
Dmitrij Kapitelman
» Eine Formalie in Kiew
Autor: | Dmitrij Kapitelman (Deutschland 2021) |
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Titel: | Eine Formalie in Kiew |
Ausgabe: | Hanser Berlin 2021 |
Erstanden: | Im »Buchhafen«, Berlin-Neukölln |
Manchmal denke ich, zu selten fröhliche Bücher in meinem Literaturblog besprochen zu haben. Da kam diese lockere Erzählung eines russisch sprechenden Ukrainers, der 17 Jahre nach seiner Emigration (mit den Eltern) zwecks »Eindeutschung« der sächsischen Ausländerbehörde eine ukrainische Bescheinigung aus Kiew vorlegen soll, gerade recht. Der zweite Teil des Plots dreht sich um den Versuch seines Vaters, in der alten Heimat dringend nötige medizinische Leistungen zu erhalten. In Deutschland könnte er sie nicht bezahlen. Das läuft ein bisschen neben dem Erzähleinstieg, passt aber noch zusammen.
Das wird von Anfang an ironisch distanziert erzählt, wenn es heißt (S. 7): »Meine ukrainischen Landsleute…taten .. nur, was Ukrainer täglich tun – nicht an die Ukraine glauben.«
Nicht minder distanziert zeigt er sich zum Leben in Deutschland, der schwer sächselnden Ausländerbehörde eines Landes, wo neben Glatzen mit Kampfhunden vom Vater selbst eine Machtübernahme durch Neonazis nicht ausgeschlossen scheint. Und seine schwer Katzen liebende Mutter sich in ihr eigenes imaginäres Reich flüchtet, nach »Katzachstan«. Von der man lernt, dass im russischen die »Katzen singen«; wo wir meinen sie »schnurren«.
So muss der Erzähler in seine Geburtsstadt Kiew um Formalie und väterliche Behandlung zu organisieren. Leider kann er nur russisch, kaum ukrainisch, weswegen sein wiedergefundener Schulfreund rät damit vorsichtig zu sein: »Das mögen sie in der Ukraine gerade überhaupt nicht, wegen dem Krieg«; womit aber (deutlich vor 2022) der Krieg Kiews gegen Donezk und Luhansk gemeint ist.
Bewundernswert finde ich, wie der Autor seine mehrfache Zerrissenheit in ein lockeres Erzählen verpackt. Zerrissen durch das Wiedersehen des Geburtsortes, die dortigen Zustände, die allgegenwärtige Korruption, die Begegnung mit alten Freunden und Verwandten. In der Ukraine dagegen funktioniert kein Behördengang ohne Bestechung (S. 14) – so grenzt er sein Geburtsland gegen die überkorrekte deutsche Ausländerbehörde ab, die im Buch mit herrlich sächselnden Mitarbeitern vertreten ist.
Zerrissen aber auch, weil er diesem Geburtsland fremd geworden ist, dort als Deutscher gesehen wird. Dort wo alles leicht vergammelt und sowjetisch wirkt, wie vor 25 Jahren. Ein Stillstand, der leider auch das Gesundheitswesen betrifft, wie er deutlich (S. 68, S. 118) skizziert. Wo mich manches seiner Schilderungen am meine eigenen Besuche von Russland und der Ukraine noch zu Sowjetzeiten erinnert. Zerrissen, wenn er seine Eltern sieht, seinen Vater »diesen zerfallenden Mann«, sein eigenes merkwürdiges Verhalten zu seinen merkwürdigen Eltern und ihrer merkwürdigen Ehe.
Zerrissen ebenso, wenn einfühlsam geschrieben steht, wie der Erzähler sich langsam und allmählich in die ihm fremdgewordenen Lebensumstände im Land begibt. Man besticht dort nicht, sondern man »entdankt« – so heißt es. Die Schwestern im Spital lassen sich nur mit mindestens 100 Griwni (lokale Währung) aus dem Aufenthaltsraum locken. »Das lasse ich mal für alle Fälle hier« lautet der Spruch für einen Briefumschlag mit 500 Griwni, als »Dank« für einen Platz für den schwerkranken Vater im diagnostischen Zentrum. Und wie macht man mitten in der Korruption eigentlich eine korrekte Bilanz? »Ich kalkuliere mit einer Dunkelquote von etwa 25%« lautet die Antwort der Buchhalterin Ludmilla. Er hält aber auch fest, wie ein Land dank seiner Menschen, ihrer Art dennoch läuft und kehrt – urkomisch – die Sache um, wenn seine Tante Jana sagt (S. 135): »Was ist denn das für ein System, in dem ihr in Deutschland lebt? Wo man so gar nichts mit persönlichen Kontakten und ein wenig Geld regeln kann? Das ist doch unmenschlich!«
Und er erzählt, dass die Korruption in der Ukraine ganz oben beginnt, S. 62 »Klauen tun alle. Am schlimmsten war es unter Poroschenko (der Pralinenpräsident).« Und (S. 168): »… weil auch der Komikerpräsident alles den Oligarchen schenkt.«

Und kommt zu dem Fazit (S. 149): »Ein so reich beschenktes Land kaputt zu stehlen, das schaffen wirklich nur die Ukrainer!« »Fröhliche Bücher« fehlen in meinem Literturblog habe ich anfangs gesagt. Und dies ist eine locker-flockig geschriebene, aber eigentlich traurige Geschichte aus Kiew vor 2022. Einem offenbar total korrupten Land, aber für den Erzähler ein Wiedersehen mit seiner Geburtsstadt, den Menschen und ihren Lebensumständen. Einen Erzähler, den man als russisch-deutschen Ukrainer bezeichnen müsste, der somit gleich mehrfach zwischen den Stühlen sitzt.
Und der fähig ist, etwas wie eine »Eindeutschung« und »Entdankung«, einen ukrainischen Alltag (vor 2022) fröhlich unterhaltsam schildern kann.
Auch wenn die Erzählideen nicht das ganze Buch über tragen, allein für seine Erfindung von »Katzachstan«, vor allem aber den gefühlvollen Blick auf die fremdgewordene Heimat möchte man es lieben.