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Ingo-schulze-titel

Ingo Schulze
» Die recht­schaf­fe­nen Mörder

Autor:Ingo Schulze (Deutsch­land, 2020)
Titel:Die recht­schaf­fe­nen Mörder
Aus­gabe:S. Fischer, 3. Auf­lage 2020
Erstan­den:Ein Geburts­tags­ge­schenk

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Vor­weg: Ein in zwei völ­lig unter­schied­li­che Teile zer­fal­len­des, den­noch äußerst lesens­wer­tes Buch des gebo­re­nen Dresd­ners Schulze, eine wich­tige Stimme aus den neuen Bundesländern.

Es geht um die leicht skur­rile Figur eines Bücher­nar­ren und Anti­quars Nor­bert in der DDR, wohl ein­ge­rich­tet in sei­ner Dresd­ner Anti­qua­ri­ats­ni­sche, der nur eines ver­ach­tet, die Mit­bür­ger, die ihm ihre Bücher ver­ram­schen. Dem der Kom­merz so etwas von fremd ist, dass er selbst gegen­über dem Bon­bon lut­schen­den West-Ekel­pa­ket-Besu­cher eisern bei sei­nen ethi­schen Prin­zi­pien bleibt beim Schwin­­delkurs Ost/West. Noch regierte das Geld ja nicht im Land.

Nor­bert, der in der Nischen­ge­sell­schaft DDR immer erfolg­rei­chere lite­ra­ri­sche Salons ver­an­stal­tet, glück­lich in sei­ner klei­nen Welt, die so vie­les ringsum aus­blen­det. Ein lebens­frem­der Bücher­narr, ver­hei­ra­tet mit Julia, zwi­schen Genos­­sin­-MfS-Zuträ­ge­rin und nach der Wende erfolg­rei­chen Unterneh­me­rin flir­rend, einer eher prin­zi­pi­en­lo­sen Frau. Die die Ent­de­ckung sei­ner ver­wanz­ten lite­ra­ri­schen Salons locker abwehrt: Ich hab doch nur Baga­tel­len berich­tet und die Hand über Euch Bücher­wür­mern gehal­ten. Nor­bert dage­gen, ein Mensch, der Bücher »frisst«, sie atmet, dabei lernt, über Autoren, Typo­gra­fie, Stile.

Die qual­vol­len Erleb­nisse der Wende, der Ban­ker, der ihm kre­dit­ab­wei­send den nicht vor­han­de­nen »Geld-Wert« sei­ner eins­ti­gen Lebens­sphäre zeigt, die leer­ge­wor­de­nen Hal­len des Zen­tral­la­gers des Buch­han­dels, Ent­frem­dung von sei­ner Frau, der erfolg­rei­chen Unter­neh­me­rin. Die Haus-Ver­trei­bung (Rück­über­tra­gung), seine Insol­venz, der Job als Nacht­por­tier, das Scheu­nen­la­ger der Bücher, trotz Soli­da­ri­tät vie­ler von der Dresd­ner Jahr­hun­dert­flut ver­nich­tet. Wie Schulze das zusam­men­packt, so leicht, so fes­selnd erzählt, man mag und kann mit dem Lesen nicht auf­hö­ren, gro­ßes Bravo dem Autor!

Ein trau­ri­ges Fazit: Die Kom­mu­nis­tin (seine Frau Julia) hat ihn ver­ra­ten, der Wes­ten sei­ner Bücher beraubt. Und, S.169: »Nur das der Wes­ten Eigen­sinn und Unab­hän­gig­keit mit ande­ren Mit­teln bestrafte.«

Für mich völ­lig unver­ständ­lich, rät­sel­haft der Abbruch des zwei­ten Teils, des Erzäh­ler- und Per­spek­tiv­wech­sels, lang­wei­lig, banal. Wollte Schulze nun zei­gen, dass welt­fremde Bücher­narren in der neuen, geld- und pro­fit­be­stimm­ten Welt nicht mehr leben kön­nen? Ich weiß es nicht, kon­sta­tiere nur, dass der Autor im 2. Teil (beson­ders gegen­über dem ers­ten) unver­mit­tel­bar schrei­bend schei­tert, was sehr schade ist. Was im ers­ten Teil ein biss­chen wie ein schein­bares Mär­chen im DDR-Sozia­lis­mus als schö­nes Bücher­lieb­ha­ber-Buch daher kommt, die »Wende-Welt« geschickt in das Nar­ra­tiv vom Schick­sal des exo­ti­schen Bücher­nar­ren inte­griert, bricht ab und schei­tert mit einem völ­lig ver­que­ren zwei­ten Teil.

Trotz des Super-Kon­trasts der Buch­teile und des rät­sel­haft miss­lun­ge­nen Schluss­drit­tels ein …

Sehr lesens­wer­tes Buch aus deut­schen Zeiten

2020 rezensiert, DDR, Dresden, Ingo Schulze, S. Fischer, Wende