
Graham Swift
» Ein Festtag
Autor: | Graham Swift (Großbritannien, 2016) |
Titel: | Ein Festtag |
Ausgabe: | DTV 2017 |
Übersetzung: | Susanne Höbel |
Erstanden: | Ein Tipp meiner Tochter |
Dies ist die sehr erotische Geschichte, wie eine einzige Liebesnacht zwischen einem (Noch-)Dienstmädchen und einem (Noch-)Herren zu Anfang des 20. Jahrhunderts Leben verändern kann, sogar für die Schriftstellerkarriere einer Frau begründend sein könnte. Für eine Frau, für die Bücher die Grundfeste ihres Lebens werden, die so schreiben kann, dass Ihr Mann sie in Anspielung auf Patrick Whites Nobelpreisroman die große Viviseziererin nennt.
Begründet wird die Karriere des Waisenkinds Jane, in einem eher liberalen Haushalt, wo dem jungen Dienstmädchen schon die Benutzung der Bibliothek gestattet wird, mit eher ungeahnten Folgen. Es folgt ein Verhältnis mit dem letzten verbliebenen Sohn einer Oberschichtfamilie, dass dieser – möglicherweise – zum Anlass nimmt, der vorgezeichneten Karriere zu entweichen, mit Knalleffekt.
Über dem ersten Teil des Buches schwebt unausgesprochen die Ahnung einer Katastrophe, einer Unheimlichkeit, weil einige Akteure wissen, was andere noch nicht ahnen. Was man als Gleichnis auf anstehende soziale Umwälzungen sehen könnte. Verknüpft mit der Tatsache, wieviel intime Dinge Dienstmädchen im Haushalt ihrer Herren erfahren, im Exzess mit der Hausnutzung durch Jane nach ihrer Liebesnacht, Grenzen von Dienst- und Herrschaft beginnen zu verschwimmen. Wo sehr viel Poesie in den Reflexionen der jungen Jane steckt. Das ganze passiert ausgerechnet am »Mothering Day«, dem englischen Muttertag, wo Dienstkräfte frei bekommen und was im englischen Original der wesentlich passendere Titel ist.
Dieses Buch, was so scheinbar obergemächlich beginnt, das im zweiten Teil mitunter explodiert, die Entwicklung der erfolgreichen Autorin dann leider nur anreißt, regt gleichzeitig zum Denken, zum Philosopieren an, wie Jane, die Erzählerin und Heldin es vormacht. »Das war eine der großen Erkenntnisse über das Leben: Dichtung und Wahrheit vermischten sich fortwährend, wechselten die Plätze.«
Die Erzählung schwankt zwischen dem Abenteuer einer Nacht, verwickelt in die Frage der sozialen Beziehungen untereinander – und der Entwicklung einer Frau zur gefeierten Schriftstellerin. Letzteres schien nicht mehr so richtig in den schmalen Band zu passen, verliert sich im Ungewissen, bleibt im Nebel weniger Stationen: Oxford und seine Gelehrten als Buchhändlerin (aka Dienstmädchen!) zu sehen, die Lektüre von Joseph Conrads »Jugend«, ihre erste Schreibmaschine, Diskussionen mit ihrem Mann, dem Codebrecher und Philosophen aus Bletchley Park. Die viele Geschichten erzählt, nur die eine nie. Aber: » Es ging darum, dem was das Leben ausmachte, treu zu sein, zu versuchen, genau das einzufangen, was Lebendigsein bedeutete, obwohl das nie gelang.«
Selten, dass ein Schriftsteller, ein Werk mit einer so guten Selbst-Zusammenfassung beendet, ein Werk, vielleicht Novelle zu nennen, was trotz eines großen Bruchs zwischen seinen beiden Teilen atmosphärisch gefangen nimmt, philosophiert, Anstöße gibt, unterhält.