Nicole Seifert
» „Einige Herren sagten etwas dazu“: Die Autorinnen der Gruppe 47
Autorin: | Nicole Seifert |
Titel: | »Einige Herren sagten etwas dazu«: Die Autorinnen der Gruppe 47 |
Ausgabe: | Kiepenheuer & Witsch, Köln 2024 |
Erstanden: | Buchhandlung Thaer, Berlin Friedenau |
Nicole Seifert ist nicht nur eine Literaturwissenschaftlerin, sondern auch eine »Archäologin«, denn in ihrem neuen Buch “Einige Herren sagten etwas dazu¡. Die Autorinnen der Gruppe 47«, berichtet sie über die vergessenen oder fast vergessenen Autorinnen der nicht nur in der BRD sehr bekannten Gruppe 47, die sich im Nachkriegsdeutschland 1947 gründete. Sie arbeitet heraus, woran es liegt, dass Ilse Aichinger oder Ingeborg Bachmann auch heute noch sehr bekannt sind, aber viele weitere Autorinnen eben nicht. Wer kennt heute noch Ruth Rehmann, Barbara König oder Christine Koschel? Es sind Autorinnen, die sich bei der Gruppe 47 vorgestellt und aus ihrem Werk gelesen haben, mit dem Ziel Kontakte zu knüpfen und Verlage auf sich aufmerksam zu machen.
Doch alles der Reihe nach! Die Gruppe wurde 1947 von Hans Werner Richter gegründet und existierte 20 Jahre lang. Zur Gründungsclique gehörten junge Kriegsheimkehrer, z.B. Alfred Andersch und Wolfdietrich Schnurre. Hans Werner Richter war der sogenannte Spiritus Rector, er bestimmte, wer jeweils zu den Treffen eingeladen oder auch wieder ausgeladen wurde – aus welchen Gründen auch immer. Er installierte auch den »elektrischen Stuhl« (S. 170), auf den sich der Autor oder die Autorin zu setzen hatte, um aus dem Werk vorzulesen. Im Anschluss wurde über den Text diskutiert oder der Text wurde auch gleich verrissen – der Autor oder die Autorin durfte sich nicht verteidigen. Jetzt können wir schon mal mutmaßen, wessen Texte häufig zerrissen wurden, richtig, die Texte der Frauen. Warum das so war, zeigt uns Nicole Seifert sehr ausführlich, denn an der Qualität der Texte lag es keineswegs.
Auf folgende Schriftstellerinnen geht sie ein: Ruth Rehmann, Ingrid Bachér, Ilse Schneider-Lengyel, Ilse Aichinger, Ingeborg Bachmann, Ingeborg Drewitz, Barbara König, Gabriele Wohmann, Gisela Elsner, Christine Koschel, Christa Reinig, Griseldis L. Flemming, Helga M. Novak, Elisabeth Borchers, Elisabeth Plessen, Barbara Frischmuth und Renate Rasp. Und jetzt mal ehrlich: Welche Autorinnen kennt ihr und habt auch Texte von ihnen gelesen? Ich schätze, noch nicht mal eine Handvoll! Mir ging es zumindest so!
Ein Grund dafür, dass diese Autorinnen so wenig bekannt sind, ist der Sexismus im damaligen Literaturbetrieb. So ging Hans Werner Richter davon aus, dass Ilse Aichinger ein »Pummelchen« (S. 65) sei, aber dann erkannte er »eine schöne Frau« (S. 65). Oder wenn der Autor Heinz Piontek über Gedichte von Ilse Schneider-Lengyel sagt, er habe von den sechzig magenverstimmenden Texten nur sechs gelesen und hinterher einen Kognak trinken müssen. (S. 49). Nicole Seifert hat viele weitere Beispiel gefunden, wo die Herren die Frauen auf ihre Körperlichkeit reduzieren oder betonen, die Texte gar nicht gelesen zu haben. Damit hatten die »Herren« ihr Ziel erreicht, sie mussten sich inhaltlich mit den Texten der Autorinnen nicht auseinandersetzen. Dieses Verhalten entsprach zwar dem Zeitgeist, dass sich die Frau dem Mann unterzuordnen habe, aber man hätte sich diesem Denken durchaus entziehen können!
Eine Frau fällt in diesem Kreis vielleicht in dem Sinne aus dem Rahmen, dass sie sich das nicht bieten lassen wollte, Gisela Elsner, die vielleicht radikalste Gesellschaftskritikerin der Gruppe und Mitglied in der DKP. Ihre Romane sind bitterböse Satiren auf die Gewaltverhältnisse in Familien, aber auch darüber wollte die Gruppe 47 nicht diskutieren, sondern Gisela Elsner wurde zur »femme fatale stilisiert« (S. 170). Und darüber wurde diskutiert. Gisela Elsner drehte den Spieß um – denn zukünftig ist sie als die »femme fatale« aufgetreten. »Was in ihren Anfängen von den Literaturkritkern als sexy wahrgenommen worden war, steigerte sie nun ins Groteske und beraubte es so gezielt jeden Sex-Appeals. Indem sie das Stilmittel der Übertreibung nicht mehr nur in ihrem Werk, sondern auch auf ihr eigenes Äußere anwandte, spielte Elsner auch mit dem Mythos weiblicher Macht.« (S. 184). Während man in der noch jungen BRD stolz war auf die großen Literaten wie Günter Grass, Martin Walser oder Heinrich Böll, wurden jedoch die Frauen der Gruppe 47 vergessen.
In ihrer Zusammenfassung betont Nicole Seifert: »Die Autorinnen fanden eigene Wege, eine eigene Sprache, mit der sie sich in jeder Hinsicht von der unmittelbaren Vergangenheit, von den inhaltlichen und ästhetischen Vorstellungen der Nazis, abgrenzten.« (S. 271).
Hier hätte ich mir gewünscht, dass Nicole Seifert sich weiter mit der politischen Situation auseinandergesetzt hätte. Denn meiner Meinung nach bewegten sich die Herren nur in ihrer eigenen »Blase« und sind dabei auch noch unglaubwürdig, denn folgende Themen wurden nicht besprochen: »die NS-Diktatur, die Verfolgung und Ermordung von Menschen jüdischen Glaubens, Erinnern und Verdrängen der eigenen Verantwortung.« (S. 67). Sie machten sich gegenseitig etwas vor. Hans Werner Richter war der Annahme zu den Opfern zu gehören. „Um diese Haltung aufrechtzuerhalten, war es notwendig, die wahren Opfer zu ignorieren und zu verschweigen.“ (S. 73). Diese Haltung war typisch für die damalige Zeit, man gehörte zu den Opfern und nicht zu den Tätern. Aber: Günter Grass war Angehöriger der Waffen-SS. Quelle. Martin Walser war Mitglied der NSDAP und Flakhelfer. Quelle Und Siegfried Lenz war Mitglied der NSDAP. Quelle. Alles Opfer? Die Gruppe 47 nahm sich selbst wahr »als antifaschistisch« (S. 75). Aber einige Teilnehmerinnen waren über diese Haltung sehr verärgert. So betont Nicole Seifert, dass besonders Christine Koschel darüber irritiert war, »dass in den Texten der hofierten Autoren und Preisträger dieser Zeit der Krieg und die Katastrophe des Dritten Reichs kaum vorkamen. Die geistige Atmosphäre in der Gruppe 47 gefiel ihr nicht.« (S. 194).
So mussten sich die hofierten Herren mit ihrem eigenen Tun im Krieg auch nicht auseinander setzen. Sie waren die Kriegsheimkehrer, deren literarischer Sachverstand eher begrenzt war, denn während sie im Krieg waren, bildeten sich die Autorinnen weiter. Die Kriegsheimkehrer glaubten an die Stunde »null« und den Neuanfang. So betont Nicole Seifert, dass die Herren nicht über den akademischen Hintergrund verfügten, »um die Texte der im Schnitt sehr viel besser ausgebildeten Kolleginnen einordnen zu können.« (S.271). Daher kommt Nicole Seifert zu dem Schluss: »Je innovativer, subversiver und provokanter die vorgelesenen Texte inhaltlich und ästhetisch waren, desto weniger setzte man sich mit ihnen auseinander. Man erkannte schlicht nicht, was die Autorinnen da taten, auch weil man es aufgrund geschlechtsbezogener Vorurteile und eigener Überlegenheitsgefühle nicht von ihnen erwartete. Man sah sich selbst in der Rolle der Neuerer.« (S. 271).
Unbedingt lesen!
Margret Hövermann-Mittelhaus
2024 rezensiert, Gruppe 47, Kiepenheuer & Witsch, Literaturgeschichte, Nicole Seifert, Sexismus