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Ulla-Hahn-Unscharfe-Bilder

Ulla Hahn
» Unscharfe Bilder

Autor:Ulla Hahn (Deutsch­land, 2003)
Titel:Unscharfe Bil­der
Aus­gabe:DVA, 2003
Erstan­den:Gele­sen mit dem Lite­ra­tur­kreis Hopsten

Ulla-Hahn-Unscharfe-BilderDer Aus­gangs­punkt ist die Kon­fron­ta­tion, die eine Leh­rers­toch­ter ihrem im Alters­heim leben­den Vater mit den Bil­dern aus der Aus­stel­lung zu den Ver­bre­chen der Wehr­macht zumu­tet: Ist er das auf einem der schlim­men Bil­der? Diese nach­drück­li­che Frage löst die Ver­drän­gungs­schleu­sen des alten Man­nes, als wenn eine Eiter­beule geöff­net wird.

Sehr gelun­gen scheint mir dabei die Dar­stel­lung der Ängste der Deut­schen damals, das hat mir zu mehr Ver­ständ­nis für die Gene­ra­tion mei­ner Eltern gehol­fen. S. 50: »Es gab nur eines: Weg­schauen. Ja, weg­schauen war über­le­bens­wich­tig, ohne weg­schauen wür­dest Du ver­rückt.« Über­deut­lich die unge­heure Angst, die die Men­schen, die Sol­da­ten beherrschte. Dazu, S. 55: »Das Ich im Wir zum Ver­schwin­den zu brin­gen, war eines der ers­ten Ziele der Nazis.«

Sehr schön ist das »Auf­blät­tern« der Erin­ne­run­gen zwi­schen Vater und Toch­ter. Gut gelun­gen ist das Ein­flech­ten der heu­ti­gen Stol­per­steine in die Erzäh­lung. Ver­ständ­lich, was dem Alten der Ver­lust sei­nes Freun­des Hugo bedeu­tet, das Ster­ben ringsum wird per­sön­lich. Bemer­kens­wert die Aus­sage des ehe­ma­li­gen Sol­da­ten: S. 222 (bezo­gen auf sowje­ti­sche Par­ti­sa­nen) »Ihr Glau­ben an den Sinn ihres Krie­ges war uner­schüt­ter­lich, darum waren sie uns auch so unend­lich über­le­gen.« – Min­des­tens so gut der Aus­druck »Die Schluss­strich­ma­ta­dore« für alle, die heute zu gerne nicht mehr über diese unend­li­chen Ver­bre­chen reden möchten.

Es gibt aber auch eini­ges, was ich kri­tisch sehe: Wird die Ohn­macht der Sol­da­ten nicht über­be­tont, gab es keine Über­läu­fer und kein »Natio­nal­ko­mit­tee Freies Deutsch­land«? Ist die Aus­sage, warum es 1933 kei­nen Gene­ral­streik, gab nicht in die­ser Form falsch? S. 107 heißt es: »Kälte, Schnee, der wich­tigste Ver­bün­dete der Rus­sen« – Nanu, kämpf­ten die nicht unter den glei­chen Wet­ter­be­din­gun­gen? Müs­sen so alte Mär­chen unwi­der­spro­chen kol­por­tiert wer­den? Es gibt noch einige Stel­len, die der his­to­ri­schen Wahr­heit nicht ent­spre­chen, schade. Außer­dem: Wäre es nicht an der Zeit, nach so vie­len Büchern über die Täter (Deutsch­land) auch wel­che über die Opfer zu schrei­ben? Die aus der Sowjet­union, aus Eng­land, Grie­chen­land…. Das Buch zieht den Leser – trotz des tod­trau­ri­gen Sujets – in den Bann, beson­ders gefällt die gewählte Form der Zwie­spra­che zwi­schen den Gene­ra­tio­nen. Ein gut, aber nicht sehr gut geschrie­be­ner Roman, mit man­chem his­to­risch Bezwei­fel­ba­rem, zu einem immer noch aktu­el­len Thema und zur Frage: Wie weit waren unsere Eltern und Groß­el­tern in die Ver­bre­chen der Nazis ver­strickt. Ihre Spra­che habe ich als nicht so spie­le­risch gran­dios emp­fun­den, wie in »Hilla Palm« (vgl. Gele­sen im Mai 2018), sie erreicht auch nicht deren erzäh­le­ri­sche Dichte. Sie wirkt in man­chem selt­sam apo­li­tisch. Die Ängste, die die Men­schen wäh­rend des »3. Rei­ches« aus­ge­stan­den haben, ver­steht sie dem Leser ein­drucks­voll nahezulegen.

Auf jeden Fall empfehlenswert

2019 rezensiert, Deutschland, DVA, Faschismus, Historisches