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Ange­lika Mech­tel
» Die andere Hälfte der Welt oder Früh­stücks­ge­sprä­che mit Paula

Autorin:Ange­lika Mechtel
Titel:Die andere Hälfte der Welt oder Früh­stücks­ge­sprä­che mit Paula (1980)
Aus­gabe:Auf­bau Ver­lag Ber­lin und Wei­mar, 1. Auf­lage 1981
Erstan­den:anti­qua­risch

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Ange­lika Mech­tel ist heute nur weni­gen bekannt und das ist schade, denn sie war auf fast allen lite­ra­ri­schen Gebie­ten aktiv. Ihr Thema war häu­fig der All­tag von Frauen, den sie im lako­ni­schen Ton beschrie­ben hat, auch hier in ihrem Roman »Die andere Hälfte der Welt oder Früh­stücks­ge­sprä­che mit Paula«. Diese fik­ti­ven Früh­stücks­ge­sprä­che haben das Ziel, sich mit Paula, ihrem Leben und ihrer Ent­wick­lung aus­ein­an­der zu set­zen und die Frage zu beant­wor­ten: Wann hat bei Paula die Wand­lung zu einer eigen­stän­di­gen Per­sön­lich­keit ein­ge­setzt? Als sie nach Lan­za­rote geflo­gen ist und sich hier in Félix ver­liebt hat? Oder als sie beim Ober­bür­ger­meis­ter poli­ti­sches Miss­fal­len erregt hat? Oder als ihr auf­grund des­sen als Biblio­the­ka­rin der Etat gekürzt wurde? Ich würde sagen, alles gehört zusam­men, sodass Paula schließ­lich über sich sagen kann, sie sei geflo­hen »zur Auf­recht­erhal­tung des auf­rech­ten Gan­ges.« (S. 190).

Paula ist drei­ßig Jahre alt, Biblio­the­ka­rin und wech­selt von Kiel nach D. in eine kleine mit­tel­stän­di­sche Stadt­bi­blio­thek, um hier die Lei­tungs­funk­tion zu über­neh­men. Beim Früh­stücks­ge­spräch fragt ihre Freun­din, ob sie nicht poli­tisch über­prüft wor­den sei und Paula ant­wor­tet, das könne sein, aber: »Nie mit­ge­lau­fen bei einer Demons­tra­tion, kein Kern­kraft­werk atta­ckiert, kei­ner K-Gruppe zuge­hö­rig, auch kei­ner Wohn­ge­mein­schaft.« (S. 84). Zunächst fühlt sie sich hier in D. sehr wohl, vor allem nach­dem sie den Spa­nier Félix im Urlaub ken­nen gelernt hat. Er erhält ein Sti­pen­dium für Deutsch­land und zieht bei ihr ein, in ihr wohl­be­hü­te­tes Heim. Er bringt jedoch nicht nur die spa­ni­sche Ess­kul­tur mit, son­dern auch gewisse Bücher und Ideen, die als »links « ein­zu­ord­nen sind. Erste Kon­flikte ent­ste­hen, sowohl in der Bezie­hung als auch in der Biblio­thek. Paula möchte fri­schen Wind in die Biblio­thek brin­gen und neue Bücher anschaf­fen. Aber: »Zuviel Böll und Wall­raff, hat der kleine Kul­tur­re­fe­rent beim Abschied gesagt, man hat sich bereits beschwert.« (S. 91). Immer wie­der kom­men diese Nadel­sti­che von­sei­ten des Kul­tur­re­fe­ren­ten oder des Ober­bür­ger­meis­ters, aber Paula weiß sich zu ver­tei­di­gen: »Von etwa vier­tau­send Bän­den, sagt sie, die in unse­rer Kin­der- und Jugend­ab­tei­lung ste­hen, fin­den Sie höchs­tens ein Dut­zend mit soge­nann­ter Links­ten­denz.« (S. 106). Hat jetzt Pau­las Wand­lung statt­ge­fun­den? Nein, noch nicht! Sie hat einen anony­men Brief erhal­ten, aber die Erzäh­le­rin betont: »Kurios, dass einer sie davor war­nen will, kom­mu­nis­ti­sches Gedan­ken­gut unter Kin­dern zu ver­brei­ten. Seit sie wahl­be­rech­tigt ist, hat sich Paula an die Libe­ra­len gehal­ten.« (S.134). Aber den­noch fin­det lang­sam eine Wand­lung bei Paula statt, auch beein­flusst von ihrem Freund Félix, der nach Madrid zurück­keh­ren möchte. Sie fragt ihn, was er mit sei­nen Freu­den dort vor­habe. »Zu einer neuen Geschichte Spa­ni­ens kom­men, hat er geant­wor­tet, mit der Ver­gan­gen­heit bre­chen. Nein, keine Anschläge auf Tou­ris­ten. Die Frei­heit ein­lö­sen.« (S.146).

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Foto: MP-Archiv | Ange­lika Mech­tel wäh­rend einer Signier­stunde (um 1978) | Quelle

Die Kon­flikte inner­halb der Bezie­hung, aber auch die Kon­flikte als Biblio­the­ka­rin wer­den immer grö­ßer. Félix ver­lässt Paula und kehrt nach Spa­nien zurück, er hat sich für den poli­ti­schen Kampf ent­schie­den, denn »die Guar­dia Civil ist noch immer ein faschis­ti­sches Reser­voir.« (S. 179). Noch kann Paula diese Ent­schei­dung nicht ver­ste­hen, legt aber bei ihrem eige­nen Ver­hal­ten Zivil­cou­rage an den Tag. »Was weißt du schon, was es heißt, sagt sie, statt Erbau­ungs­li­te­ra­tur Marx und Engels in den Prä­senz­be­stand auf­zu­neh­men.« (S. 178). Sie geht auf Kon­fron­ta­ti­ons­kurs mit der Stadt­ver­wal­tung, kün­digt ihren Job und reist nach Spa­nien. Wann genau fand ihre Wand­lung statt? Auch die Freun­din kann die Frage nicht beant­wor­ten, will aber von Paula ler­nen, näm­lich sich nicht anzupassen.

Die­ser Roman lässt mich Par­al­le­len her­stel­len zum Leben von Ange­lika Mech­tel. Auch sie war eine Frau, die sich nicht ange­passt hat. Gelebt hat sie einige Jahre in Würz­burg, der Würz­bur­ger Stadt­hei­mat­pfle­ger Hans Steidle beschreibt Ange­lika Mech­tel als eine der »inter­es­san­tes­ten deut­schen Autorin­nen der zwei­ten Hälfte des 20. Jahr­hun­derts.« Quelle. Aber die Würz­bur­ger hät­ten sie ver­ges­sen oder woll­ten sie auch ver­ges­sen, denn sie musste sich Anfang der 60er Jahre mit der katho­li­schen Kir­che und der kon­ser­va­ti­ven Bür­ger­lich­keit in Würz­burg aus­ein­an­der set­zen. Sie war 19 und Gym­na­si­as­tin bei den Ursu­li­nen, als sie schwan­ger wurde. Ihre Zeit in Würz­burg beschreibt die Autorin zurück­bli­ckend 1972 so: »Als ich vor zehn Jah­ren von Würz­burg weg­ging, war es die­ses töd­li­che Des­in­ter­esse, diese schla­fende Hei­ter­keit, die mich bedrückte und mich davon über­zeugte, nicht mehr zurück­zu­keh­ren, es sei denn, zu klei­nen Besu­chen.« Quelle

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Kund­ge­bung zum Tag der Arbeit mit Flag­gen der Kom­mu­nis­ti­schen Par­tei in Pam­plona | Foto: Alvaro Barrientos/ap/dpa | Quelle

Die Autorin enga­gierte sich zeit­le­bens für Men­schen, die wegen ihres Schrei­bens poli­tisch ver­folgt wur­den. 1980 war sie Vize­prä­si­den­tin und Beauf­tragte für das Wri­ters-in-Pri­son-Com­mit­tee des Inter­na­tio­na­len P.E.N. und erreichte sehr viel mit ihrer poli­ti­schen Arbeit, näm­lich die Frei­las­sung von AutorIn­nen aus Gefäng­nis­sen in der Tür­kei, in der Sowjet­union und Mexiko.

Lei­der ist Ange­lika Mech­tel im Februar 2000 mit 56 Jah­ren gestorben.

Aber ihre Lite­ra­tur kön­nen wir auch heute noch lesen, um zu erle­ben, wie sie ihrem eige­nen Anspruch, kunst­voll mit Spra­che umzu­ge­hen und ein brei­tes Publi­kum poli­tisch auf­zu­klä­ren, gerecht wird. Und genau das gelingt ihr in die­sem Roman.

Unbe­dingt lesen!

Unterschrift
Mar­gret Hövermann-Mittelhaus

2025 rezensiert, 70er Jahre, Angelika Mechtel, Aufbau Verlag Berlin und Weimar, Emanzipation, politisches Selbstbewusstsein