Susanne Kerckhoff
» Die verlorenen Stürme
Autorin: | Susanne Kerckhoff |
Titel: | Die verlorenen Stürme (1947) |
Ausgabe: | Verlag Das kulturelle Gedächtnis, Berlin 2021 |
Erstanden: | antiquarisch |
Der Roman ›Die verlorenen Stürme‹ von Susanne Kerckhoff wurde 1947 erstmals veröffentlicht und 2021 erschien eine Neuausgabe im Verlag Das Kulturelle Gedächtnis. Im Roman befinden wir uns im Jahr 1932 für einige Wochen in Berlin, die jugendliche Marete ist Protagonistin dieses Romans. Es handelt sich um einen frühen Widerstandsroman gegen die Nationalsozialisten, der sicher auch autobiografische Züge trägt. Marete wohnt bei ihrem Vater, einem Schriftsteller, der sich in die Literatur zurückgezogen hat und mit der Realität möglichst wenig zu tun haben möchte, letztendlich interessiert Politik ihn nicht. Im Gegensatz zu seiner Tochter, die ihren Vater angreift: »Kunst und Kunst – in den Staub muss man die Kunst treten, wenn sie nur dazu dient, sich zu drücken! Etwas von Freiheit und Menschlichkeit vordudeln und nichts dazu tun, daß es Wirklichkeit werde! Weil es ja auch alles nicht ernst ist! Es ist euch ja alles nur ein Spiel! Ihr meint ja mit Freiheit nur eure verdammte Bequemlichkeit!« (S. 208).
Marete besucht ein fortschrittliches Gymnasium in Berlin, in dem sogar die Schülerinnen und Schüler darüber abstimmen dürfen, ob dem Verein für das Deutschtum im Ausland hier ein Podium geboten werden sollte. Die Schulgemeinschaft stimmt dagegen. Marete will sich weiter politisch einsetzen gegen die Nazis. Sie träumt von der Durchsetzung der Menschenrechte, denn alle Menschen sind gleich, auch die Juden. Marete und ihre auch jüdischen Freundinnen engagieren sich und wollen den Terror gegen Juden und Andersdenkende nicht einfach hinnehmen, wie Marete es bei ihrem Vater beobachtet. Auch die Schule bietet ihnen keine Stütze, im Gegenteil, der fortschrittliche Gedanke der Schule tritt immer mehr in den Hintergrund, die Lehrer, die sich noch trauen etwas gegen den Nationalsozialismus zu sagen, werden aus zwielichtigen Gründen entlassen und die Lehrer, die die NSDAP unterstützen, treten immer mehr in die Öffentlichkeit.
Susanne Kerckhoff (1918 – 1950) | Quelle
Marete glaubt, dass sie anhand von Diskussionen überzeugen könnte, wenn sie sich weigert Kriegslieder zu singen, um dann mit ihrer Klasse zu diskutieren. Oder wenn im Geschichtsunterricht über die Helden des 1. Weltkriegs gesprochen wird, Marete sich meldet und sagt: »Das ist kein Held, der seine Leute sinnlos opfert – das ist einfach teuflisch!« (S. 18). Häufig wird sie jedoch von den Braunhemden in der Klasse einfach niedergebrüllt. Aber Marete glaubt weiter, dass die Deutschen sich von den Nazis abwenden werden, denn sie sind doch kultivierte Menschen. Sie stellt fest, dass die Nazis immer mehr Zustimmung bekommen, jetzt in der Öffentlichkeit auftreten und ihre Aktionen brutaler werden. Sie tritt der Jugendorganisation der Sozialistischen Arbeiterpartei bei, um organisiert gegen die NSDAP kämpfen zu können. Ihre Freundin Lilly ist schon mit ihren Eltern nach Palästina ausgewandert, ihr Vater ist von der SA verprügelt worden. Es werden Szenen beschrieben aus dem Wahlkampf im November 1932. Marete kämpft mit ihren Freunden im Untergrund und verändert Wahlplakate der NSDAP in dem Sinne, dass Hitler den Deutschen den Krieg bringen werde.
Es handelt sich hier um ein beeindruckendes Zeitdokument, das manchmal etwas naiv wirkt, wenn Marete z. B. sagt: »Die Nazis konnten nicht siegen! Es war unmöglich! Marete versuchte, klar zu denken. Es gab nicht viele Nazis. Daran beruhigte sie sich.« (S. 88). Aber da muss berücksichtigt werden, dass es sich um eine 17jährige Schülerin handelt.
Das Thema ist sehr interessant, die Sprache jedoch sehr hölzern und damit literarisch weniger bedeutend.
Kritik möchte ich jedoch an Aussagen im Nachwort und dem sogenannten Klappentext äußern. Hier wird betont: »Man schreibt das Jahr 1932. Die Wahlen, die Hitler an die Macht bringen werden, stehen kurz bevor.« Diese Aussage ist historisch falsch, Hitler wurde nicht vom Volk gewählt, im Gegenteil bei den Wahlen im November 1932 hat die NSDAP 4,2 % der Stimmen verloren. Hitler wurde zwar dennoch zum Reichskanzler ernannt, aber u.a. weil Industrielle wie Fritz Thyssen und Emil Kirdorf die NSDAP finanziell unterstützten. So waren im Düsseldorfer Industrie-Club am 26. Januar 1932 mehr als fünfhundert Industrielle, Manager und Verbandsvertreter anwesend. Neben den Quandts werden u.a. die Vorstands- und Aufsichtsratsvorsitzenden der Allianz-Versicherung, Kurt Schmitt und August von Finck, das Vorstandsmitglied der Deutschen Bank, Emil von Stauß, und immer wieder Fritz Thyssen genannt, der Aufsichtsratsvorsitzende des größten schwerindustriellen Konzerns in Europa, der Vereinigten Stahlwerke AG. Sie stellten sich an Hitlers Seite, um ihm im Januar 1933 die Macht zu übertragen. Daher sollte man im Klappentext auch nicht davon sprechen, dass »Susanne Kerckhoff eine Jugend kurz vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten« beschreibt. ›Machtergreifung‹ ist die Sprache der NSDAP-Propaganda!
Mit Einschränkungen lesenswert!
Margret Hövermann-Mittelhaus
2023 rezensiert, Berlin, Das kulturelle Gedächtnis Verlag, Jugendroman, Nationalsozialismus, Susanne Kerckhoff, Widerstandsroman