Brigitte Reimann
» Hunger auf Leben
Autor: | Brigitte Reimann ( DDR 1955-1970) |
Titel: | Hunger auf Leben |
Ausgabe: | Aufbau Taschenbuch, 2004, 1. Auflage |
Erstanden: | Antiquariat »Bücherwurm« M. Kross, Bippen |
Eine der großen weiblichen Autorinnen der DDR, sozialistisch, kritisch und tragisch früh verstorben, wer denkt nicht an Maxi Wander und Irmtraud Morgner? – Wer kennt noch B.Reimanns »Ankunft im Alltag«, mit dem sie berühmt wurde, und nach der eine ganze literarische Gattung als »Ankunftsliteratur« benannt wurde?
Es sind die Erinnerungen an einen sehr zerrissenen Menschen, mit diesem Körper, der sie im Stich lässt (schwer krebskrank über
Jahre), nach dem sich die Männer aber umdrehen. Zerrissen in ihrer literarischen Arbeit, Selbstzweifeln, Männerverschleiß, enormer Alkoholkonsum, zerrissen in dem Dauerstreit mit der politischen Macht eines Landes, dass ihres war. In dem sie große Erfolge, Preise, gutes Einkommen, Diskussion mit Kollegen und führenden Kulturpolitikern zeitigte. Sie, die sich als Laborantin in das Chemiekombinat (sie findet es sehr eindrucksvoll) nach Hoyerswerda, an die Basis, verpflichtete und über diese Basisarbeit einen äußerst kritischen Bericht für das ZK der SED verfasste. Das Buch zeigt auch, über welches (materiell) glückliches abgeschirmtes und sorgloses Leben Literaten in der DDR leben konnten. Aber auch wie Bücher (nicht nur von ihr) abgelehnt werden, eines als konterrevolutionär. Wie sie einer Selbstverpflichtung der Stasi entgeht. Wie ihr schlecht vor Angst wird, als F.J. Strauß Atomwaffen fordert – Sie war unglaublich tief in die Kulturarbeit in ihrem Land integriert, kam mit Menschen, mit Lesern zusammen, herrlich, die Bibliothekarinnen, die ihr sagen: Von Ihnen nehmen wir jeden Titel auf! Eine andersartige, geradezu feministische Interpretation des Wilhelm Tell, Frauenleben und -Rechte – ihr Thema. Schließlich Resignation an der Arbeit des Schriftstellerverbandes 1968. –
Ich habe selten derart deutliche, geradezu intime Innenansichten eines Menschen, der für den Sozialimus war und doch an der DDR verzweifelt, gelesen. Dabei bieten diese Erinnerungen geradezu ein Who’s Who der DDR und UdSSR Schriftstellerszene, (Walter Kaufmann, vgl. »Lebst Du noch Enrico Spoon«, erinnert sie an Jack London). Aber auch über den fortdauernden Kulturstreit mit dem in dieser Hinsicht unsäglichen Walter Ulbricht. Zitat, S. 144: »Es ist hoffnungslos, Besserung für unsere literarische Situation zu erwarten, solange dieser amusische Mensch mit seinem Kleinbürgergeschmack sich Urteile anmaßt.«
Die Ausgabe zeitigt leider editorische Schwächen, wer hat diese Ausschnitte aus ihren Tagebüchern nach welchen Kriterien gewählt, warum fehlt z.B. ihr Brief an das ZK, warum hört die Auswahl mit dem 11.12.1970 auf? – Aber es ist eines der Bücher, bei denen ich am Ende »wow« gesagt habe, was für ein Kampf dieser Frau, der Kampf einer Schriftstellerin ums Schreiben, der Kampf mit der Kulturpolitik der SED, der Kampf mit Partnern und der Kampf mit dem Krebs. Und so viel »DDR-Diskussion« auf einmal, man fasst es nicht. – Erschütternd und doch Neugierde auf ihr schriftstellerisches Werk weckend. Ihre »Franziska Linkerhand« ist schon im SUB gelandet, ich bin sehr gespannt.