Walter Kaufmann
» Gibt es Dich noch – Enrico Spoon?
Autor: | Walter Kaufmann (Deutschland, 2019) |
Titel: | Gibt es Dich noch – Enrico Spoon? |
Ausgabe: | Edition Memoria / Schumann, 2019 |
Erstanden: | Buchhandlung Volk, Recke |
Es war eine kleine Notiz in der Berliner Tageszeitung »Neues Deutschland« (ND), die mich auf dieses Büchlein aufmerksam werden ließ. Kaufmann, dessen Lebensweg aus D über die Emigration nach GB (Lager), Australien und zurück nach Berlin führte. Die erste WG mit Barbara in Melbourne, der windige Wiener Geschäftsmann, der hilfreiche Vorarbeiter Jack, der fast gelähmte Maler Maurice Carter, der über Stalins Tod weint – gelebte Zeitgeschichte. Umzug nach Sydney, vorher die geklauten Warmbäder im Hotel, dann mit »Old Rusty« als Schiffsheizer nach Jokohama, dort im Boarding House mit Sumiku und Michiko und dem trunksüchtigen Kapitän auf der Reise zu den Weltfestpielen 1955 in Warschau.
Zurück in D(DR) schreibt er über die Hinterlassenschaften des in den Westen geflüchteten tierliebenden Nazis. Sehr eindrucksvoll die verlorene Liebe der ehemaligen Balletttänzerin Ingelore Bliss, untergekommen im Berliner Metropol-Theater; und ein rumänischer Bauer auf überraschenden Gegenbesuch in der Stadt. Der malende Schiffsarzt des DDR-Frachters, der in der brasilianischen Favela verschleppt und für teures Geld ausgelöst wurde; oder der Seemann, der 2 Indiomädchen für den Preis von einem kaufte und das mit einem Messerstich in den Rücken bezahlen musste; Kaufmann bleibt wenig fremd. Auch nicht die lebensfrohe, dralle LPG Bäuerin, die den US Schriftsteller William Saroyan seinen Vortrag in Weimar versäumen lässt. In der brüderlich-schwesterlichen Beziehung zu Ruth Kraft offenbart der Autor, dass er Sohn eines polnisch-jüdischen Verkäufers aus dem Berliner Scheunenviertel ist, die ihn in Adoption zu eínem wohlhabenden Ehepaar nach Duisburg gab. Dann die Begegnung mit einem Bach spielenden Glenn Gould in New York; Kaufmanns kleine Tochter, die »lebig« statt »lebendig« sagt und dies 2 Jahre mit ihm spielt. Drog der vor Biermann scheinheilig buckelnde DDR Verleger, dessen Name dem Autor jedoch entfallen ist. Und schließlich der titelgebende kleine Bettler, der Autor fragt sich, Enrico gibt es Dich noch?
Sehr geradeaus geschrieben, eine zauberhafte Miniaturenauswahl aus der Werkstatt des 95-jährigen (!) aufrechten Linken, was für ein (internationales) Leben, was für Erzählungen. Ein Lebenslauf in Menschenbildern, sehr bunt, kleine Abenteuer, farbig und abwechslungreich. Manches wirklich bewegend, sehr international, aber nie oberflächlich touristisch. Ein Buch, in dem auch Ge-schichte aus anderer Perspektive erzählt wird. Lustig: Das Bändchen habe ich 40 Jahre bekommen, nachdem ich von eben diesem Autor das Buch über den Krieg in (Nord-)Irland gelesen habe, »Wir lachen, weil wir weinen« – gerade im Keller wiedergefunden. Klasse, Walter!