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Jurek-Becker-Bronsteins-Kinder

Jurek Becker
» Bron­steins Kinder

Autor:Jurek Becker (DDR, 1986)
Titel:Bron­steins Kinder
Aus­gabe:Lizenz­aus­gabe für den Buch­club ExLi­bris, nach der Suhr­kamp Aus­gabe, 1986
Erstan­den:Buch­re­gal mei­ner Frau

Jurek-Becker-Bronsteins-Kinder

Der Autor, ein Wan­de­rer zwi­schen den Wel­ten DDR und West­ber­lin, wird den meis­ten als Ver­fas­ser des erschüt­tern­den »Jakob der Lüg­ner« bekannt sein, man­chen eher als Erstel­ler der Dreh­buch­se­rie »Lieb­ling Kreuz­berg« mit dem unver­ges­se­nen »Manne« Krug – als Fern­se­hen noch Spaß gemacht hat.

In »Bron­steins Kin­der« wagt Becker – der selbst mit ca. sie­ben (!) Jah­ren ins KZ kam – sich an das schwere Thema Selbst­jus­tiz. In die­sem – noch in der DDR spie­len­den Fall – ent­deckt ein Teen­ager, dass im Feri­en­haus sei­nes Vaters, das der Junge für unge­störte Lie­bes­treffs mit sei­ner Freun­din nutzte, ein ehe­ma­li­ger KZ-Auf­se­her von Neu­en­gamme durch sei­nen Vater und des­sen Freunde (die alle einst im KZ saßen) gefan­gen­ge­hal­ten wird. Der Vater ver­traut nicht auf die DDR Jus­tiz und will – auch durch rohe Behand­lung – Geständ­nisse aus dem Mann herauspressen.

Das aus­ge­rech­net in der DDR, in der Nazi­ver­bre­cher, ganz im Gegen­satz zur BRD, in aller Regel mit unnach­sicht­li­cher staat­li­cher Ver­fol­gung und Bestra­fung rech­nen mussten.

Nun hätte man eini­ges über die Pro­ble­ma­tik der Selbst­jus­tiz erwar­ten kön­nen, ob ehe­ma­lige KZ-Häft­linge die­ses Recht der Unter­su­chung und Bestra­fung selbst in die Hand neh­men kön­nen, zu wel­chem Ziel und Zweck und warum gerade in der DDR. Da gibt es auch Ansätze, wie auf S. 80: »Gibt es nicht jedes­mal ein Unglück, wenn Leute sich Rechte her­aus­neh­men, die ihnen nicht zustehen?«

Wirk­li­che Ant­wor­ten lie­fert Becker aber zur Selbst­jus­tiz eben­so­we­nig wie auf die Frage (außer einer schwa­chen Kri­tik an der SU-Hörig­keit in der DDR), warum das Ver­hält­nis zwi­schen Vater und Sohn – abseits vom all­fäl­li­gen Gene­ra­ti­ons­kon­flikt und ein paar klei­nen Dieb­stäh­len – so ver­quer ist. Warum der Sohn mit sei­ner Freun­din aus­ein­an­der ist, wel­ches Ver­hält­nis er eigent­lich in spä­te­ren Jah­ren zu ihr hat? Oder warum er unbe­dingt Phi­lo­so­phie stu­die­ren will (nur weil Becker das selbst getan hat), auf jeden Fall alleine woh­nen will. Warum der junge Mann so ein abso­lu­ter Mie­se­pe­ter ist und man­che andere Frage mehr. Wel­chen erzäh­le­ri­schen Part an der Geschichte hat seine durch trau­ma­ti­sche Kriegs­fol­gen ins Irren­haus gebrachte Schwes­ter Elle? Ist man wirk­lich in einer Opfer­rolle, wenn man als »Opfer des Faschis­mus« aus­glei­chende Pri­vi­le­gien in Anspruch nimmt?

Der Leser wird, wie vom Autor gewohnt, gut unter­hal­ten, jedoch ohne nen­nens­werte Ant­wor­ten ste­hen gelas­sen. Dabei kom­men durch­aus Sätze vor, für die ich die­sen Autor liebe, zur Behand­lung sei­ner Schwes­ter in der Anstalt (S. 61): »Die Medi­ka­mente besei­tig­ten eine dau­ernde Erre­gung, lie­ßen aber fast nichts von ihr übrig.« – bei­ßende Kri­tik an der Behand­lung mit Psychopharmaka!

Oder wie er sei­ner Schwes­ter – in der Anstalt abge­schnit­ten vom Leben – Filme erzählt, dar­un­ter das so poe­ti­sche sowje­ti­sche Film­werk »Wenn die Kra­ni­che ziehen«.

Zu allem Über­fluss arbei­tet Becker sich aber lei­der auch noch inten­siv an den 1973 in Ost­ber­lin statt­ge­fun­de­nen Jugend-Welt­fest­spie­len ab (zu viele Aus­län­der!!), die der Rezen­sent (als West­ber­li­ner) als aus­ge­spro­chen offe­nen, kul­tu­rel­len und poli­ti­schen Aus­tausch erlebt hat; warum nur ätzt Becker so darüber?

Es war ein wirk­lich sel­te­nes und für DDR-Ver­hält­nisse unwirk­lich offe­nes Tref­fen einer Welt­ju­gend, das nicht ein­mal abge­bro­chen wurde, als Wal­ter Ulb­richt wäh­rend des Fes­tes starb, in die­sem auto­ri­täts­hö­ri­gen Land ein uner­hör­ter Vorgang.

Man gesteht natür­lich ange­sichts der Bio­gra­fie des Autors alle Kri­tik und den Aus­gangs­punkt der Hand­lung zu. Es ist auch wie­der ein »ech­ter Becker«, den man in 2 Tagen ver­schlin­gen kann, also gut geschrie­ben und flüs­sig zu lesen.

Aber auf­grund prak­tisch aller offen gelas­se­nen Fra­gen und weil man wirk­lich nicht weiß, was der Autor uns eigent­lich mit die­ser Geschichte sagen wollte, weil das Buch an vie­len Stel­len wie eine spät­pu­ber­täre Trotz­re­ak­tion wirkt, trotz gutem Aus­gangs­punkt und eini­gem Unterhaltungswert:

Eher unbe­frie­di­gend

2019 rezensiert, DDR, Jurek Becker, Naziopfer, Selbstjustiz