
Patrick White
» Memoirs of many in one – By Alex Xenophon Demirjian Grey
Autor: | Patrick White (Australien, 1986) |
Titel: | Memoirs of many in one |
Ausgabe: | Verlag Jonathan Cape, 1986, London, Australische Originalfassung |
Sprache: | Englisch |
Erstanden: | Another gift from Australia |
All in all a rather ironical, quizzical, erotic and often surrealistic reading. It comes quite funny, but often with undertones. Finally a surprising link to the author is revealed. A story which really puts the reader under a spell.
Another masterpiece
Es ist oft unheimlich komisch, ironisch, spöttisch und witzig, wie der »Lebensabend« der alten Dame aus den beständigen politischen Wirren des Nahen Ostens, Multi-Kulti und früherer glorreicher Kolonialzeit entstammend, ausgerechnet in Australien verläuft. Die Lady klaut Lippenstift, weil das Geld zu suchen, zu mühsam ist und wenn sie auf dem Klo einen unanständigen Spruch liest, schreibt sie einen noch unanständigeren dazu. Eine wirklich unanständige Lady, die junge Polizisten anflirtet und sich erinnert, in einer Mondnacht ihren BH an einen Amerikaner verloren zu haben. Die der Obhut ihrer Tochter zigfach trotz Demenz, nur mit ihrem Chinchilla angetan, entwischt, einfach bei Fremden übernachtet, überlegt, Katzen verstehen mich, ich war in meinem früheren Leben bestimmt selber eine. Andere Erinnerungen führen sie juwelenstreuend in rauschende Charity-Nächte im Adolf-Hitler-Hotel in Washington D.C. zurück. Im Traum sagt sie (p. 47): »Nobody believes that inside an old woman there’s a young girl waiting.« Aber in jedem Traum eine Angst vor dem Einbruch der Wirklichkeit hat. So wird Stück für Stück klar, dass die Dame eigentlich in ihrer glorreichen, juwelenbehangenen Vergangenheit lebt, immer öffentliche Auftritte suchend, wobei schon mal auf eine syrische Jüdin angespielt wird, die mit Göring angebandelt haben soll. Es gibt traumartige Sequenzen, aus einem möglichen früheren Leben als Nonne (»a drag version of a nun«), in der Marmorstatuen in menschliche Körper transformen, Päderasten bestrafend und mittendrin sie selbst als blau-äugige Hexe. Leicht errötend lese ich Sätze wie »nobody has unterstood the egyptian whore-slut«… Dabei springt White gerne aus der Erzählung in die Position eines Beobachters, um die Skurrilität des Geschehens zu verdeutlichen. Die wird auch von den mannigfaltigen Persönlichkeiten der Erinnerungen der alten Schachteln bestimmt, »memoirs of many in one«. Was die Geschichte so flirrend bunt macht, dass man ihr atemlos und amüsiert folgt. White pflegt eine schmuckreiche Sprache, lehrreich für non-native speakers of Australian English, bildreiches Satzspiel!
Die völlig überdrehten Visionserinnerungen einer alten Schachtel aus griechisch-syrischer Herkunft, beiderseits widerwillig – in Australien – von der Tochter gehütet, tief in ihre Erinnerungen als Lebedame, Darstellerin, Liebhaberin verstrickt. Altersträume des Alters vermischen sich mit der Realität, selbst dem Leser verschwimmt der Horizont . Und genau das ist die große Kunst des australischen Literaturnobelpreisträgers. Er erzählt nicht nur äußerst ironisch, spöttisch, gleichzeitig erotisch und surreal, aber auch sehr witzig, er bannt den Leser mit seiner Schreibkunst, hervorragend. Und schließt die Novelle mit einer überraschenden, wieder erdenden Verbindung zum Autor.
Bannende, große Lektüre!
2022 rezensiert, Australien, Jonathan Cape Verlag, Patrick White