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Erpenbeck-Heimsuchung

Jenny Erpen­beck
» Heim­su­chung

Autor:Jenny Erpen­beck (Deutsch­land, 2008)
Titel:Heim­su­chung
Aus­gabe:Bücher­gilde Gutenberg/Eichborn AG 2008
Erstan­den:Bücher­gilde Gutenberg

Erpenbeck-Heimsuchung

Den Rah­men die­ses Bänd­chens von 177 Sei­ten bil­det die wech­sel­volle Geschichte/Entwicklung einer Edel­dat­sche nicht all­zu­weit von Ber­lin, ihre eng mit der poli­ti­schen und wirt­schaft­li­chen Ent­wick­lung des Umlands ver­bun­de­nen Besit­zer und -Ver­hält­nisse. All die Dok­to­ren, Archi­tek­ten, rei­che Juden, Nazis, Kriegs­ge­winn­ler, Rus­sen, DDR-flie­hende, h-e-i-m-gekehrte Migran­ten, Regime­treue, Mak­ler­kun­den, unge­klärte Eigen­tums­ver­hält­nisse, gespens­ti­sche Rekon­sti­tu­ie­rungs­ge­win­ner. Schließ­lich der Ver­lust eines Lebens mit dem Haus, »bru­talst­mög­lichst« beschrie­ben in den deut­schen Abriss­vor­schrif­ten. Der Bogen eines Som­mer­hau­ses im Mär­ki­schen über drei deut­sche Staaten.

Nur der Gärt­ner, der Brecht’sche Koch, arbei­tet unent­wegt, bis er, vom Heim assi­mi­liert, verschwindet.

Es wäre nicht die Erpen­beck, wenn nicht schon der Titel ein Sprach­spiel ent­hielte, zwi­schen der Suche nach einer Heim­statt und den Kata­stro­phen, die Bewoh­ner heim­su­chen. Dies setzt sich selbst in der Unge­heu­er­lich­keit des Holo­causts fort, der »Ent­ju­dungs­ge­winn­ab­gabe«, dem grau­en­haft bei­läu­fig erzähl­ten Gang vom mär­ki­schen Bade­see in den Gaswagen.

Dage­gen kunst­fer­tig die Bil­der des Som­mers unter mär­ki­schen Kie­fern am Bade­see, zumin­des­tens dem, der dort ein »Hei­mat­los« hatte. Gegen­über die Ekel­si­tua­tion der Mak­le­rin nach der Wende und der bezie­hungs­lo­sen Käu­fer – nur Geld ent­schei­det! – Die unge­heure Dichte ihrer Erzäh­lung, die zun­gen­zer­ge­hen­den Sätze, die schein­bare Bei­läu­fig­keit ihrer (Geschichts-)Erzählung in der der Kreis der Besit­zen­den sich in knapp 100 Jah­ren schließt. Details, wie mit der Ver­stei­ge­rung jüdi­schen Eigen­tums ein Stück Leben des Besit­zers auf­ge­löst wird, die Pro­fi­teure davon angeb­lich nichts gewusst haben. Die Ghet­to­räu­mung – aber im Dorf redet man über Max Schmeling.

Wenig kann ich hier zitie­ren, wie »borgte sich das Lachen vom Wei­nen ihres Kör­pers«, dass (im Krieg) der letzte Schrei in allen Spra­chen der­selbe ist. Diese Sprach­zau­be­rei, unglaub­li­che Worte in der Erzäh­lung von der Begeg­nung mit den rus­si­schen Erobe­rern, die sie zu ver­ste­hen sucht. Oder »Jetzt, wo sie alt ist und nur noch lebt..«, »die Gesich­ter win­ter­fest«, »… dass man bei einer Flucht eini­ges mit­neh­men kann, was kein Gewicht hat, zum Bei­spiel die Musik.«. Zu einem Ver­such der Flucht aus der frü­hen DDR: »… um ein Jahr rück­wärts zu schwim­men« und schließ­lich: »Seit der Grenz­öff­nung sind die Mög­lich­kei­ten zu ster­ben, grö­ßer geworden.«

Erpen­becks Sätze erschlie­ßen sich oft nur wie exzel­lente Weine, Schluck für Schluck, vor­sich­tig, pau­sie­rend, reflek­tie­rend. – Viel­leicht erzählt sie auf klei­nem Raum etwas zu viele Geschich­ten einer zu ver­wi­ckel­ten Heim-Suchung, ist es etwas viel sprach­mäch­tige Zau­be­rei um dem rezen­siv noch fol­gen zu kön­nen? Aber es liegt eine unglaub­lich stille, schöne Poe­sie dar­über, wie sie anhand die­ses See­grund­stücks deut­sche Geschichte erzäh­len kann. Und schließt: »Bevor auf dem­sel­ben Platz ein ande­res Haus gebaut wird, gleicht die Land­schaft für einen kur­zen Moment wie­der sich selbst.«

Sprach­künst­le­ri­sche, geschichts­träch­tige Bil­der – faszinierend

2018 rezensiert, Büchergilde Gutenberg/Eichborn AG, Jenny Erpenbeck