
Colm Tóibín
» Nora Webster
Autor: | Colm Tóibín |
Titel: | Nora Webster |
Übersetzer: | Giovanni Bandini |
Ausgabe: | Hanser Verlag München 2016 |
Erstanden: | antiquarisch |
Emanzipationsliteratur?
- Wenn Männer beginnen, Emanzipationsliteratur zu schreiben, mache ich erst mal ein großes Fragezeichen. Aber jeder soll seine Chance haben.
- Nora Webster wird uns als eine Frau vorgestellt, die Geld verdienen muss, weil ihr Mann gestorben ist und sie ihre zwei Kinder durchbringen muss.
- Sie glaubt, ihre Kinder denken, »ihre Arbeit bei Gibney’s sei nur ein Mittel, um sich vor ihren eigentlichen Pflichten zu drücken.« (S. 110). Warum spricht sie nicht mit ihren Kindern?
- Sie tritt ihre Stellung bei Gibney’s wieder an, die sie vor Jahrzehnten als junges Mädchen schon inne hatte, und sich hier sehr unwohl gefühlt hat.
- Diese Stellung kündigt sie auch relativ schnell wieder, weil sich hier seit Jahrzehnten nichts geändert hat. Ist das Emanzipation?
- Sie demonstriert mit den Vertretern der Gewerkschaft. Weil sie sich ausgebeutet fühlt oder weil sie von der Bürovorsteherin täglich fertig gemacht wird?
- Sie vergleicht sich immer wieder mit ihrem gestorbenen Mann, »ob sie anfangen würde in Diskussionen jetzt mehr zu sagen?« (S. 80). Das konnte ich nicht feststellen.
- Die Themen der kommenden Diskussionen sind: wie spiele ich am besten Golf, was ziehe ich an?, was halte ich vom Verlobten der Schwester?, auf welche Party gehen die Töchter?, wie lasse ich meine Haare färben?! Alles Themen, die für die Emanzipation der Frau am wichtigsten sind?
- »Sie dachte an die Freiheit, die ihr die Ehe mit Maurice geschenkt hatte, die Freiheit, sobald die Kinder in der Schule waren oder ein kleines schlief, zu jeder beliebigen Tageszeit in dieses Zimmer zu gehen und sich ein Buch aus dem Regal zu nehmen und zu lesen.« (S. 66). Das ist keine Freiheit, sondern Abhängigkeit.
- Jetzt muss sie Geld verdienen: »Ihre Jahre der Freiheit waren vorbei; so einfach war das.« (S. 67). Emanzipation der Frau findet über die Erwerbstätigkeit statt!
- Da sich bis zur Hälfte des Romans, also nach gut 200 Seiten an ihrer Einstellung kaum etwas geändert hat, habe ich genervt aufgegeben.
- Emanzipation bedeutet die Befreiung aus einem Zustand der Abhängigkeit. Unter Emanzipationsliteratur verstehe ich Literatur, die eine Veränderung der sozialen Lage der Frau in unserer Gesellschaft fordert.
- Nora Webster ist für mich keine »Lichtgestalt der Emanzipation.« Der Roman bleibt hinter dem Begriff der Emanzipation der Frau zurück.
- Colm Tòbìn hat seine Chance nicht genutzt!

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