
Alexander Grin
» Der Fandango
Autor: | Alexander Grin (UdSSR 1922-82) |
Titel: | Der Fandango |
Ausgabe: | Gustav Kiepenheuer Verlag Leipzig und Weimar, 1984 |
Übersetzung: | Evelyn Beitz, Albert Dorn, Bogdan Kovtyk, Andreas Pham, Marianne Schilow |
Erstanden: | Antiquarisch |
In 13 Erzählungen zeigt A. Grin eine seltene Meisterschaft der phantastischen Erzählung, aufsteigend von bitteren Realitäten surreal in ferne Welten. «Das Merkwürdige an mir besteht darin, dass ich mir das Unmögliche erhoffe», lässt Grin einen seiner Protagonisten sagen, S.175 in »Das graue Automobil«. Wo er (vor 100 Jahren!) surreales mit einer sehr frühen Kritik des Auto-Wahns verbindet: «Die Primitivität der Schnelligkeit«. Dabei sind Grins Figuren die Querköpfe, die Außenseiter, Menschen zu speziell für einen Mainstream, ihn weit überragend. Die Geschichten verweben raffiniert Zeitgeschehen, wie Umbrüche der Oktoberrevolution und danach, mit surrealem Geschehen.
Ein besonderes Meisterstück gelingt Grin in der titelgebenden Erzählung »Fandango«. Eine 1923, also nach dem Ende der Interventionskriege spielende Geschichte, mit einer rätselhaften Zigeunergruppe (leider nicht frei von Diskriminierung erzählt) in einer direkt nach der Revolution hungernden russischen Kleinstadt. Ein grünes Licht ausstrahlender, Brände verursachender mystischer Monolith, eine mächtige, geheimnisvolle Gruppe Kubaner (!) und der auch nicht immer koscher wirkende Erzähler sind die Ingredienzien. In einer Wohnung verwandeln sich die aufgehängten Gemälde durch den grünen Monolith in dreidimensionale Portale, durch die man in eine andere Welt tritt. Eine oft genutzte Metapher für Überdimensionales, so in C.S.Lewis Narnia Zyklus und hier die Transformation aus dem magischen in die Wirklichkeit, bärenstark, astreine Fantasy und doch mehr als das.
Im Nachwort der schönen DDR/Kiepenheuer-Ausgabe geht Karl-Heinz Kasper auf Grins Lebensweg in Russland und der UdSSR ein, seine häufige Verkennung in einer verengten literarischen Landschaft ein. Er wurde in der UdSSR ab 1956 (!) wieder veröffentlicht, eine 15-bändige russischsprachige Gesamtausgabe jedoch nie realisiert. – Dieser Erzählungen-Band ist ein im doppelten Sinn phantastischen Buch, inhaltlich und im Lese-Erlebnis. Insbesondere die titelgebende Geschichte führt nahe an den »Meister und Margarita« seines Landsmanns Bulgakow. Grin lebte in völlig anderer Zeit, anderem Jahrhundert, aber in ihrer ähnlichen »Fantastizät«, in der Kreation von Welten der Vermischung von Realität und Phantasie, muss man Grin den russischen E.T.A. Hoffmann nennen. Und es ist weniger die Mischung, denn die Verschmelzung von Phantastischem und (Schein-)Realität als ein wesentliches Merkmal des Autors.
Jammerschade, dass (trotz 8-bändiger russischer Ausgabe) bisher kein Verlag den Mut gefunden hat, diese Perle der fantastischen Literatur umfangreich herauszubringen. Auch vom lobenswerte Schweizer Unionsverlag erhält man derzeit »nur«, oder immerhin das populäre »Purpursegel« – Mut, liebe Eidgenossen, habt Mut zu mehr Grin! Selbst antiquarisch erhält man nur eine begrenzte Auswahl, dieser Autor sollte unbedingt wieder einer aktuellen Leserschaft zugänglich werden.
Großartige Phantastik
2022 rezensiert, Alexander Grin, Gustav Kiepenheuer Verlag Leipzig und Weimar 1984, UdSSR