Hanne Ørstavik
» Liebe
Autor: | Hanne Ørstavik (Norwegen, 1997) |
Titel: | Liebe |
Ausgabe: | Karl Rauch, 2017 |
Übersetzung: | Irina Hron |
Erstanden: | Pankebuch Berlin |
Vorab ein besonderes Lob dem Verlag, der den Band zu einem auch optisch gelungenen und mit seinem strukturierten Einband auch zu einem echten Handschmeichler werden ließ, Merci!
Es ist vordergründig die Geschichte von Vibeke und ihrem Sohn Jon, frisch zugezogen in einem kleinen Kaff, ihres langsamen Auseinanderwachsens und ihrer (jeweiligen)?Suche nach »Khærlighed« – Liebe. Scheinbar die Begegnung Vibekes mit einem ebenso suchenden Schausteller aus einem kleinen Reise-Tivoli. Aus dem auch die seltsame, die schlaflose Frau kommt, die Vibekes Sohn begegnet, die eine ganze Nacht auf der Suche, im Auto umherfahrend verbringt. Und mit ihrem und des Schaustellers Auto begegnen sich Mutter und Sohn in der Nacht, Begegnung? Die Autos fahren aneinander vorbei, Begegnung?
Erzählt wird im schallschnellen Wechsel der Fantasie-Perspektiven beider Protagonisten, der blitzartige Erzählerwechsel im Kontrast zur »Slow-Motion« Schilderung. Mehr als die realen Geschehnisse, die den Voyeur im Leser enttäuschen, sind es die Fragen, wie könnte es weitergehen? Was könnte sich aus den Begegnungen von Vibeke bzw. Jan ergeben, was könnte aus Mutter/Sohn, aus ihren eventuellen Partnern werden? Das ist es, was mich im Verlauf des Buchs gebannt hat. Gleichzeitig erscheint es mehr und mehr ein Roman der Nicht-Begegnung zu werden, der vorsichtigen Suche nach etwas Liebe, einer Suche, die nichts zerstören will.
S. 93: »Irgendwann werden wir mit der Oberflächlichkeit der Sprache zurecht kommen, und bis dahin werden wir uns auch ohne Worte verstehen.«
Und ein bisschen »Road-Movie«, die rätselhafte Frau, genau wie Vibekes Rencontre aus dem Reise-Tivoli, im Moment des Treffens zum Abschied bestimmt. Zwei Geschichten, die nebeneinander laufen, 2×2 Menschen, die Zeit miteinander verbringen, anders als man erwartet. Ein Junge mit viel Jungenfantasie, Vibeke tief in Frauenfantasien.
Mit der »Super-Langsam-Erzählweise« und dem »Stakkato-Perspektivwechsel«, den Bewusstseinsströmen von Vibeke und ihrem Sohn, schafft die Ørstavik eine besondere Atmosphäre, etwas, was den Leser förmlich in den Roman einsaugt. Raffiniert, sehr raffiniert geschrieben, nur scheinbar alltägliche Sprache, die Einsamkeit der »Tivolianer«, dieses »sich_nicht_wirklich_begegnen_können«, die vielen Träume, wahrlich gut geschrieben.
Eine sehr gelungen erzählte Geschichte, besonders geglückt erschien mir die geradezu unglaubliche Langsamkeit der Erzählart der Ørstavik, wie in Zeitlupe rollen die parallelen Bewusstseinsströme ab, die Entwicklungen von Begegnung/Nicht-Begegnung aufbauend und konventionelle Leseerwartungen enttäuscht, den Leser nachdenklich entläßt.
Langsame Geschichte von Begegnung und Nicht-Begegnung
2020 rezensiert, 21. Jahrhundert, Hanne Ørstavik, Karl Rauch Verlag, Norwegen