John McGahern
» Amongst women
Autor: | John McGahern (Irland, 1990) |
Titel: | Amongst Women |
Ausgabe: | Faber & Faber, 1990, englische Originalfassung |
Erstanden: | Ein Geburtstagsgeschenk |
Einer der Vorsätze im neuen Jahr für meinen Berliner Literaturblog »altmodisch:lesen« ist, mehr irische Bücher zu lesen. Was ich mit Claire Keegans »Small things like these« begonnen hatte, soll hier fortgeführt werden.
Amongst Women (Unter Frauen) ist nicht nur ebenfalls ein irischer Roman, er erzählt auf seine Weise ähnlich ruhig, eingebettet in eine bäuerliche Umgebung im westlichen Irland. Zwischen den Kriegen und nach dem irischen Bürgerkrieg 1922/23, der aber nicht das Thema des Romans ist. Hier geht es um die scheinbare Auflösung einer vom Patriarchen und Ex-IRA-Kämpfer Moran beherrschten Familie. Einer Familie bestehend aus Moran, seiner zweiten Frau Rose, den zwei Söhnen und drei Töchtern. Ein Patriarch unter Frauen, mit dem Versuch eine Familie als festen und gegenüber der Außenwelt isolierten Heimstatt über Generationen zu etablieren. In einem Haus, in dem die Gespräche verstummen, wenn Moran sich an den Tisch setzt.
Moran, trotz vergangener Verdienste, 5 Kindern und einer Seele von (2.) Frau, kommt für mich kaum als Sympathieträger herüber. Zu sehr ist er harscher, auch prügelnder Patriarch. Der sich am liebsten von der ganzen Welt abkapseln möchte, seine Frau mehrfach grob brüskiert. Seinen ältesten und besten Freund in die Wüste schickt, obwohl er mit dem einst einen sehr erfolgreichen Überfall auf die britischen Truppen, die besonders verhassten »Black & Tans« durchgeführt hat. Und das Totengebet für sich selbst mit »Shut up!« kommentiert. Ein absoluter Grantler also. Ein Mann, der unzufrieden mit Unabhängigkeits- und Bürgerkrieg ist, denn die haben nur die Doktoren und Pfarrer nach oben gebracht – aber nicht Leute wie ihn. S. 88: »It was the priest and the doctor and not the guerilla fighters who had emerged as the bigwigs in the country Moran had fought for.«
Der Roman führt auch in sehr ländliches, sehr katholisches Leben. Jeden Abend wird im Haus der Rosenkranz gebetet, knieend. Das dörflich festgeschriebene Ritual, wie Moran seine 2. Frau kennen lernt, nur miteinander sprechen, gegenseitige Famlienbesuche, alles unter den Augen einer wachen Dorfgemeinschaft. S. 56: »She looked at him with love. Though they were alone they did not embrace or kiss. That belonged to darkness and night.« Kein Wunder, dass es beim ersten Besuch der Brautfamilie, heißt, S. 33: »To leave the ever present tension of Great-Meadow was like shedding stiff, formal clothes or kicking off pinching shoes.«
In einer Frauengesellschaft scheint der alte Moran sich wohl zu fühlen, einen Sohn dagegen vergrault er komplett, der war ihm zu ähnlich. Dieses Verhalten führt beim anderen Filius zu schweren, auch körperlichen Auseinandersetzungen. Die aber geradezu mustergültig irisch, von der großen Familie, sprich Schwestern und ihrem Anhang, ja selbst deren Chefs, aufgefangen werden. Dabei hat der ältere Sohn Luke, zuerst aus dem Heim des Moran geflohen, seinen Schwestern gegenüber eine klare Einschätzung, S. 133: »He said, that only women could live with Daddy.«. Womit wir bei der Situation des alten Moran wären, die dem eindrucksvollen Roman den Titel gaben: »Amongst women.«
Wozu auch gehört, dass Rose und die Töchter davon ausgehen, dass Moran nicht gelernt hat, seine Gefühle auszudrücken. Und leben und leben lassen, das konnte er nicht. Ist das nicht ein typisches Merkmal eines Patriarchen? Denn selbst die Hochzeit im heimatlichen Great-Meadow einer Tochter sabotiert er zu ihrer schweren Enttäuschung und weigert sich sogar, zum (Ersatzort) London zu kommen. Ebenso kennzeichnend, dass ihm erst ein langjähriger Nachbar den Heuwender repariert und zwar so, dass der besser arbeitet, als all die Jahre zuvor. Allerdings war der Nachbar protestantisch …
Kinder werden größer, die Schule, die Ausbildung haben besondere Bedeutung, S.67:»…which, above all, they saw as a way out of the house and into a life of their own.« Auch wenn Moran wegziehenden Kindern hoch und heilig verspricht, ihr werdet hier immer ein Heim, einen sicheren Hafen finden. Dort gibt es auch innere Konflikte, der Grantler wehrt sich gegen das Aufräumen seiner neuen Frau. Was sie scharf kontert: Ich kann nur in einem Haus leben, in dem ich das Gefühl habe, gebraucht zu werden – deutlich, auch für Moran.
Ein Musterbeispiel für Atmosphäre und Spannungen in diesem Heim ist die 5 Tage währende Heuernte, in der alle fieberhaft, bis zur Erschöpfung arbeiten. Immer im Wettrennen mit der Zeit und einem drohendem Wettersturz. Alle, d.h. bis auf den ältesten Sohn Luke, der sich konstant weigert, aus dem fernen London, in dem er wirtschaftlichen Erfolg hat, zurück zu kommen.
Seinen Vater dagegen treibt beständig und bis an sein Ende eine Furcht um, als er den Töchtern trotz guter Examen etwas verwehrt, S.89: »He was plainly suffering because he had Sheila denied her chance of university but he could not have acted in any other way, perhaps through race fear of the poorhouse..«. Der Weggang der letzten beiden Töchter nach Dublin, Great-Meadow bietet keine Jobs, macht die veränderte Atmosphäre deutlich, S. 90. »For the first time the house seemed a frail defence against all, that beat around it.«
Diese Veränderung wird auch deutlich, wenn die Töchter ihre Eltern besuchen, S.93: »Above all they brought the bracing breath of the outside, an outside Moran refused to accept unless it came from the family. «
Nicht zuvergessen im Hintergrund des Romans, die stets schwelende Feindschaft zwischen Engländern und Iren. Die bei der Hochzeit des jüngsten Sohns Michael mit einer englischen Lehrerin und der absolut kalten Begegnung zwischen Michaels irischer Familie und der englischen der Braut auf der britischen Insel hochkommt, S. 171: »Her entire English family turned out as a solid front for the wedding and that day all the Morans, in their different ways, were made to feel what they were – immigrants.«
Poetische Züge gelingen dem Autor, wenn er die Abenteuer der Liebe zwischen der deutlich älteren Nell und der erwachenden Männlichkeit des 15-jährigen Michael schildert. Eine zukunftslose Liebe, der sich beide nicht entziehen können. Für Michael ein wichtiger Teil der Loslösung, für Nell, gut verdienend in New York, ein wehmütig-schöner Teil des Besuchs im heimatlichen Irland. So wie für Tausende irischer Migranten, die in ihrer Heimat keine wirtschaftliche Basis fanden.
McGahern erzählt mit dem alternden Moran auch die Fassungslosigkeit über die vergehende Zeit, S. 130. »It was like grasping water to think how quickly the years had passed.« Und über das Verhältnis zu seiner kleinen Farm, S. 130: » Instead of using the fields, he sometimes felt as if the fields had used him.« – Was für eine kluge Anmerkung zur kleinbäuerlichen Abhängigkeit.
Der kränkelnde Moran, den die Kinder versuchen, am und im Leben zu halten, macht es ihnen nicht leicht. Denn ihnen gegenüber reagiert er, S. 178: »It ran counter to the way he had managed his own life. Now he wanted to escape.« Und das tut er, während eines letzten Rosenkranzgebet für ihn ist sein Flüstern zu hören, S. 180: »Shut up!«
Und was das Ende des Patriarchen für die Familie bedeutet, beschreibt McGahern selten eindrücklich, S. 181: »Time should have stopped with the clocks but instead it moved in a glazed dream of tiredness without their ticking insistence.« Und ebenso prägnant werden die Vorbereitung, das Begräbnis und das Treffen der trauernden Geschwister und ihrer Familien erzählt. Und die schöne Hoffnung auf eine Fortsetzung der Familienheimat über den Tod hinaus., S. 183: »..and now, as the left him under the yew, it was as if each of them in their different ways had become Daddy.«
John McGahern gelingt eine sehr irische Erzählung, die immer wieder die Gefühle der Beteiligten offen legt. Es ist die erstaunliche Geschichte einer Familie als schützende Heimat, beherrscht durch einen grantelnden Patriarch. Eine Erzählung der Auf- und Ablösung eines Lebens, des Wandels der Heimat Irland, die auch Familie heißt. Ein Buch über den Weggang der Kinder, ein tief verletzter väterlicher Patriarch. Der meint, seine Kinder, sein Heim vor der zunehmend als bedrohlich empfundenen äußeren Welt schützen zu müssen.
Eine Familie, die – über den Tod des Patriarchen hinaus – die Chance für das Fortleben der Heimat offen lässt; auch über zerstreute Lokalitäten hinweg, sei es Irland, Großbritannien, die USA, wo auch immer. Das alles habe ich auch als ein Gleichnis für die irische Heimat, ihre Community gelesen, deren wunderbarer Zusammenhalt sich auch in ihrer Kultur ausdrückt. Wozu dieses Buch gehört, von dem ich tief beeindruckt bin.
Eindrucksvoll !
Anhang: Die hier rezensierte irische Originalausgabe ist bei Faber & Faber in London 1990 erschienen. Die aufgeführten Zitate sind aus dieser Originalausgabe, auf die sich auch die Seitenzahlen beziehen.
Die von Martin Hielscher übersetzte deutsche Fassung gibt es seit 1990 vom Steidle Verlag. Sie ist gut antiquarisch für unter 10 Euro zu bekommen, z.B. bei booklooker.de, antiquariat.de oder abebooks.com.
Bei Faber erfährt man über den Autor, dass er wie sein Protagonist aus West-Irland stammt. Und sein Vater ein Volunteer der IRA und Sergeant im irischen Unabhängigkeitskrieg war. Was schon eine gewisse Nähe der väterlichen Biografie zum alten Moran verrät.
Der Guardian hat das Buch in den Kreis der hundert besten Bücher aller Zeiten aufgenommen. Anlässlich seines Todes 2006 feierte iJohnn die Zeitung als den wichtigsten irischen Erzähler seit Samuel Beckett. https://www.faber.co.uk/author/john-mcgahern/
English summary
John McGahern has written quite an Irish narration, which reveals the feelings of its participants. It is the stupendous story of a family as a protective home, ruled by a grumpy patriarch. A narration of the dissolution and detachment of a human life, the change of the home Ireland, aka family. A story about when the children are leaving home and a deeply wounded paternal patriarch. Who reckons he has to shield his home, his children against an increasingly menacing outside world.
But a family which opens a perspective of the survival of the family, even beyond death, beyond scattered venues, may it be Eire, UK, USA – whereever. Which I understood as an allegory to their home Ireland, their community, their wonderful solidarity, expressed also within their great culture. Where this book is a part of, which impressed me thoroughly.
Impressive
2023 rezensiert, Bürgerkrieg, Faber & Faber, Frauen, IRA, Irland, John McGahern, Patriarch, Steidle Verlag