
Peter Schütt
» Von Basbeck am Moor über Moskau nach Mekka
Autor: | Peter Schütt ( Deutschland, 2009) |
Titel: | Von Basbeck am Moor über Moskau nach Mekka – Stationen einer Lebensreise |
Ausgabe: | Mut Verlag, 2009 |
Erstanden: | Vom Autor |
MONDLANDUNG
Die Amerikaner
landeten 1950 in Korea
1960 in der Schweinebucht
l964 in Vietnam
und im Jahre 1969
auf dem Mond.… Sie fanden
ein vertrautes Gelände vor
Das Feld war
von Kratern übersät
mit Asche und Staub
unbewohnbar und ohne ein Lebenszeichen
wie die von amerikanischen Flaggen
markierte Mondlandschaft
im Eisernen Dreieck
nördlich von Saigon… Die amerikanischen Stiefel
haben deutliche Spuren
hinterlassen: in Vietnam
wie auf dem Mond.PETER SCHÜTT, 22.7.1969
Der weite Weg des 1939 geborenen Lehrerssohns beginnt unter dem Strohdach der Moorschule, in Basbeck am Moor, 1952 gab es erst Strom, charakteristisch (S. 25): » Die Schalllandschaft wurde noch vom Wind und von Tier- und Menschenlauten geprägt.« Ein Leben nahe dem Moor, der Oste, dem Leben mit dem Fluss, dem Wasser, der Flut, ein Umzug, ein neuer Abschnitt. Schiere Reiselust führt den jungen Peter (per Fahrrad) nach Worpswede und zu Besuch bei Martha Vogeler.
Der Autor schafft es, Kinder- und Jugendwelten zu transportieren, die Bilder dieser Zeit zu malen. Er macht das Besondere am Alltäglichen bemerkbar, zeichnet es aus und liefert in der Erzählung seines Aufwachsens Stücke deutscher Nachkriegsgeschichte und -politik. Sein geäußertes Urvertrauen in Gottes Gerechtigkeit lautet bei mir persönlich anders: Ich habe immer noch ein Urvertrauen in die Ehrlichkeit der Menschen; ob wir beide Illusionen tragen? Zu 100 % treffe ich mich mit ihm, wenn er schreibt (S. 67): »Ich habe die kindliche Aneignung der Welt nie aus den Augen verloren.«
Spätestens mit dem Studium und Dissertation (Literaturgeschichte) beginnt die lange, lange Kette seiner Kontakte mit Persönlichkeiten, so wie dem Jung-Juristen mit Fliege, der im Hamburger Studentenwohnheim das große Wort hat: Otto Schily; später trifft er auf Sebastian Haffner, E. Röhl, U. Meinhof, noch später (Weltfestspiele 1973 in Berlin/DDR): Angela Davis, Jassir Arafat, Anna Seghers; eine seitenlange Liste könnte man füllen.
Einen Schlüsselsatz für den Autor und seine Lebensstationen findet man früh, auf S. 83 heißt es : »Ich suchte nach Geborgenheit in einer verlässlichen Gemeinschaft, egal ob katholische Kirche oder Kommunismus« – oder Islam, wie man heute hinzufügen kann. 1966 bereits schließt er sich der »Hilfsaktion Vietnam« an und nimmt an einer Protestkundgebung teil, auf der er Gedichte liest, Polizeieinsatz – wie sich die Bilder gleichen, ich rannte im gleichen Jahr das erste Mal vor Polizeiknüppeln weg, vor dem Amerikahaus in Berlin, Protest gegen das Morden in Vietnam der USA.
Die für Schütt wichtige Station der »literarischen Produktionsgenossenschaft Eppendorf«, in damals bezahlbaren Jugendstil-Altbauten und -WG’s. Einer seiner Beiträge zur engagierten Literatur, eine andere dann der Querverlag mit Uwe Wandrey, Autoren: Erich Fried, Erasmus Schäfer, Beate Klarsfeld. Die Reise nach Bitterfeld, trifft auf Christa Wolf, Brigitte Reimann (s. hier S. 14!), Franz Fühmann, Erik Neutsch. Der wichtige Werkkreis »Literatur der Arbeitswelt«, bisher völlig fremdes Terrain der Literaturszene. Über 30 Bücher in den frühen Siebzigern, Gesamtauflage über 1 Million. Aber auch, S. 141, »Alles in allem ein nostalgischer Abgesang auf die industrielle Arbeitswelt, deren Verlagerung aus Deutschland in die Dritte Welt längst begonnen hatte.«
Sein Aufruf zur Gründung der DKP (trotz der Mahnung des R. Giordano), der Anstoß dazu von Helene Weigel. Die Veröffentlichung von »Eiffe’s Welt«, die Agitprop-Gruppe »Peter, Paul + Barmbeck«. 1978 Augenzeuge des Breschnew-Besuchs, was für ein erschreckend siecher Mann. Das »Mondlandungsgedicht« (S. 15), in dem er 1969 das von den USA bombardierte Vietnam mit einer Mondlandschaft vergleicht, eines der meist verbreitetsten Gedichte. Dann die Aktion »Rettet Angela Davis« – es gelang!
Seine Reise in die Sowjetunion, die Bekanntschaft mit Jan Vogeler (vgl. »Gelesen Feb. 2017), er hat nie so viel Gastfreundschaft und Liebenswürdigkeit erlebt, wie von den Völkern der SU empfangen. 1973 die Reise nach Vietnam, kurz nach dem Waffenstillstand, die ungeheuerlichen Bilder, Resulat des fast 15-jährigen Bombardements der USA. – Die ersten Risse im orthodoxen Parteiglauben, der große Erfolg mit dem Verlag »Atelier im Bauernhaus«, fünf Gedichtbände, 1976 »Mein Niederelbebuch«, was ihm bis zum Tod seiner Mutter Ächtung in Basbeck eingetragen hat.
In seiner DKP Zeit, engagiert in den Dialog DKP/Christen (Spitzname »Pater Schütt«), die Zusammenarbeit mit Uta Ranke-Heinemann, der legendären »Friedensfrau« Klärchen Faßbinder und der außerordentlichen Erscheinung in der Friedensbewegung Martin Niemöller, der enorme Erfolg des Krefelder Appell, die Friedensbewegung der Achtziger. Die Ecken und Kanten des M. Niemöller, S. 222: »Was für ein Otterngezücht seid ihr! Ihr wollt die Atomraketen stoppen und traut Euch nicht einmal ein Gebet!«
Peters Trauer über die fehlende Aussöhnung mit dem eigenen Vater, so wie sie mir nicht mit meiner Mutter gelang; dagegen konnte P. Schütt seine Mutter bis zu deren Ende begleiten.
Später der Bruch mit der Partei, Liebeskummer, eine weitere SU Reise stärkt ihn, seine große Liebe zu den Völkern der UdSSR, trotz vieler potemkinscher Dörfer und KGB-Spitzelei und oft zynischer Lippenbekenntnisse von SU-Bürgern zum Kommunismus. Schütt beobachtet in dortigen Ländern einen hohen Einfluss des Islam, zuvor, 1978, die erfolgreiche Reisereportage mit dem ironischen Titel »Ab nach Sibirien«. Vieles davon bezeichnet er im nachhinein als blauäugig, Hermann Gremliza nennt ihn : »Traumtänzer auf der Suche nach dem Guten, was von oben kommt«.
Immer wieder faszinierend das bunte Leben des Autors, seine weltweiten Reisen, die Vielfalt seiner Länder und Menschenbekanntschaften, von alldem hier nur ein Teil erwähnt werden kann; ein Kosmopolit entwickelt sich; mit’m Schlach inne Frauenwelt, würde der Berliner sagen.
Ein Perspektivwechsel ergibt sich für ihn durch die Heirat mit einer farbigen US-Bürgerin, auf einmal auch Vater, nämlich ihrer damals 12-jährigen Tochter, heute ist er stolz darauf. Das führt – nach der UdSSR – zur zweiten Kontinentreise, diesmal durch die USA, und wie könnte es bei diesem Kosmopoliten anders sein, zu umfangreichen Kontakten: Durch seine Frau zur farbigen Bevölkerung, US-Bürger erlebt er als aufgeschlossen, er trifft James Baldwin, Alan Ginsberg, Angela und Fania Davis.
Und ist auf dem Parteitag der KP der USA mit deren Spitzen Gus Hall (einem Erzstalinisten) und dem blinden Henry Winston zusammen. Der erhebende New Yorker Karneval der Kulturen auf dem Nationalkongress gegen politische und rassistische Unterdrückung – eine USA fernab vom Mainstream. Wie schön drückt er aus: Die Kontinente der irdischen und der himmlischen Liebe entdeckt, mit vielen der einst Geliebten steht er heute noch in Verbindung. Ein nachdrückliches Bekenntnis zur Sexualität, ein Gottesgeschenk, nennt es der gläubige Muslim – was sich in einer katholischen Umgebung geradezu befreiend liest. Sein Buch über das andere Amerika »Die Muttermilchpumpe«, im Nov’88 die Revue »Jesus auf dem Sozialamt«, 3 Jahre später ist er selbst arbeitslos. Nächste Reisestation – noch als faktischer DKP Delegationsleiter – das »sozialistische« Äthopien, die den Mauerfall überlebende Freundschaft mit Rady Fish (vermittelt durch Jan Vogeler), entwürdigende Blicke hinter die Kulissen des verfallenden sowjet. Systems. Auseinandersetzungen in der DKP um Glasnost und Perestroika, Austritt aus der Partei 9 Monate vor dem 9. November, Verlust sämtlicher Bücher und -honorare beim Verlag Pahl-Rugenstein, dann die Überraschung des Mauerfalls.
Nach dem Zusammenbruch dieses Systems und seiner Satelliten die Entschuldigung gegenüber manchem, dem er Unrecht getan, die Heirat mit einer Iranerin und seine Ankunft im spirituellen Hafen des Islam. Er engagiert sich gegen den Krieg Iran-Irak, für Opfer des NATO-Kriegs gegen Jugoslawien, unterstützt verfolgte Türken,erlebt mit seiner iranischen Frau das Wunder der Kindsgeburt – was alles in ein einziges Leben passt!
Köstlicher Sarkasmus: »Mit den Jahren häuften sich die Preise, die mir [als Literat] nicht verliehen wurden.« ; mal war die CDU dagegen, mal die Linkspartei (die ihm sein Buch »Letztes Gefecht« übelnahm), mal stand sein Bekenntnis zum Islam im Weg.
Sein Übertritt und Bekenntnis zum Islam in Hamburg beschreibt er mit den schönen Worten, S. 313: »Mein Bekenntnis war der letzte Schritt auf dem langen Weg zu meinem eigenen Gott.« Mich hat hier seine eigene Linie und Haltung gegenüber vielen politischen und Alltagsfragen beeindruckt, so seine Rückreise aus dem Iran, die Einkehr in einer Moschee in Damaskus: »..dass ich Jesus nicht aufgeben musste, um Mohamed zu gewinnen.« Seine Hadsch-Schilderung ist voller Poesie, aber ob sie jeden Leser erreicht?
Aber ihm gelingt eine selten verständliche Darstellung eines Bekenntnisses zu einem anderen, zu einem islamischen Glauben, er baut eine Brücke der Verständigung des Glaubens. Sein Weg ist in vielem nicht mein Weg, uns verbindet, dass wir uns entschlossen unseren eigenen Weg gesucht haben.
Unverkennbar seine Spiritualität, wenn er in einer großen Beziehungskrise innehält und feststellt, er hätte Gott aus seinem alltäglichen Leben gleichsam ins Jenseits abgeschoben.
Schöne Worte zu seiner Beziehung zur Literatin Ulla Hahn, damals das »Traumpaar der DKP«, aus seiner Sicht eine Trennung ohne Groll, aus ihrer Sicht literarisches Schweigen (vgl. gelesen im April bzw. Mai 2018).
Lektüre und Rezension sind mir – trotz des angenehmen Plauderstils – manchmal schwer gefallen, zu viel erinnert an meine eigene Vergangenheit, eigene Irrtümer. Trotzdem uns Fundamentales trennt, ich bin atheistisch aufgewachsen und finde mich in keiner der heutigen Glaubensgemeinschaften, steht mir der Autor menschlich und politisch nahe.
Schön wenn er (dazu passend) schreibt, dass er den intereligiösen Dialog in der Hamburger patriotischen Gesellschaft leitet. Peter Schütt resümiert: »Ich bin meinem Gott dankbar für mein unverdientes und unverschämtes Lebensglück.« Die Reise geht weiter: »Ruhe und Frieden hat meine Seele bislang nicht gefunden«.
- Diese umfangreichen autobiografische Notizen waren mir vierfach wertvoll:
- Wegen der in bestem Sinne sentimentalen Erinnerungen an Vergangenes, aber nicht Vergessenes.
- Aufgrund der Beiträge zu einer anderen Ge-schichte des Nachkriegsdeutschland, allein die Kette der Namen, die er zählt, so wichtig.
- Wegen der ehrlichen Offenbarung der Veränderungen eines Menschen vom Katholizismus über den Kommunismus zum Islam.
- Eines Mannes, der sich in seiner ehrlichen Humanität treu geblieben ist und so auf Mitmenschen wirkt.
Allerdings hat mich auch des öfteren der Eindruck beschlichen, dass er so manches tiefes Gefühl eher nicht bekennt, was jedoch jedes Autors Recht ist. Vielleicht versteht man manches auch besser, wenn man früheres von ihm liest, so seine bittere Abrechnung mit Stalinismus, SED und DKP in dem Band »Mein letzes Gefecht« (Anita Tykve Verlag 1992). Dieser Mann hat unglaublich viel erlebt, unwahrscheinlich viele interessante Menschen gekannt. Er zeigt in aller Offenheit, welch eigenen Weg er gegangen ist und bekennt sich zu Irrtümern, tausendmal symphatischer, als glatte Mainstreamer.
Und: Er ist überzeugter und überzeugender Humanist, ein Leben lang, Chapeau, Peter; danke Genosse!
Besonders lesenswert, sehr zum Nachdenken anregend
MEIN MANN IM MOND
Als mein Heimatland in Trümmern lag,
hast Du Vietnam eine Mondlandschaft genannt.
Heute spiegelt sich Buddhas Vollmondlächeln
wieder im Lotosblütenteich von Hanoi.
Darum bin ich von der Einsäulenpagode
herabgestiegen und bin als deine Mondfee
zu dir nach Hamburg geflogen.
Du bist mein Mann im Mond
und ziehst mich nachtwandelnd
zu dir hin.NGU THI THANS
Das Original des Gedichts ist in vietnamesischer Sprache
Dr. Ngu Thi Thans gehörte zu den ersten sechs Ärztinnen und Ärzten, die nach dem Ende des Vietnamkrieges in der Bundesrepublik studiert und promoviert haben. Schwerpunkt ihrer Ausbildung war die Behandlung von Kindern, die Opfer der amerikanischen Giftgasangriffe geworden waren.
Ngu Thi Thans studierte von 1981 bis 1983 am UKE in Hamburg-Eppendorf. Ihr Doktorvater war Dr. Karl-Rainer Fabig, der langjährige Leiter der »Hilfsaktion Vietnam«. Ich habe Thans im Frühjahr 1983 kennengelernt und habe sie, da ich in der Nähe wohnte, nach dem Ende ihrer Spätschicht gern vom UKE bis zum Studentenheim in der Willistraße nach Hause begleitet. Hand in Hand und manchmal auch Arm in Arm. Anfang Oktober l983 ist sie nach Hanoi zurückgekehrt und wurde später Leiterin des größten Kinderkrankenhauses in Hanoi. / Peter Schütt