
Hartmut König
» Warten wir die Zukunft ab
Autor: | Hartmut König (Deutschland, 2017) |
Titel: | Warten wir die Zukunft ab |
Ausgabe: | neues Leben, 2. Auflage 2018 |
Erstanden: | Buchhandlung Volk, Recke |

Lektüre und Rezension dieses Titels fand ich nicht leicht, Hartmut König, FDJ- und Kulturfunktionär, Musiker, Texter, hat viel Verantwortung für den Kasernenhof Sozialismus der DDR und ganz besonders die oft betonköpfige Kulturpolitik getragen. Soll man ihm noch Referenz erweisen?
Andererseits kenne ich einen Hartmut König als Mitbegründer eines »Oktoberklubs«, mit dem Volkslieder, Folklore, Protestlieder, ein ein gutes Stück »alternativer Jugendkultur« auch zu einem nicht zu vernachlässigenden Stück DDR wurden. Wenn schon Autobiografen wie Jens Rosteck zu Joan Baez (»Gelesen im November 2017«) diesen Teil deutschsprachiger Kultur offenbar komplett entbehrten, sie ihren Einfluss komplett vergessen, gerade dann fühle ich mich herausgefordert, dazu in meinem Blog nachzutragen.
Es ist auch ein Buch des Wiederlesens, so mit dem Nachbar Gerd Natschinski (einem der wichtigsten Macher populärer Musik in der DDR), Nachbar in der Schönhauser, Königs Heimatkiez. Einen verordneten Antifaschismus hat es aus seiner Sicht in der DDR nicht gegeben, Neonazis seien in den Nachwendewirren sozialisiert worden.
Er weist auf das Pfingsttreffen der FDJ ’64 mit viel freier Diskussion und die Gründung eines eigenen Jugendsenders »DT 64« hin, der (Mangel an LPs) viele Konzertmitschnitte übertrug. Sohn Thomas Nataschinski, gut englisch sprechend wird sein Kumpel, für ihn, aber auch für die tschechische Gruppe »Team 4« schreibt er zahlreiche Texte, ebenso wie zu dem wunderschönen »Jugend-Aufbruchsfilm« genannt »Heißer Sommer«, Musik T. Natschinsky. Und leitet über zum »Club International«, der Hootenanny Musik und dem unvergessenen Perry Friedman.
Das sind, wie der »Lyrikclub Pankow« (mit Regina Scheer, Gisela Steineckert) Wurzeln des »Oktoberklubs« (auch Wurzeln des später geschassten Biermann) und seiner Beziehung zu internationalen Folkgrößen wie J. Baez, B. Dylan und Pete Seeger, zu ihm brach dies nach dem Einmarsch in die CSSR ’68 ab. Hier wird er auch selbstkritisch, wie er diese seinerzeitige Aufbruchstimmung als Kulturfunktionär verliert, Teil einer Politik wird, die Liedermacher, Musiker, Autoren an der DDR und der Idee des Sozialismus resignieren läßt. Und manchmal, wie bei der Frage, wann setzte das Auseinanderbröckeln seines Staats eigentlich ein, wird er geradezu spannend, wie auch in den Anmerkungen zu DDR-Rockgrößen. Unsterblich und zu den größten gehören für mich die aus der DDR geekelten und von König ausführlich gefeaturte Klaus Renfft Combo: »Zwischen Liebe und Zorn«, »Wer die Rose ehrt«, zu den X. Weltfestspielen dann »Ketten werden knapper« und »Chilenisches Metall«.
Diese Janusköpfigkeit zeigt sich leider als Wesensmerkmal seiner Biografie: Er erinnert z. B. an Gerhard Gundermann, die Hoyerswerdaer Singeszene, bis 1988 »Brigade Feuerstein« – aber wo bleibt hier die Auseinandersetzung wie es zur politischen Verfolgung, Festnahme, Maßregelung eines solchen Künstlers der DDR kommen konnte?

Wiederum für mich sehr schön die Erinnerungen an die von mir am DDR-Radio erlebten Festivals des politischen Liedes (1. Festival 1979), diesen Mix aus Folkmusik, Politliedern, Chansons und Agitprop aus so vielen unterschiedlichen Ländern, vereint in der Idee, die Welt zu bessern. Die aber im Zuspruch innerhalb von 10 Jahren deutlich verloren.
Wunderbar die Erinnerungen an »Rock für den Frieden«, auch mit Texten von ihm, wer zählt die Namen, die Lieder?
Wichtig sein Schreiben zur Solidaritätsbewegung mit den Ländern der Dritten Welt, der DDR Beitrag zum Sieg Vietnams über die US-amerikanischen Kolonialräuber. Oder wie sein Hinweis auf die Effizienz des KPD-Verbots 1956 in der BRD ein gutes Argument ist, dass NPD und Neonazis sehr wohl verboten werden sollten. Die Erinnerung an die Geschwister Kuczinsky, unter dem Namen Ruth Werner wurde die Schwester des Wissenschaftlers als antifaschistische »Kundschafterin«und Romanautorin bekannt.
Sein fehlender Protest gegen das Verbot des Films »Spur der Steine« – erschreckend, trotz Stress mit dem Schuldirektor wegen des (westlichen) Ostermarsch-Abzeichens. Angenehm wieder wie er die großartige DDR-Schauspielerin Jenny Gröllmann gegen die unsäglichen IM-Verdächtigungen und den grusligen Stasi-Filmschinken des Herrn Donnersmarck verteidigt.
Er redet über die Verbrechen des Stalinismus. aber nicht, wie man 1965-89 in der DDR darüber hinweggegangen ist. Sehr intensiv Gesprächspassagen mit Albert Norden, dessen »Braunbuch« 1965 aufdeckte, wie mehr als 200 Nazigrößen in der BRD Karriere machten, nur leider hat er sich nicht getraut, dem hohen SED-Funktionär kritische Fragen zum eigenen Land zu stellen. Ist diese mangelnde Kritikfähigkeit in Partei und Staat nicht ein maßgeblicher Faktor für den Untergang von Partei und Staat gewesen?
Ähnlich – anläßlich seiner Zeit als »internationaler Sekretär der FDJ« mit vielfältigen politisch begründeten Reisen in Länder dieser Welt, kommt er zu einer Analyse der Fehler der »Sozialistischen Staaten«, besonders gegenüber der westlichen Politik des »Wandels durch Annäherung«. Kommt aber aus meiner Sicht nicht zu einem entscheidenden Fehler, der mangelnden Demokratie, Selbstbestimmung und echter Auseinandersetzung, in Staat und Partei.

Nicht unwichtig seine Einordnung auch von Konzerten Bruce Springsteens in die Anti-Apartheid Bewegung und für Nicaragua. Die wirklich spannend aufgezeigten Hintergründe der Lindenberg-Konzerte in der DDR, was die DDR-Führung jahrelang beschäftigte und sich als Kette dumm verpasster Chancen für diese erwies. Diskussionen mit Heiner Müller, Unterhaltsames aus seiner Zeit als stv. Kulturminister, bis in die Wende hinein. Gut, dass er so vieles aufschreibt, Namen der Nachwelt erhält.
Aber auch einen für mich kaum verständlichen – willkürlich platzierten Text zu Gorbatschow zähle ich nicht zu den Glanzlichtern dieser Autobiografie. Oder – viel zu knapp – das mit und für Krenz erarbeitete Papier zur Umsetzung von Perestroika in der DDR, im Panzerschrank verschwunden – eine letzte Chance für den anderen deutschen Staat?
Er selbst gibt aber zu, dass er weder Kraft noch Mut gehabt hätte, aus den alten Strukturen herauszutreten. Allerdings: Im inneren Zirkel der Macht war er trotz seiner ZK-Mitgliedschaft nicht, das wird zur Wende 1989 deutlich. Und schließlich ein Post-Mortem-Hinweis:
- 99,1 Mrd. DM leisteten SBZ/DDR an Reparationen zu Kriegslasten.
- 2,1 Mrd DM kamen aus den Westzonen bzw. der Bundesrepublik; (die Angaben erfolgen noch in DM).
97 % der Reparationen leistete also die DDR – sollte man wissen, wenn man behauptet, dass die DDR pleite war. Insofern verständlich, wenn er darauf hinweist, wie der Westen auf Kosten armer Länder lebt, die wachsende soziale Ungleichheit, die Superreichen, dazu scheint er bis heute politisch aktiv – Chapeau!
Essentials
Das Buch enthält diese drei Essentials:
- Die internationale musikalische Begegnung in Singebewegung, Oktoberclub und Festivals des politischen Liedes.
- Die Entwicklung einer alternativen Kultur-Organisationskultur, Selbst-Verantwortung Freiwilliger.
- Spiegeln der Entwicklung vor allem eines kulturellen Lebens in der DDR mitsamt ihren Widersprüchen. Seine Entschuldigung, wie FDJ und Partei hier hineinregiert und abgewürgt haben, ist ehrenwert, eine echte Analyse, wie es dazu gekommen ist, liefert er nicht.
Am Ende eine interessante gern gelesene Lektüre, 545 Seiten, gutes Personenregister, leider chronologisch und thematisch ziemlich durcheinander, oft zu episodenhaft, politisch mit vielen Lücken. Immer wieder verschenkt der Autor Platz für Anekdoten, statt sie politischer Fehleranalyse zu geben, so bei den Abschnitten (S. 314/15) über Perry Friedman und Reinhold Andert. Hervorragend ist er, wenn er zur Singebewegung, zum Oktoberklub, den Festivals der politischen Lieder oder zu »Rock für den Frieden« schreibt, nichts davon möchte ich missen. Und so ist Königs Buch ein interessanter Beitrag zu einer (Kultur-)Geschichte der DDR abseits der später übergestülpten Klischees, vielleicht genauso lücken- und rätselhaft wie die einstige DDR.
Bei den nachträglichen wie aktuellen politischen Einschätzungen Königs vermisse ich eine wirklich tiefgreifende Kritik, nicht nur an sich selbst oder einzelnen Funktionsträgern, sondern am in der DDR sklavisch nachgeahmten und gründlich gescheiterten sowjetischen »Sozialismus-Modell. Alles in allem aber: