
Henning Mankell
» Der Sprengmeister
Autor: | Henning Mankell (Schweden, 1973) |
Titel: | Der Sprengmeister |
Ausgabe: | Büchergilde Gutenberg, 2018 |
Erstanden: | Büchergilde Gutenberg |
Schön, dass die Büchergilde diesen Erstling des oft zu Unrecht als Krimiautor missverstandenen und 2015 viel zu früh verstorbenen schwedischen Autors, Henning Mankell, neu herausgebracht hat, denn das offenbart wieder einen ganz anderen Mankell. Beflügelt durch den Aufbruch der 68er hat er es sich nicht nehmen lassen, einen Roman über ein Arbeiterleben zu erzählen. Das schnörkellos verfasste Bestehen eines einfachen Manns, des Sprengmeisters Oskar Johansson, der beim Straßenbau durch einen Sprengversager schwer verletzt wurde. (Erläuterung: In Norwegen und Schweden sind aufgrund der felsigen Beschaffenheit des Bodens Sprengarbeiten für den Haus- und Straßenbau alltäglich).
Zum Leben dieses Mannes, der die Schwester seiner einstigen Braut heiratet (die sich vor seinen Verletzungen ekelte) gehört auch »nostalgisches«, wie den als »running gag« genutzten schwedischen Piratensender »Radio Nord« von Britt Wadner, Ursprung aller englischen, schottischen, niederländischen und deutschen Piratensendern 1960 – 1990.
Mankell verschweigt nicht, wie wenig (materiell) von einem Menschen nach dessen Tod bleibt. Oskar, der nach dem Tod seiner Frau sein altes Leben im Sommer in einer kleinen Schärenhüttensauna lebt (wo ihn der Erzähler besucht), und wie banal es nach der Verteilung des einfachen Erbes an die drei Kinder zugeht: »Nie hat jemand etwas von dem abgeholt, was Oskar in der Sauna hinterlassen hat«. – Gleichzeitig der Hinweis, wie wenig die Lebenden den Verstorbenen verstanden haben.
Oskar erzählt über die Zweiraum-Wohnung in einem einfachen Holzhaus, wir waren ungewöhnlich wenig Kinder (nur 3) und hatten daher mehr Platz als die anderen. Und weiß, dass die Steinhäuser, gar die Villen auf der anderen Seite nicht für ihn und seines gleichen waren. Der Sprengmeister ist ein Mensch, der sich zu seiner sozialen Herkunft, seiner Familie bekennt:
»Oskar war sein ganzes Leben lang Arbeiter, wie sein Vater, wie sein Großvater. Sie waren Kanalarbeiter, Schleusenwärter, Latrinenarbeiter, Sprengmeister« (S. 58). Bemerkenswert, wie ein so früher Mankell (mit 25 Jahren, nach einer Karriere als Theaterregisseur) Schlüsselsätze formulieren kann zu seinem Protagonisten (S. 41): »Ich habe dieselben Spiele gespielt wie alle anderen. – Arbeiter ist man immer geblieben. Alles hat sich verändert, aber nicht für uns.«
Im Sprengmeister erscheint erstmals der Typ des »Inselpostboten«, die Schären per Boot mit Post versorgend, Neuigkeitenbringer und immer Zeit für ein Schwätzchen, gern genutzt in späteren Erzählungen, auch Kriminalromanen, die in ihrer sozialkritischen Art immer turmhoch über den Brutal-Skandinavo-Krimis heutigen Mainstreams stehen.
Witzigerweise erklärt Mankell als Autor seine Erzähltechnik, die unterschiedliche Zeit- und Erlebnisperspektiven mischt, im Buch selbst (S. 88): »Es gibt zwei parallel verlaufende Stränge. Die Episoden und Erinnerungsbilder aus einigen Sommern, die ich mit dem pensionierten Sprengmeister verbracht habe. Außerdem aber die historischen Entwicklungen, die Oskars Umfeld verändert haben« … Eine Erlebnisebene ist das Spiegelbild der anderen … Sie beschreiben die Gesellschaft, in der Oskar Johansson lebt«.
Mit dem Erzähler spricht er viel über die Revolution, »so wie es jetzt ist, ist es ungerecht.«
Es ist eine eigenartige, felsig-kahle Gesprächsatmosphäre, wenn im Leben des Rentners Johansson der Erzähler lange Schärengespräche mit ihm führt. Historisches blitzt auf, Arbeitslosigkeit, Nazi-Bewegungen im Schweden der dreißiger Jahre, die Debatte, ob Schweden eine Atombombe haben sollte, der Abriss der alten gemütlichen Behausungen und ihr Ersatz durch sterile Hochhäuser, Oskars Austritt bei den Sozialdemokraten denn, (S.141): »Er erlebt die große Willkür und die Macht, die Beamte und Techniker sich angemaßt haben«, auf Basis einer Karierre bei den Sozialdemokraten. Eine Kritik an der Technokratie des schwedischen »Sozialstaats«, die man selbst in »Ein Mann namens Ove« findet (siehe hier). Das historische Programmplakat von ’49, das in einem Pyramidenbild den Kapitalismus erklärt, ganz oben der $-Sack, ganz unten die »normalen« Menschen. Dieses Plakat wird gemeinsam in Oskars Küche interpretiert, es ist von 1911 und eigentlich hat sich nichts verändert. Und er sinniert, dass die da oben immer noch da sind, vielleicht sollte man Kommunist werden, die sind direkter. Dieses Plakat hebt er Zeit seines Lebens auf, auch als es brüchig wird, (S. 141): »Und Oskar lebt weiterhin mit seinen Gedanken und Träumen, die er mit dem Prozess vergleicht, wie man Fotografien entwickelt« – ein Satz synonym für den ganzen Roman. Der erbärmliche Prozess des Altwerdens, die zunehmende soziale Kälte im Land: »Früher wurden wir Alten vom Staat schlecht behandelt. Heute werden wir vom Staat und den Angehörigen schlecht behandelt …«
Oskar, der nie aufgibt, mit fast 80 Schulfernsehen sieht, einfach um die dort gelehrten Dinge zu verstehen, Oskar der Arbeiter, der Sprengmeister, der sein Leben lang seiner sozialistischen Überzeugung treu geblieben ist. Zitat S. 181: »Kann man sich etwas Wahnsinnigeres und Unlogisches und Unvernünftiges wie den Kapitalismus vorstellen? Ich kann es nicht.« Und er resümiert (S. 189): »Aber die Armen und Ausgebeuteten sind in den vergangenen 25 Jahren nur noch ärmer geworden. Und Schweden ist von dem Versuch, eine moralische Gesellschaft aufzubauen, zu sozialer Ausbeutung übergegangen.«
Dieses Leben des Sprengarbeiters Oskar, alles erscheint so melancholisch buchstabiert, so bildhaft schwedisches Arbeiterleben, dass dem Leser Land und Menschen vor Augen erscheinen, man fühlt des Autors Wurzeln in dieser Nation. Das ist so unglaublich gerade erzählt, man wird mitten in das Leben eines einfachen Menschen versetzt. Johansson, der Arbeiter, der als Sozialist sein ganzes Leben darauf hofft, dass der Sozialismus nach einer Revolution kommt und ihm – wie den anderen einfachen Menschen – ein besseres Leben bringt. Wie Mankell mit diesen Collagen, Zeit und Erzählebenen mehrfach wechselnd, das Leben eines schlichten, eigentlich in nichts besonderem Menschen in Bilder bringt, wie er einem einfachen Arbeiter ein Denkmal setzt, ist beeindruckend, gut zu lesen, nicht nur für den, dessen Herz links schlägt. – Ein im allerbesten Sinne proletarischer Roman und wunderschön, dass der Autor, inzwischen berühmter Schriftsteller, sich in einem Nachwort von 1997 uneingeschränkt zu diesem Text bekennt, ein Buch, mit dem er sein Schriftstellerleben begann, ein Leben, das er sich nicht anders vorstellen konnte.
PS: Seit ich Randi Birns Arbeit über A. Sandemose gelesen habe (siehe hier), weiß ich, woher Mankell die Anregung für die Titelfigur hatte: Der Bruder des Protagonisten Erling Vik (in Sandemoses reifstem Werk »Der Werwolf«), Gustav Vik, war von Beruf – Sprengmeister. Und Sandemose war Vorbild für Mankell (vgl. »Treibsand«)
Beeindruckender Roman um einen einfachen Menschen
2019 rezensiert, Arbeiter und Arbeiterinnen, einfache Menschen, Henning Mankell, Piratensender, Pyramidenbild des Kapitalismus, Radio Nord, Schweden, Sozialismus