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Jens Rost­eck
» Zwei auf einer Insel: Lotte Lenya und Kurt Weill

Autor:Jens Rost­eck (Deutsch­land, 1999)
Titel:Zwei auf einer Insel: Lotte Lenya und Kurt Weill
Aus­gabe:Pro­py­len 1999
Erstan­den:Anti­qua­riat Land­buch­han­del M. Kross, Bippen

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Bio­gra­fien mag ich gerne, auch wenn sie meist – so wie hier – eher nicht zu den lite­ra­ri­schen Per­len gehö­ren. Hier nun Weill, der popu­läre Kom­po­nist der 20er/30er und die Dis­seuse Lenya, von deren See­räu­ber Jenny in Brechts Drei­gro­schen­oper zu Weills Musik noch meine Mut­ter schwärmte und wo Platten/CDs dies nur bestä­ti­gen. Ein äußerst unglei­ches Paar, die aus dem tiefs­ten sub­pro­le­ta­ri­schen Wie­ner Armen-Milieu auf­ge­stie­gene Karo­line Bla­mauer (Lenja war Künst­ler­name), von ihrem sau­fen­den Vater ver­prü­gelt und früh gelernt, den Kör­per zu ver­kau­fen. Und der Sohn der klein­bür­ger­lich-jüdi­schen Kan­tors­fa­mi­lie, aus einer gepfleg­ten Umwelt, lang­wei­lig im Ver­gleich zur »schril­len« Her­kunft sei­ner Frau und Muse. – Lei­der: Der Autor forscht nicht, wer­tet Quel­len nicht wirk­lich aus, bleibt an der Ober­flä­che, ana­ly­siert die Cha­rak­tere nicht. Kaum gelingt es den Weg Weills in Resi­gna­tion, Depres­sion zu zei­gen, wohl aber die kom­plette Arbeits­über­las­tung, die zu sei­nem frü­hem Tod führt; Lotte über­lebt ihn lange als gera­dezu stein­alte Zeit- und Kunstzeugin.

Jeden­falls was für ein Künst­ler­le­ben, was für Cha­rak­tere, im kur­zen Rausch der 20er bis zur Nazi­hölle, wo es eigent­lich nur Weill gelang, sich danach erfolg­reich der Exil­welt Hol­ly­woods anzu­pas­sen. Was für eine Jugend der Lenya, die sie befä­higte, die See­räu­ber­jenny im urei­gens­ten Sinne zu ver­kör­pern. Viel erfährt man, die Pro­mis­kui­tät ihrer extrem »abwechs­lungs­rei­chen« Bezie­hung, die 4 frucht­ba­ren Jahre der Begeg­nung Weills mit Brecht, wie Lotte in der Dar­stel­lung viel von die­sem lernt. Ihre unge­heure Büh­nen­prä­senz, der von den Nazis ent­fachte Skan­dal um »Maha­go­nny«. Man wird neu­gie­rig auf die man­nig­fa­che Musik Weills, der Super­erfolg der Drei­gro­schen­oper, der Reprise der 200 Jahre alten »Beggars opera«. Namen tau­chen auf wie Erich Ponto, Theo Mackeben, Theo Lin­gen, Peter Lorre; aus den Ver­fil­mun­gen Val­eska Geri, Ernst Busch -sagen sie den Nach­ge­bo­re­nen noch etwas? – Trotz gro­ßen Erfol­ges der »Sie­ben Tod­sün­den« und quer durch Europa füh­ren Miss­erfolge, Migran­ten­feind­lich­keit und Anti-Semi­tis­mus in die USA. Wäh­rend Weill dort schließ­lich am Broad­way ankommt und Erfolg auf Erfolg reiht, gelingt der Lenya dies erst ansatz­weise wie­der ab 1941; beide sind inzwi­schen US-Ame­ri­ka­ner. Sie arbei­ten an Anti-Nazi-Pro­pa­ganda mit, hal­ten aber Distanz zu allen ande­ren Emi­gran­ten. Dem Leser, nicht mit US-Musik der 30er/40er Jahre ver­traut, bleibt vie­les ver­schlos­sen, wie­wohl Rost­eck eher musik­his­to­risch, denn bio­gra­fisch gear­bei­tet hat. Stö­rend die wie­der­keh­rende Aus­fälle gegen Brecht-Inter­pre­ten wie Helene Weigel und alles was »Kom­mu­nis­mus-ver­däch­tig« erscheint, und Ein­sei­tig­keit betreffs der aus­ge­bro­che­nen Kon­flikte Brecht/Weill, hier geriert Rost­eck sich als spä­ter kal­ter Krieger.

Eine Dis­ko­gra­phie, ein Lite­ra­tur- und Stich­wort­ver­zeich­nis beschlie­ßen ein infor­ma­ti­ves Werk über zwei extrem ver­schie­dene musi­ka­li­sche Künst­ler­grö­ßen des letz­ten Jahrhunderts.

Meist ver­gnüg­li­che Reise in die Musik- und Caba­rett­welt vor 70 Jahren

2017 rezensiert, Bertolt Brecht, Broadway, Dreigroschenoper, Jens Rosteck, Propylen