
Christa Anita Brück
» Ein Mädchen mit Prokura
Autorin: | Christa Anita Brück |
Titel: | Ein Mädchen mit Prokura (1932) |
Ausgabe: | Neuauflage, hrsg. von Nicole Seifert, Magda Birkmann, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Oktober 2023 |
Erstanden: | Buchhandlung Thaer, Friedenau |
Der Roman »Das Mädchen mit Prokura« von Christa Anita Brück aus dem Jahr 1932, neu herausgegeben vom Rowohlt Verlag 2023, gibt uns einen Einblick in das Leben – vor allem der weiblichen Angestellten – am Ende der Weimarer Republik. Von der Autorin ist ein weitere Roman bekannt: »Schicksale hinter Schreibmaschinen« aus dem Jahr 1930. Äußerungen von Kurt Tucholsky zu diesem Roman: »Diese Angestelltengeschichte ist ein Schmarrn.« (Die Weltbühne, 23. Dezember 1930, Nr. 52, S. 940).
Auch in ihrem zweiten Roman »Das Mädchen mit Prokura« geht es um die weiblichen Angestellten im Jahre 1931, also zu Zeiten der Weltwirtschaftskrise. Thea Iken ist Angestellte bei einer kleinen Berliner Privatbank, aber sie will nicht nur einfache Angestellte sein, wie die anderen jungen Mädchen, sondern sie will als Frau Karriere machen. Es gelingt ihr, ihre männlichen Konkurrenten zu übertrumpfen, sie erhält die Prokura. Und die Männer? »Er (ein Angestellter) hat da einen verbohrten Mannesstolz, der ihm verbietet, sie anzuerkennen.« (S. 22). Dass die Männer ihr diese Karriere missgönnen, liegt also auf der Hand, Gerüchte werden in Umlauf gesetzt, um Thea zu verunsichern. Das ficht Thea nicht an, sie macht sehr gute Arbeit, der Chef ist sehr zufrieden, denn er erkannte sehr bald, »dass die neue Stenotypistin zu denken verstand.« (S.15). Das ist kurz der Inhalt des ersten Drittels des Romans, im weiteren Verlauf steht eine polizeiliche Ermittlung im Vordergrund. In der Bank ist ein Mord passiert und Thea Iken wird verdächtigt und verhaftet. Was allerdings dieser Krimi mit dem Leben der weiblichen Angestellten in der Weimarer Republik zu tun hat, ist mir schleierhaft. Es ist spannend erzählt, aber wozu? Mit dem Thema hat es nichts mehr zu tun. Denn das eigentliche Thema sind die wirtschaftlichen Verhältnisse Ende der Weimarer Republik und Beginn der NS-Zeit. Man erfährt einiges über die Arbeitslosigkeit, die Not der Menschen, wenn sie die Miete nicht mehr bezahlen können, oder Ehen auseinanderbrechen, weil der männliche Versorger arbeitslos wird. Über die politischen Verhältnisse erfährt man so gut wie nichts. Anfang der 30er Jahre fanden schon die Saalschlachten der NSDAP statt, aber im Roman nichts davon. So sagt Albert nur: »Ich geh nach der Partei.« (S. 73). Auch aus dem Zusammenhang kann man nicht erschließen, welche Partei gemeint ist. Ist es die NSDAP oder die SPD? Das ist schlechtes Lektorat! Ebenso an dieser Stelle: »Joachim antwortet in jenem knappen, fast militärischem Tone, in dem die politische Jugend zu ihrem Fahrer spricht.« (S. 169). Ein eklatanter Fehler, denn hier ist nicht der »Fahrer« gemeint, sondern der »Führer«! Auch im sprachlichen Bereich gibt es Formulierungen, die einfach falsch sind. Bei einer Verfolgung »verliert er Joachim aus der Nase.« (S. 185). Oder: »Frau Kirstein lässt sich nicht gern ein Geschäft aus der Nase gehen.« (S. 113). Das ist noch nicht mal berlinerisch, wenn ich wohlwollend bin! Auch Versuche, sprachlich möglichst intellektuell zu wirken, gehen daneben, weil es geschraubt wirkt. »Für den Bruchteil einer Sekunde steht eine eisige, nahezu grausame Drohung in der saugenden Schwärze ihrer groß geschnittenen herrlichen Augen.« (S. 12).

Eine junge Frau, die sehr positiv auffällt, aber nur eine ganz kleine Nebenrolle spielt, ist die Studentin, die in wenigen Sätzen die Lage der weiblichen Angestellten auf den Punkt bringt: »Es ist Raubbau in meinen Augen, wenn ein Arbeitgeber das Leben seiner Angestellten buchstäblich auffrisst, wenn er sie von morgens früh bis abends spät hinter den Schreibtisch klemmt, wenn er ihnen die Möglichkeit nimmt, neben dem beruflichen Leben auch noch ein, wenn auch nur kleines, Privatleben zu führen.« (S. 176).
In diesem Zusammenhang ist auch das Nachwort interessant. Hier wird betont, der Roman »hebt sich deutlich von anderen zeitgenössischen Romanen über berufstätige Frauen ab.« (S. 247). Dem würde ich so nicht zustimmen. Die Romane von Irmgard Keun sind deutlich politischer und beschreiben intensiver die Lage der weiblichen Angestellten in der Weimarer Republik. Hier und hier. Auch Vicki Baum, der man es vielleicht nicht zugetraut hat, schreibt über die Emanzipation der Studentinnen in den 20er Jahren. Hier. Der Roman »Das Mädchen an der Orga Privat« befasst sich ebenfalls mit den weiblichen Angestellten und deutlich fortschrittlicher als Christa Anita Brück. Hier.
Im Vergleich zu diesen Romanen, wirkt der Roman von Christa Anita Brück eher etwas oberflächlich, vor allem, weil nur das erste Drittel des Romans dem Thema der weiblichen Angestellten zugeordnet werden kann.
Es ist sicher lobenswert gerade Literatur von Frauen wieder zu entdecken und neu aufzulegen, damit sie nicht in Vergessenheit geraten, wichtig wäre jedoch eine sorgfältige Auswahl und ein gutes Lektorat!
Am 10. Mai 1933 verbrannten die Nazis zunächst Bücher, dann folgte die Verfolgung jüdischer, marxistischer, pazifistischer und anderer oppositioneller Schriftsteller. Auch die Bücher von Christa Anita Brück wurden verbrannt. Aber dennoch wurde ihr Roman »Das Mädchen mit Prokura« 1934 verfilmt. Ich habe mich gefragt, wie das sein kann. Ganz einfach Christa Anita Brück hat die Seiten gewechselt – hin zur NSDAP.
Weniger lesenswert!
Margret Hövermann-Mittelhaus
2023 rezensiert, Christa Anita Brück, Frauenbewegung, Rowohlt Taschenbuch, weibliche Angestellte, Weimarer Republik