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Jarkba Kub­sova
» Marsch­lande

Autorin:Jarkba Kub­sova
Titel:Marsch­lande
Aus­gabe:Fischer Ver­lag, 2. Auf­lage 2023
Erstan­den:von mei­nem Sohn und sei­ner Freundin

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Jarka Kub­sova erzählt auf zwei Zeit­ebe­nen von zwei Frauen: Abelke Ble­ken lebt im 16. Jahr­hun­dert und Britta Stoe­ver zur heu­ti­gen Zeit, beide Frauen kämp­fen für ein selbst­be­stimm­tes Leben, das ihnen aus unter­schied­li­chen Grün­den vor­ent­hal­ten wird. Beide sind sehr kämp­fe­risch und wol­len sich nicht dem Frau­en­bild der jewei­li­gen Zeit fügen. »Denn wie Abelke lebte sonst keine hier, eine Bäue­rin allein auf einem Hof, der so gut ging.« (S. 30). Britta muss erst ler­nen mit der Dis­kri­mi­nie­rung der Frau umzu­ge­hen, wenn ihr der Pro­fes­sor zur Schwan­ger­schaft gra­tu­liert und betont: »Aber für uns ist das ent­täu­schend. Dafür habe ich Sie nicht so unter­stützt.« (S. 46). Abelke wird ange­fein­det, weil sie als Bäue­rin sehr erfolg­reich ist und Britta wird auf­grund der Schwan­ger­schaft ins Haus­frau­en­da­sein geschickt. Gemein­sam ist bei­den Frauen, dass sie die Ver­hält­nisse und die Macht der Gesell­schaft und damit der Män­ner nicht akzep­tie­ren wol­len. Und damit beginnt der Kon­flikt: für Abelke im 16. Jahr­hun­dert und für Britta im 21. Jahr­hun­dert. 500 Jahre Unter­schied, da müsste sich doch etwas im posi­ti­ven Sinne ver­än­dert haben für die Frauen oder? Im Klei­nen sicher, aber der Grund­kon­flikt bleibt. So betont Ruth, eine Freun­din von Britta: »Man kann Frauen viel weg­neh­men, man kann ihnen sehr viel antun, aber solange sie das mit sich machen las­sen, bleibt es dabei.

Der gefähr­li­che Moment für Frauen ist oft erst der, wenn sie anfan­gen sich zu weh­ren.« (S. 138). Sich gegen die Macht der Män­ner auf­zu­leh­nen. Abelke wird ihr gan­zer Besitz genom­men unter dem Vor­wand, sie hätte nach der Aller­hei­li­gen­flut den Deich nicht wie­der instand gesetzt, was aber ihre Pflicht gewe­sen wäre. Wie hätte sie das machen sol­len, alleine als Frau auf ihrem Hof. Sie wehrt sich gegen den Ham­bur­ger Büt­tel und wird, nach­dem uner­klär­bare Dinge im Marsch­land gesche­hen sind, dafür ver­ant­wort­lich gemacht und als Hexe ver­ur­teilt. Letzt­lich geht es aber darum, dass sie von der männ­lich gepräg­ten Gesell­schaft als unab­hän­gige Frau als Bedro­hung emp­fun­den wird. Britta, die die Haus­ar­beit nicht mehr alleine tra­gen will und wie­der an der Uni arbei­ten möchte, wehrt sich und for­dert von ihrem Mann eine Betei­li­gung an der Haus­ar­beit. Sie strei­ten sehr viel, und sie kön­nen sich nicht eini­gen. Folge: Er reicht die Schei­dung ein, sperrt das gemein­same Konto für sie und zahlt kei­nen Unter­halt mehr für die Kin­der. Beide Frauen – Abelke und Britta – ste­hen also vor dem Nichts, weil sie sich gewehrt haben!

Also sich lie­ber nicht weh­ren? Nein, nur wenn man sich wehrt, kön­nen Ver­än­de­run­gen in Gang gesetzt werden!

Britta will die Geschichte der Abelke Ble­ken erfor­schen, da sie mehr oder weni­ger zufäl­lig im Marsch­land mit ihrer Fami­lie ein Haus gekauft hat und jetzt hier lebt, wo Abelke Ble­ken als Hexe ver­brannt wurde. Britta lernt Ruth ken­nen, die sich dafür ein­ge­setzt hat, dass eine Straße nach Abelke Ble­ken benannt wird. Denn »es gibt mehr als genug Frauen, die Bedeu­ten­des geleis­tet haben. Aber sie ver­schwin­den, die Erin­ne­rung an sie ver­blasst schnel­ler als an die von Män­nern, weil die Archive und das Geden­ken an sie löch­rig sind. Seit­dem sammle ich sie, ich will sie wie­der ins kol­lek­tive Gedächt­nis holen.« (S. 135). Und genau das macht auch Jarka Kub­sova, wenn sie einen Roman über Abelke Ble­ken schreibt und ihre Geschichte mit der der heu­ti­gen Britta ver­webt. Dabei übt sie Gesell­schafts­kri­tik, die vor allem im Nach­wort deut­lich wird.

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Wie unzäh­lige andere Frauen musste Abelke Ble­ken auf dem Schei­ter­hau­fen ster­ben. Diese Abbil­dung zeigt die Hin­rich­tung von drei Hexen 1585. | Foto:?Gemeinfrei | Quelle

Denn in den Städ­ten des Mit­tel­al­ters gab es durch­aus Frauen, die selbst­stän­dig waren, sei es als Hand­wer­ke­rin, Händ­le­rin oder Ärz­tin. »Doch Schritt für Schritt wurde Frauen im Laufe der Zeit das Recht ent­zo­gen, Meis­ter­be­triebe zu füh­ren. Aus den Heil­be­ru­fen wur­den sie nach und nach ver­drängt, was nicht nur mit der Dämo­ni­sie­rung der Heil­be­rufe zu tun hatte. In dem Moment, in dem sich ein Beruf pro­fes­sio­na­li­sierte und als lukra­tiv erwies, wurde er für Frauen ein­ge­schränkt.« (S. 315). Frauen erleb­ten einen Pro­zess der sozia­len Degra­die­rung, indem sie auf Repro­duk­ti­ons­ar­beit redu­ziert wur­den, die­ser Pro­zess »ist für das Funk­tio­nie­ren des Kapi­ta­lis­mus bis heute grund­le­gend.« (S. 316). Und genau diese Ent­wick­lung zeigt uns Jarka Kub­sova in ihrem Roman, wenn Abelke Ble­ken auf­grund der neuen kapi­ta­lis­ti­schen Ord­nung gezwun­gen wird, ihre Selbst­stän­dig­keit auf­zu­ge­ben – der Schei­ter­hau­fen war das Instru­ment zur Durch­set­zung der männ­li­chen Macht. Und Britta ihrem Mann den Rücken frei hal­ten soll, damit er Kar­riere machen kann und das kapi­ta­lis­ti­sche Sys­tem auch damit auf­recht erhal­ten bleibt.

Hier der Pro­log zum Roman: »Dies ist ein weib­li­cher Text, geschrie­ben im 21. Jahrhundert.

Wie spät es ist.

Wie viel sich ver­än­dert hat.

Wie wenig.«

Dr. Ros­wi­tha Rogge hat Unter­richts­ma­te­ria­lien zu Abelke Ble­ken, dar­un­ter auch das Geständ­nis­pro­to­koll, zusam­men­ge­stellt, die sehr gut in der Schule ein­ge­setzt wer­den kön­nen. Quelle

Sehr span­nend!

Unterschrift
Mar­gret Hövermann-Mittelhaus

2023 rezensiert, Feminismus, Fischer Verlag, Hamburg, Hexenverfolgung, Jarkba Kubsova, Mittelalter