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Randi Birn
» Aksel Sandemose

Autor:Randi Birn (USA, 1984)
Titel:Aksel San­de­mose
Aus­gabe:Green­wood Press, 1984
Erstan­den:Ein Geburts­tags­ge­schenk (anti­qua­risch)
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Eine der Publi­ka­tio­nen der San­de­mose Gesell­schaft mit einem Por­trät des Autors

Die in den USA leh­rende nor­we­gi­sche Pro­fes­so­rin Randi Birn, hat diese (aka­de­mi­sche) Schrift über einen bedeut­sa­men Autor Skan­di­na­vi­ens (auf Eng­lisch) ver­fasst: Aksel San­de­mose (1899-1965); vgl. »Gele­sen im März 2019«. Und was für ein Buch, und wie es sich mit sie­ben sei­ner bes­ten Werke aus­ein­an­der­setzt. Nur drei davon sind bis­her ins Deut­sche über­setzt wor­den, das wich­tigste, »Ein Flücht­ling kreuzt seine Spur«, ist gerade im Gug­golz Ver­lag neu erschie­nen (die ande­ren bei­den sind »Wer­wolf« und »Der Kla­bau­ter­mann«; dazu siehe »Gele­sen im Februar 2018«). R. Birn hat sehr hin­ter­grün­dige Rezen­sio­nen und Ana­ly­sen ver­fasst, aus Ihren Text zu den Lieb­ha­bern der Feli­cia (»Wer­wolf«) habe ich mehr gelernt, als in allen mei­nen wie­der­hol­ten Lek­tü­ren (ca. 6!).

Dazu gibt es Biblio­gra­fien von San­de­mo­ses Wer­ken der däni­schen, nor­we­gi­schen und eng­li­schen Aus­ga­ben. Man lernt hier, wel­che Motive sich durch das Werk die­ses Autors zie­hen. Sein wich­tigs­tes Werk, »Flücht­ling«, gibt es in zwei Aus­ga­ben: 1933 mit dem pro­gram­ma­ti­schen Unter­ti­tel »Mord an einer Kind­heit« und -weni­ger expres­siv – 1955; die Neu-Über­set­zung von Gabriele Haëfs setzt auf letztere.

Die Ana­lyse die­ses Haupt­werks, das San­de­mose den Durch­bruch brachte, ist unglaub­lich gut. Fas­zi­nie­rend wer­den die Unter­schiede in den Aus­ga­ben beleuch­tet. Hier wird das berühmte Gesetz von Jante (Dänisch/Norwegisch »Jan­tel­oven«) for­mu­liert, den 10 Regeln des Spieß­bür­gers, seit­dem immer wie­der zitiert in nor­di­scher Lite­ra­tur. Das Buch zeigt, wie die natür­li­chen Fähig­kei­ten der Men­schen durch rigide Erzie­hung ver­krüp­pelt wer­den und ihn zum Räd­chen im Getriebe machen. Es beschreibt, wie in der fik­ti­ven Klein­stadt Jante die Zer­stö­rung einer indi­vi­du­el­len Per­sön­lich­keit durch den sozia­len Kon­for­mis­mus einer Klein­stadt geschieht. Es gibt ein Gegen­mit­tel zu Jante: Sich daran erin­nern, dass man ein­mal Kind war.

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www​.san​de​mose​.dk; Web­seite der däni­schen San­de­mose Gesell­schaft, einer wich­ti­gen Quelle zum Autor.

In der im fer­nen Kanada unter nor­we­gi­schen Sied­lern spie­len­den Novelle »Sep­tem­ber« lässt San­de­mose seine ero­ti­scher Attrak­ti­vi­tät erle­ge­nen Prot­ago­nis­ten an den Vor­ur­tei­len ihrer Gesell­schaft kom­plett schei­tern. Jan­tes Gesetz gilt auch in der kana­di­schen Wild­nis. »Alice Atkin­son und ihre Lieb­ha­ber« spielt unter Nor­we­gern, die vom bri­ti­schen Exil aus gegen die deut­schen Nazi-Besat­zer kämpf­ten. Die »Pal­men­grüne Insel«, 1930 als Mär­chen ver­fasst und 1950 neu geschrie­ben, spielt auf einer Süd­see Insel unter von Exil­bri­ten gegrün­de­ten, die alles Externe abweh­ren; es zer­bricht an der Sucht nach Sex und Macht.

»Feli­cias Hoch­zeit« (bis­her nicht über­setzt) und der »Wer­wolf« hän­gen nur lose zusammen.

Letz­te­res sei­ner­zeit in der DDR her­aus­ge­kom­men, es ist ein psy­cho­lo­gisch raf­fi­nier­ter Roman, über die zer­stö­re­ri­schen Kräfte des Wer­wolfs im Men­schen. Erling, Jan und Feli­cia leben – noch im Schat­ten des 2. Welt­kriegs – eine offene Drei­ecks­be­zie­hung, die das Gegen­teil von Jante ist. Des­sen Gespenst auch diese Welt bedroht, sie hal­ten dage­gen, kein Mensch soll durch Reli­gion ver­krüp­pelt werden!

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Anna Zver­eva from Tal­linn, Esto­nia, CC BY-SA 2.0 <https://​crea​tive​com​mons​.org/​l​i​c​e​n​s​e​s​/​b​y​-​s​a​/​2.0>, via Wiki­me­dia Com­mons
Bild­aus­schnitt: M. Mittelhaus

Das Gesche­hen ist eng mit Nor­we­gen unter der deut­schen Besat­zung ver­bun­den, mit »Quis­lin­gen« (Nazi-Kol­la­bo­ra­teu­ren) in der eige­nen Fami­lie. Der Autor und Quar­tals­säu­fer Erling (des Autors alter ego?) will sich mit Schrei­ben von den Schat­ten der Ver­gan­gen­heit lösen, er liebt Feli­cia und fürch­tet gleich­zei­tig ihre sehr offene Sexua­li­tät. Selbst seine Tochte Julie, die mit Feli­cia auf dem Gut Venhaug lebt,wird in die immer wie­der von der Ver­gan­gen­heit ein­ge­hol­ten Schick­sale hin­ein­ge­zo­gen. Diese Feli­cia ist nicht nur eine große Frau­en­ge­stalt der Lite­ra­tur, sie ist auch ein­zig­ar­tig in San­de­mo­ses Werk. Fas­zi­nie­rend sind dazu die Ver­glei­che, die R. Birn mit ande­ren Frau­en­ge­stal­ten des Autors anstellt.

Im spä­te­ren »Mau­ern um Jeri­cho« (nicht ins Deut­sche über­setzt) erklärt San­de­mose, dass der Wer­wolf eigent­lich als Tri­lo­gie gedacht war, was an der Über­fülle an Mate­rial geschei­tert ist.

Birn kommt zu dem Schluss, dass San­de­mo­ses Cha­rak­tere teils Mensch, teils Tier sind. Eine über­wäl­ti­gende Sexua­li­tät sei eine Gemein­sam­keit aller sei­ner Cha­rak­tere, ebenso wie die Unter­drü­ckung des Triebs.

Prof. Birn hat ein genia­les Buch über einen genia­len Schrift­stel­ler ver­fasst, das große Lust auf die Lek­türe wei­te­rer Bücher von ihm macht. Wenn die kei­ner über­setzt, werd ich’s wohl auf Dänisch oder. Nor­we­gisch pro­bie­ren müs­sen. – Das Büch­lein ist ein Muss für San­de­mose Fans, sehr emp­feh­lens­wert für jeden Lieb­ha­ber skan­di­na­vi­scher Lite­ra­tur. Ein Werk, was vie­les die­ses Gen­res erst rich­tig ver­ständ­lich macht.

Ein Muss für Lieb­ha­ber skan­di­na­vi­scher Literatur!

2019 rezensiert, Aksel Sandemose, Dänemark, Greenwood Press, Norwegen