
Per Olov Enquist
» Auszug der Musikanten
Autor: | Per Olov Enquist ( Schweden 1978) |
Titel: | Auszug der Musikanten |
Ausgabe: | Volk&Welt, Berlin/DDR, 1982, Lizenz von Carl Hanser München |
Übersetzung: | Wolfgang Butt |
Erstanden: | Antiquariat M. Kross, Bippen |
Enquist gestaltet sehr bildhaft eine hochinteressante Episode des Beginns der schwedischen Arbeiterbewegung, in den besonders rückständigen Nord-Regionen (Västerbotten+Norbotten), in der sozialistische Agitatoren erst mal nackt an den Baum gebunden wurden. »Diese sonderbare västerbottnische Mischung von Frömmigkeit und Sentimentalität, Strenge und Vulgarität, Wärme und Kälte, Wachsen und Tod« so flicht der Autor den Rahmen der Geschichte. Und: »Die Dörfer waren sehr klein, sie waren nicht mehr als diskrete kleine Löcher im Waldteppich.« Die Menschen reden einen schwer verständlichen Dialekt, gemischt mit Schwedisch, stöhnt der entsandte Agitator Elmblad.
Ungewöhnlich ist das dokumentarische Einspielen offizieller Zahlen zur Entwicklung der Region und das Einarbeiten von Quellen der schwedischen sozialdemokratischen Bewegung. Darunter ein erschütternder Bericht eines Agitators, welche Zerstörungen in der Waldlandschaft des Nordens mit einer ungehemmten Wirtschaft angerichtet wurden und welch unsägliche Bedingungen das Bündnis reicher Bauern und des Pfaffentums für die Bevölkerung geschaffen haben. So dass vielen nur das Zitat der Stadtmusikanten bleibt: Komm mit, etwas besseres als den Tod finden wir überall. Was zur großen Emigration in die USA führt, aus der wiederum die Bewegungs-Ikone Joe Hill (= Joseph Bergström) resultierte.
Eine extrem bigotte Provinz, die lange Streikbrecher für den Süden des Landes stellt, bevor üble Lohnsenkungen (mitten in einem harten Winter) auch hier einen Widerstandswillen und die Gründung eines Arbeitervereins hervorrufen. Auch wenn die eigentlichen Streikziele nicht erreicht werden, sie erleben erstmals Solidarität und sie haben erstmals festgestellt, dass ihre Arbeit einen Wert hat – ein wichtiger Schritt, »danach konnte man weitersehen«. Enquist verbindet das mit einer oft derben Folklore, im krassen Gegensatz zu bigotten Sonntagen, wenn eine durchgetickte alte Bäuerin obszöne Lieder singt, vom Piller, Klöten und geilem Hausierer, Elsa mit dem Holzbein – Lieder von Bellmannscher Qualität. Die melancholische, detailreich intensive Sprache mit Bildern wie vesterbottnischer klirrender Frostnächte. Zwischen seinen sehr unterschiedlichen Personen, der zwiespältige Agitator Elmblad, vom jungen Nicanor einst verprügelt, heute Arbeiterveteran, Josefin, der Stierhalter, die misstrauisch beäugte karelische Schönheit Eva Liisa und der spät gewandelte Spitzel, der von allen geschundene Trottel, »Onkel« Aaron, bettet Enquist die illustrierende Handlung ein. Mit mehrfachen Wechseln der Zeit- und Erzählebene erzeugt der Autor zusätzliche Spannung, zwingt aber auch zum konzentriertem Lesen. Enquist schafft mit seiner Sprache Bilder, viel Ausdruck, einer herben Periode der Arbeiterbewegung in Romangestaltung. Ein Stück spannend illustrierter Geschichte der Arbeiterbewegung in Skandinavien, sehr nordlichtig, vielleicht nicht ganz durchkomponiert, aber insgesamt:
Sehr empfehlenswert
2019 rezensiert, Arbeiterbewegung, Berlin/DDR, Schweden, Volk & Welt