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Anto­nia Baum
» Sieg­fried

Autorin:Anto­nia Baum
Titel:Sieg­fried
Aus­gabe:Ull­stein Buch­ver­lag, Berin 2023
Erstan­den:anti­qua­risch

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Der Roman ›Sieg­fried‹ von Anto­nia Baum trägt die­sen Titel, aber Sieg­fried ist kei­nes­wegs die Haupt­per­son, es ist die namen­lose Ich-Erzäh­le­rin. Auf der Suche nach sich selbst, Abna­be­lung vom Eltern­haus, aber auch von der Groß­mutter. Wie macht man das? Zunächst ist sie völ­lig über­for­dert von ihrer Rolle als Mut­ter, Part­ne­rin und Schrift­stel­le­rin, sie hat eine Schreib­blo­ckade und hat Angst um ihre Bezie­hung zu Alex, dem sie gestan­den hat, mit ihrem Lek­tor Ben­ja­min geschla­fen zu haben. Sie ent­schließt sich Hals über Kopf eine ambu­lante Psych­ia­trie auf­zu­su­chen, hier soll der Psy­cho­loge ihr sagen, was sie tun soll. Und jetzt beginnt der Blick zurück in ihre Ver­gan­gen­heit – nicht chro­no­lo­gisch, son­dern ihr Ver­such, Erklä­run­gen zu fin­den für ihr eige­nes Ver­hal­ten, Ver­hal­tens­mus­ter zu sehen. Jetzt will uns die Ich-Erzäh­le­rin zei­gen, wie wir von unse­rer eige­nen Ver­gan­gen­heit geprägt sind und wie schwie­rig es ist, sich von bekann­ten Mus­tern zu lösen, die man ver­in­ner­licht hat. Ihre Groß­mutter Hilde ist zur NS Zeit groß gewor­den und hat deut­lich vom Wirt­schafts­wun­der pro­fi­tiert, sie ist reich gewor­den. Ihr Sohn Sieg­fried – der Patri­arch, der alle drei Frauen beherrscht – will die­sen Reich­tum als Ver­tre­ter des Neo­li­be­ra­lis­mus ver­meh­ren, er macht in Immo­bi­lien. Er hei­ra­tet die Mut­ter der Ich-Erzäh­le­rin, obwohl diese schwan­ger ist, aber nicht von ihm. »Meine Mut­ter sah aus wie die Frauen aus den Zeit­schrif­ten, die sie las.« (S. 32). Die Ich-Erzäh­le­rin geht nach dem Abitur nach Ber­lin, um Lite­ra­tur­wis­sen­schaf­ten zu stu­die­ren und Schrift­stel­le­rin zu wer­den. Hier ver­liebt sie sich in Alex, gebo­ren in Ost­ber­lin, Plat­ten­bau, der nicht stu­diert, gerne die Film­hoch­schule besu­chen möchte, aber mit sei­ner Bewer­bung nicht zu Potte kommt. Er arbei­tet abends in einer Bar und ist nachts als Sprayer unter­wegs. Wofür? Woge­gen? Keine Ahnung. Sie haben die gemein­same Toch­ter Johnny, die eine Kita besucht. Die bei­den Part­ner reden kaum mit­ein­an­der, tei­len ihre Gedan­ken nicht mit. Damit ist das Kon­glo­me­rat dargestellt!

Um es vor­weg zu sagen: Ich erwarte nicht die Lösung die­ses Pro­blems, aber den­noch eine Aus­ein­an­der­set­zung der Prot­ago­nis­tin mit den wei­te­ren Figu­ren – vor allem mit Alex! Eine Dar­stel­lung der tra­gi­schen Fami­li­en­ge­schichte über 250 Sei­ten ist mir zu wenig und wird irgend­wann ein­tö­nig. Warum muss immer wie­der betont wer­den, dass auf dem Tho­net Tisch ein Alessi Kor­ken­zie­her liegt, es sich um KPM Geschirr und Poul­sen Leuch­ten han­delt? Kli­schees bis zum geht nicht mehr. Alex schenkt ihr eine Reise nach Vene­dig, sie schenkt ihm eine Kette mit den Anfangs­buch­sta­ben von bei­den Vor­na­men. Hallo?

Sowohl Alex als auch die ich-Erzäh­le­rin wis­sen nicht, wie sie ihr Leben bewäl­ti­gen sol­len. Was wol­len sie eigent­lich, wenn die Ich-Erzäh­le­rin fest­stellt. »Bei Insta­gram bau­ten die Leute Häu­ser und krieg­ten ihr zwei­tes Kind.« (S. 163). Etwas zu ver­än­dert, bedeu­tet ein Risiko ein­ge­hen, man muss selbst etwas ändern. Beide haben aber weder Ideen noch Struktur!

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Anto­nia Baum auf der Leip­zi­ger Buch­messe 2018; Ji-Elle – Eige­nes Werk | Quelle

»Das Chaos der Welt spie­gelt sich hier im hand­li­chen For­mat der Fami­lie. Und weil das nicht der erste Roman aus sol­chen Zuta­ten ist, hätte er alles Zeug zu Kitsch und lite­ra­ri­schem Schei­tern – wenn nicht Anto­nia Baum mit ihrer wun­der­ba­ren, mür­ben Spra­che, zar­ten Andeu­tun­gen und räso­nie­ren­den Gedan­ken­sprün­gen eine groß­ar­tige, atem­be­rau­bende Kom­po­si­tion dar­aus bas­teln würde.« Quelle

Diese atem­be­rau­bende Kom­po­si­tion sehe ich eher nicht, auch weil sie sich sprach­lich stän­dig wie­der­holt, hier ein Bei­spiel: »Ich ahnte, dass es für seine Eltern unan­ge­nehm war, aber ganz anders als unan­ge­nehm für ihn, so wie es für mich anders unan­ge­nehm war als für Alex bezie­hungs­weise seine Eltern. Es war für uns alle unan­ge­nehm.« (S. 117). Wun­der­bare Spra­che? Anto­nia Baum will uns mit­tei­len, dass Ereig­nisse aus unse­rer Ver­gan­gen­heit unser Ver­hal­ten beein­flus­sen, dass Her­kunft und Habi­tus zusam­men­ge­hö­ren, dass nichts als gege­ben und unab­än­der­lich zu betrach­ten ist. Aber das ist nichts Neues, das hat die Frau­en­be­we­gung der 70er Jahre auch schon gesagt!

Daher schließe ich mich die­sem Kom­men­tar an: »So schreck­lich öde und lite­ra­risch schlecht ist ›Sieg­fried‹. Die Story ist hart­weich, der erzäh­le­ri­sche Schmalz uner­träg­lich, die Figu­ren wenig glaub­haft und vor­her­seh­bar öde, beson­ders Patri­arch Siggi nervt mit Kli­schees. Ich weiß nicht, wel­cher Haus­vati und wel­che Haus­mutti das gut fin­den kön­nen. Beim Ver­such, eine tra­gi­sche Fami­li­en­ge­schichte zu schrei­ben, geschei­tert.« Quelle

Lang­wei­li­ger Kitsch!

Unterschrift
Mar­gret Hövermann-Mittelhaus

2024 rezensiert, Antonia Baum, Familienroman, Habitus und Herkunft, Ullstein Verlag