einer Bezie­hung heut­zu­tage zu einer Bezie­hung dazu­ge­hört? Sie spricht ihren auch namen­lo­sen Mann mit »du« an, aber ein Gesprächs­part­ner ist er nicht, seine Gedan­ken oder Gefühle erfah­ren wir nicht. Dies ist »eine lite­ra­risch häu­fig glück­lose Aus­gangs­lage, ers­tens weil es eine schwer nach­voll­zieh­bare Erzähl­si­tua­tion her­stellt, zwei­tens, weil es eine ver­kramp­fende Fest­le­gung ist.« Quelle

Die Ich-Erzäh­le­rin betont immer wie­der das Posi­tive, die gemein­sa­men Erfah­run­gen, in der DDR groß gewor­den zu sein, mit den glei­chen Ent­täu­schun­gen und Sehn­süch­ten, und die Attrak­ti­vi­tät ihres Man­nes, ein Char­meur, auf den die Frauen flie­gen. Gemein­sam haben sie den Fall der Mauer erlebt: »Es herrschte Frei­heit, wie es damals hieß, die Welt stand uns offen.« (S. 14). Dass sie zwei Kin­der in die Welt gesetzt haben, wird als »Pro­jekt« bezeich­net, auch die Kin­der sind namenlos.

Die Ich-Erzäh­le­rin beginnt ein Stu­dium, geht ins Aus­land, lei­det sehr unter der Abwe­sen­heit ihres Freun­des und betont: »Jemand dachte an mich: du. Also exis­tierte ich.« (S. 32). Sie kehrt nach Deutsch­land zurück, wird begrüßt von ihren Mit-Stu­den­tin­nen, die beto­nen, dass die Ich-Erzäh­le­rin sich sehr ver­än­dert habe. Ihre Ant­wort: »Ich wollte nicht mehr ich sein.« (S. 40). Sie zie­hen in eine grö­ßere Woh­nung, der Mann ist beruf­lich erfolg­reich, sie bekom­men zwei Kin­der, sie über­nimmt die Haus­ar­beit und die Erzie­hung der Kin­der. »Alles, was ich tat, oder unter­ließ, geschah in Abhän­gig­keit von dir.« (S. 63). Der All­tag bestimmt ihr Leben, nicht mehr das Ver­rei­sen, Feste fei­ern mit viel Alko­hol oder kul­tu­relle Events wie in den ers­ten Jah­ren ihrer Bezie­hung. Ist das ein Grund, um unglück­lich zu sein? Put­zen, Auf­räu­men und Staub­wi­schen betrach­tet sie als »Schick­sal« (S. 93).

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Autorin Julia Schoch © Ulrich Burk­hardt | Quelle

Es han­delt sich nicht um eine Bezie­hung, in der stän­dig gestrit­ten wird oder Sei­ten­sprünge statt­fin­den. Es ist der Trott des All­tags, beruf­lich und fami­liär. Ihre Unzu­frie­den­heit drückt sich z.B. darin aus, wenn sie bestimmte Tätig­kei­ten ihres Lebens auf­zählt: 42 Rei­sen, vier Küchen, sechs ver­schie­dene Autos, 924 Halma-Par­tien, 8667 Schul­brote, 41 Geburts­tags­tor­ten, u. ä. Zum Ende des Romans betont sie jedoch, dass es sich um ein »erfüll­tes Leben« (S. 191) gehan­delt habe, trotz der immer wie­der auf­ge­tre­te­nen Unzufriedenheit.

Jetzt meine grund­sätz­li­che Kritik:

Zeit­ge­sche­hen, so die Jahr­zehnte der soge­nann­ten Wende tau­chen immer wie­der am Rande auf, denn beide Per­so­nen haben mit ihren Eltern in der DDR gelebt. »Es sollte noch eine ganze Weile dau­ern, Jahr­zehnte, bis sich unsere Sicht auf unsere Eltern änderte. Ich weiß nicht genau, wann es ange­fan­gen hat, ob vor der Geburt der Kin­der oder erst danach, aber irgend­wann benei­de­ten wir sie. Wir benei­de­ten sie um ihre Frei­zeit, die andau­ern­den Rei­sen, die stän­di­gen Unter­neh­mun­gen, ihr abwechs­lungs­rei­ches, chil­li­ges Leben.« (S. 35). Diese Aus­sage dürfte sich jedoch auf eine sehr geringe Anzahl ehe­ma­li­ger DDR Bewoh­ner bezie­hen, ich halte sie für sehr oberflächlich.

Auch der Aus­sage der Lite­ra­tur­kri­ti­ker: »Als Lese­rin kann man sich der Geschichte kaum ent­zie­hen, man ver­gleicht, lei­det mit, erkennt sich selbst.« (Quelle) kann ich auf gar kei­nen Fall zustim­men, vor allem, weil die Ich-Erzäh­le­rin am Ende for­mu­liert: »Wie es aus­sieht, ist die Eman­zi­pa­tion der Tod der Liebe.« (S. 156).

Rück­wärts­ge­wandte Literatur!

Unterschrift
Mar­gret Hövermann-Mittelhaus

2023 rezensiert, autofiktionales Schreiben, dtv, Julia Schoch