Knud Romer
» Pigen i Violinen
Autor: | Knud Romer (Dänemark, 2021) |
Titel: | Pigen i violinen |
Ausgabe: | Lindhardt og Ringhof, 2021, dänische Originalfassung |
Erstanden: | Von meiner dänischen Nachbarin |
Musikerinnenschicksal
Ich musste erstmal an meinen Kenntnissen der dänischen Sprache zweifeln, aber doch: Das Buch heißt »Das Mädchen in der Geige« -siehe Titelbild, aber genau hinschauen! Und es ist auch so gemeint, denn es schildert den Weg eines Mädchens, das mit 5 Jahren seine erste Geige bekam. Und am Ende, am Tag seines ersten Konzerts als Solistin, sich wie in die Geige eingesperrt, wie eine um sich selbst drehende Figur in einer Spieldose fühlt.
Als sie mit 5 Jahren vom Vater eine Geige bekommt, erklärt der ihr, dass die Gabe, Geige zu spielen, angeboren sei und sie diese Gabe habe. Dass viel geübt werden muss, im Laufe ihrer Ausbildung bis zu 10 Stunden am Tag, erscheint ihr akzeptabel. Anders ist es, als das Metronom in ihre Musikübungen tritt. S.13: »Den slog tiden i stykke, som være hel og ubrudt i mig … [Das schlug die Zeit in Stücke, die in mir bis dahin heil und ungebrochen war].
Schön die Schilderung und das Lob der Musikalität des Landes Österreich und der Stadt Wien. Unklar hingegen, was die Episoden in der georgischen Großfamilie oder in den Schmutz der polnischen Industriestadt Kattowitz bedeuten sollen. Aber inmmitten des Industriedrecks von Kattowitz gelingt Romer eine der Bemerkungen, die das Buch herausheben, S. 125 »Men det var ikke blade eller sommerfugle, som svævede i luften. Det var aske. Den faldt lige så stille ned over os og døden sad og lyttede med. Den var en mester fra Tsykland. [Aber weder Blätter noch Schmetterlinge schwebten in der Luft. Das war Asche. Die fiel so still auf uns, der Tod saß dabei und hörte zu. Der Tod war ein Meister aus Deutschland.], Womit er Paul Celans berühmte Todesfuge zum industriellen Massenmord in den deutschen KZs auf polnischem Boden meint.
Die Nähe zu Österreich hat mit ihrem Vater zu tun, der dort lange gelebt hat. Und die Geschichte eines Ortes erzählt hat, wo man in den Wald ging und an die Bäume klopfte. Bei einigen klang das Klopfen nach Musik und die nahm man, um eine Geige daraus zu bauen.
Ist hier der Zusammenhang noch deutlich, so wird er beim parallelen Erzählstrang zu Alfred und Iris Brendel nicht. Wenn man davon absieht, dass in Wien eine ihrer Zimmerwirtinnen die vereinsamte Iris Brendel ist. Und Iris` Mann seinerzeit trotz internationaler Konzertourneen auch nicht gerade als glücklich beschrieben wird. Und sein Erfolg direkt zur Scheidung von Iris führt. Jedenfalls mäandert der Autor in seiner Erzählung zwischen dem Leben der einsamen 65-jährigen Iris Brendel und dem in märchenhaften Formeln dargelegten, mitunter traumähnlichen Erlebnissen der jungen Musikerin und Protagonistin.
Der Ausbildungsweg des Mädchens ist lang, Musikschule, Privatunterricht, Wien, Konservatorium in Kopenhagen, bis zum Auftritt als Solistin im Konzertsaal. Der Protagonistin mangelt es arg an Selbstbewusstsein, einmal flammt es, im Alter von 13½ auf: S. 28: »… op opregnede alt, hvad jeg havde at gøre godt med mig: en far, en violin og en kat, der havde killinger to gange, en gud og mig selv« [Ich rechnete zusammen, was ich alles hatte damit es mir gut ging: Einen Vater, eine Geige, eine Katze, die zweimal Kätzchen hatte, einen Gott und mich selbst]. Sonst liegt sie häufig abends im Bett und betet zu Gott, dass er ihr helfen möge, dass Gold und Silber auf sie herabsinke.
Dabei ist sie in Kopenhagen am Konservatorium, gewinnt Stipendien, spielt in Konzerten, bekommt schon Geld und gelangt sogar zur weiteren Ausbildung an ein berühmtes Institut nach Wien. Dabei ist sie in den Lerngruppen meist unbeliebt und ihr »Eingesperrt-Sein-Syndrom« meldet sich, S. 30: »Vi var alene med hinanden – mig og min violin de sperrede mig inde – og jeg kunne ikke komme ud. [Wir waren alleine, meine Geige und ich, die Geige, die mich einsperrte und aus der ich nicht herauskommen konnte]. Umgekehrt, nach einem geglückten Übungsabend schließt sie die Augen, träumt einen imginären Schlüssel (gegen die Außenwelt), schließt ab und verschluckt den Schlüssel. Isolation und Eingesperrt sein, wird also auch aktiv von ihr betrieben.
Härtestes, teils mechanisches Training, bis zu 10 Stunden am Tag, tyrannische Lehrer, Trainer, die sie anzüglich anglotzen. Ein Zuckerschlecken ist die Ausbildung nicht. Aber das größte Lampenfieber vergeht, sobald sie den Bogen ihrer Geige ansetzt.
Ihr Liebesleben wird merkwürdig knapp gehalten im Roman. Sie sehnt sich immer stärker nach einem Freund, bleibt aber eher isoliert. Ein aufdringlicher und verheirateter Barbesitzer in Wien ist definitiv nicht das Richtige. Vor einem aggressiv küssenden Lehrgangskumpel flüchtet sie. Erst spät und ordentlich betrunken hat sie ihr erstes sexuelle Erlebnis, es bleibt singulär. Woher dieses schwierige Verhältnis zur Sexualität kommt, verrät uns der Autor leider nicht.
Nach sehr wechselhafter, aber erfolgreicher Ausbildung in Wien kommt das ersehnte Solokonzert vor großem Publikum, zwei Geigenkonzerte von Sibelius. Die Bemerkungen des Dirigenten auf der Bühne zu ihr setzen den Schluss- und Höhepunkt des Romans: Sie sähe ihrer Mutter unglaublich ähnlich und sie spiele ja auch auf ihrer Geige. Als habe ein Blitz sie getroffen und als wenn sie in einer Schneekugel stände, für immer eingesperrt, sich drehend und mit ihrer Geige spielend.
Ich hab das Buch gerne gelesen, eine reiche Sprache, gelungene Schilderungen und schöne Momente, ein gefühlintensives Musikerleben mit ekstatischen Momenten gewiss. Vergleicht man aber mit Büchern wie z.B. von Ketil Bjørnstad »Vindings Spiel« und »Die Welt, die meine war«, wird deutlich, was Romer fehlt: Die klare Entwicklung der Musikerin und ihrer Persönlichkeit. Das gelingt Børnstad meisterhaft, bei Romer ist es für mein Gefühl nur im Ansatz vorhanden. Und eher auf die wachsende Introvertierung der Protagonistin konzentriert.
Wobei man merkt, dass Romer – eben im Gegensatz zu Børnstadt – selbst kein Musiker ist. Und das Werden und Wachsen eines Musikers nur begrenzt glaubhaft nacherzählen kann. So gelingt Romer aber eine Schilderung der Introvertierung einer Musikerin, die sich mit wachsenden musikalischen Fähigkeiten mehr und mehr von der Außenwelt isoliert. Das ist auch von der ausdrucksstarken Sprache her, gut zu lesen. Ist die Geschichte wirklich schlüssig? Bei Børnstad führt das maschinenhafte Pauken klassischer Musik protesthalber in die Freiheit des Jazzes, hier in die Eingezwängheit einer Musikpuppe. Nicht schön zu lesen, aber auch nicht auszuschliessen, vielleicht eine mögliche Kehrseite musikalischer Virtuosität?
Und auf jeden Fall eine spannende Geschichte!
Nachtrag: Von dem mit einer Deutschen verheirateten und zweisprachig aufgewachsenen Romer sind von den bisher sieben in Dänemark erschienen Büchern erst zwei übersetzt. Zum Einen ist seine autobiografische Erzählung auf Deutsch erschienen: »Den som blinker er bange for døden«. Was wortgetreu zu dem Titel führt: »Wer blinzelt, hat Angst vor dem Tod«, Insel-Verlag.
Dann gibt’s »Die Kartografie der Hölle«, keine einfache Lektüre, wenn man den Bemerkungen auf Lovely books trauen darf. Wobei der Originaltitel (Kort over Paradis) mal wieder gründlich verfälscht wurde … Schade, denn als zweiter Teil seiner autobiografischen Erzählung schon mal interessant.
Beim dänischen Verlag von »Pigen in violinen«, Lindhardt & Ringhof, habe ich nachgefragt, wie es mit der Übersetzung des Mädchens in der Geige aussieht? Leider gibt es dazu akuell keine Pläne, schade, es würde sich lohnen!
2023 rezensiert, Dänemark, Künstlerin, Lindhardt og Ringhof Forlag, Musik, Violine, Wien, Österreich