
Ingvar Ambjørnsen
» Die Nacht träumt vom Tag
Autor: | Ingvar Ambjørnsen (Norwegen, 2012) |
Titel: | Die Nacht träumt vom Tag |
Ausgabe: | Nautilus, 2014 |
Übersetzung: | Gabriele Haefs |
Erstanden: | Pankebuch, Berlin Pankow |
Über diese Geschichte eines jungen norwegischen Außenseiters bin ich mir lange unschlüssig geblieben. Sune existiert von den Brosamen der Besserverdienenden, er ist am liebsten allein durch norwegische Wälder streifend. Und lebt davon, dass er in die Ferienhäuser einbricht, die entweder (skandinavische Tradition) den Schlüssel unter der Fußmatte haben, oder den Einbruchskünsten des kleinen Ganoven nicht wirklich widerstehen können. Die ganze Zeit eine Stimmung verbreitend, als wenn ein Lausbub etwas Unanständiges tut. Architekt, den Büroarbeit anödend, aus Arendal am Oslofjord stammend (sog. »norwegische Riviera«), offenbar Frau und Kinder verlassen, in Sør-Norge herumstreifend, wie er es als Kind schon getan hat.
So richtig mit dem Alleinsein stimmt es nun auch nicht, denn er fängt sich immer wieder in einem diffus bleibenden Netzwerk von nicht immer unvermögenden Freunden, darunter praktischerweise Ärztinnen, Bootsbesitzer (existentiell im See- und Fjordreichen Norwegen) und dem einen oder anderen »Bratkartoffelverhältnis«. Schön skurrile Figuren gehören zu Sunes Lebenswelt, darunter Onkel Arne, der seinen Verstand an eine Waldfee verlor. Oder der Tierfotograf, der sich zum Sterben im Wald verkrochen hat, wie ein alter Kater, und von der Gang völlig illegal im tiefen Fjord versenkt wird. Und wo auf dem Begräbnisschiff ein improvisiertes Konzert abgeht, dass die Fische tanzen.
Ambjørnsen kann wunderbar die Schönheit der norwegischen Natur, Wälder, Fjorde, Bergseen, ihre umarmende Einsamkeitstiefe in Worte fassen, was seinem merkwürdigerweise wesentlich bekannteren Landsmann Knausgård bekanntlich komplett abgeht. Diese nieselregenfeine Leere, in dem der Käfer auf den Kiefernadeln ein Ereignis ist – das ist Ambjørnsen at his best!
Auch das Alleinsein bebildert er in der Vorstellung, so in dem aufgelassenen, leeren Bahnhofsgebäude, dem Nachhal einstigen Lebens, das viele Nichts, das ihn dort umgibt. S. 51. »Das Geräusch der Wassertropfen, die sich auf die Wasseroberfläche legen, ist wie ein stilles Rauschen.«
Ebenso die Stimmung im Holzboot auf dem See, seine Schilderung des Frühwinters. Da entstehen Bilder zum Träumen, Wald, See- und Fischgerüche, aber immer wieder bekomme ich beim Lesen auch dieses unruhige »Far-out-man« Feeling, von lauter alternden Easy Rider Spinnern. Man fährt bedenkenlos mit dem Monster-SUV Hummer durch die Gegend und hält Knausgård für einen guten Autor.
Nein, so richtig warm geworden bin ich mit der Geschichte nur begrenzt, trotz des sehr sympathisch wirkenden Autors (der seit 1985 in Hamburg lebt).
Liegt es daran, dass – trotz meiner eigenen Liebe zur weiten norwegischen Natur – diese Ferienhaus-knackende Existenz, dieses skrupellose Ausnutzen der nördlichen Ehrlichkeit, diese Ununterscheidung Sunes von einfachem Mittelstand und wirklich Reichen auf den Keks geht ?
Für Spannung sorgt der Zulauf einer vietnamesischen Psychiatriepatientin (Tochter von boat people), die mit 2 Männern, die sie vergewaltigen wollten, offenbar messergeübt, kurzen, aber blutigen Prozess gemacht hat.

Ihr beider erster gemeinsamer Waldgang ist trotz ihrer schweren Wunden an den Händen pure Poesie, »Sie war wie eine verletzte Katze«. Der hilft er nun nolens volens mit seinen modernen Waldläufer-Fähigkeiten und seinem Klein-Ganoventum, zu dem wohl auch Hehlerdienste, Waffenhandel und Drogenkurieraktionen, aber auch Unterstützung für untergetauchte Asylbewerber gehören. Und weiter von leeren Sommerhäusern existieren, S. 199: »So ist es in Norwegen, wir können einfach vom Überschuss trinken.« – Und (S. 235): »Seit Norwegen die Nutztiere geschlachtet und Schlips und Kragen angezogen hat.«
Am Ende ist Sune (eigentlich ist er ein egoistisches Arschloch) wieder allein, geht in das winterwerdende norwegische Bergland und der Rezensent, dem immer wieder die Frage nach Sunes Sozialversicherung in den Kopf kam, fragt sich: Und was macht der Mann, wenn er älter wird?
Aber gerne gelesen habe ich es doch, und richtig unsympathisch war mir der Kerl auch nicht, was solls:
Schöne Lektüre für Natur- und Norwegenfans.
2019 rezensiert, Ingvar Ambjørnsen, Nautilus Verlag, Norwegen, Sommerhaus