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Nicole Sei­fert
» Frau­en­li­te­ra­tur – Abge­wer­tet, ver­ges­sen, wiederentdeckt

Autorin:Nicole Sei­fert (2021)
Titel:Frau­en­li­te­ra­tur Abge­wer­tet, ver­ges­sen, wiederentdeckt
Aus­gabe:Ver­lag Kie­pen­heuer & Witsch, 2. Auf­lage 2021, Köln
Erstan­den:von mei­ner Tochter

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Gleich vor­weg: Die­ses Buch habe ich sehr gerne gele­sen und auf Emp­feh­lung von Nicole Sei­fert den ver­ges­se­nen Roman von Gabriele Reu­ter, ›Aus guter Fami­lie‹ und den ebenso ver­ges­se­nen Roman von Sophie von La Roche ›Die Geschichte des Fräu­leins von Stern­heim‹ aus einem Anti­qua­riat her­vor­ge­holt, gele­sen und hier im Lite­ra­tur Blog ›altmodisch:lesen‹ besprochen.

Nicole Sei­fert beginnt mit ihrer eige­nen Geschichte und ihrem Weg zur Lite­ra­tur, der zunächst nur durch Lite­ra­tur von Män­nern bestimmt war, sich im Laufe der Zeit aber deut­lich ver­än­derte Rich­tung Lite­ra­tur von Frauen geschrie­ben. Damit nähert sie sich dem Thema auf sehr per­sön­li­che Weise und das ist kenn­zeich­nend für das Buch, sie wen­det sich nicht an ein Fach­pu­bli­kum son­dern an die inter­es­sierte Öffent­lich­keit. Sie erklärt, warum Autorin­nen in der Lite­ra­tur­ge­schichte nicht zu fin­den sind und wie Kano­ni­sie­rung funktioniert.

Ihre grund­sätz­lich These lau­tet: Wer nicht kano­ni­siert ist – wo auch immer – gerät in Ver­ges­sen­heit. Und dazu gehö­ren auch die bei­den oben genann­ten Autorin­nen Gabriele Reu­ter, Sophie von La Roche und viele mehr.

Aber wel­che Mög­lich­kei­ten zu schrei­ben hat­ten oder haben Frauen? Gibt es über­haupt das ›weib­li­che Schrei­ben‹? Die Autorin­nen hat­ten oder haben sicher nicht einen sie unter­stüt­zen­den Mann, der ihnen den Rücken stärkt und die Haus­ar­bei­ten erle­digt. Hier geht Nicole Sei­fert auf Viri­nia Woolf ein, die schon 1929 for­derte, dass Frauen ein Zim­mer für sich allein benötigen.

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Nicole Sei­fert
© Sabrina Ade­line-Nagel (Quelle)

Das Thema der weib­li­chen Lebens­be­din­gun­gen schlägt sich damit auch in der Lite­ra­tur nie­der, das ver­deut­licht sie an etli­chen Bei­spie­len und begrün­det damit ein ›weib­li­ches Schreiben‹.

Beson­ders her­vor­zu­he­ben ist die Lese­liste, die dazu bei­tra­gen soll, Lite­ra­tur von Frauen wie­der­zu­ent­de­cken. Hier setzt jedoch meine Kri­tik ein. Unter den ange­ge­be­nen Schrift­stel­le­rin­nen befin­det sich keine aus der ehe­ma­li­gen DDR, so ent­steht der Ein­druck ›weib­li­ches Schrei­ben‹ habe hier nicht statt­ge­fun­den. Es feh­len also Christa Wolf, Maxie Wan­der, Bri­gitte Rei­mann, Ute Erb, Anna Seg­hers, Irm­traud Morg­ner, u.a.

Gerade Irm­traud Morg­ner hat sich über die ›täg­li­chen Zer­stü­cke­lun­gen‹ und damit das ›weib­li­che Schrei­ben‹ Gedan­ken gemacht. »Jemand, der sozial anders lebt, der muß auch eine andere Art zu schrei­ben haben, denn: Der Stil ist ja der Mensch. Eine Art zu arbei­ten, wie sie bei­spiels­weise Tho­mas Mann hatte und wie sie viele männ­li­che Schrift­stel­ler haben, die abge­schnit­ten arbei­ten, den täg­li­chen Zer­stü­cke­lun­gen und Zer­streu­un­gen ent­rückt, die also ihren Gedan­ken unge­stört nach­ge­hen kön­nen, diese Art von Kom­fort haben Frauen nicht.« (Irm­traud Morg­ner, Texte, Daten, Bild, hrsg. Von Mar­lis Geb­hardt, Frank­furt 1990, S. 28).

Zustim­men muss ich Nicole Sei­fert, wenn sie fest­stellt, dass Lite­ra­tur von Frauen weni­ger kano­ni­siert, ver­legt, gele­sen, rezen­siert wird.

Ihre These halte ich jedoch für sehr gewagt: »Tat­säch­lich lässt sich in Deutsch­land nach wie vor leicht Abitur machen, ohne auch nur ein ein­zi­ges Buch einer Frau lesen zu müs­sen.« (Quelle)

Denn in den letz­ten Jah­ren hat sich doch eini­ges geän­dert beim Kanon der Pflicht­lek­türe im Abitur. Hier einige Bei­spiele: Judith Her­mann, Som­mer­haus spä­ter Jenny Erpen­beck, Gehen, ging, gegan­gen Juli Zeh, Cor­pus delicti Christa Wolf, Kas­san­dra Christa Wolf Medea Inge­borg Bach­mann, Der gute Gott von Man­hat­tan Anna Seg­hers, Transit

Aber den­noch: Das Buch von Nicole Sei­fert war nötig und bie­tet viel Infor­ma­tio­nen, um zu ver­ste­hen, warum Lite­ra­tur von Frauen abge­wer­tet und ver­ges­sen wird, aber unbe­dingt wie­der­ent­deckt wer­den muss!

Sehr lesens­wert!

Unterschrift
Mar­gret Hövermann-Mittelhaus

2022 rezensiert, Historisches, Literatur, Literaturgeschichte, Verlag Kiepenheuer & Witsch