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Vicki Baum
» stud. chem. Helene Willfüer

Autorin:Vicki Baum
Titel:stud. chem. Helene Wull­füer (1928)
Aus­gabe:Ull­stein Ver­lag Ber­lin 1928
Erstan­den:anti­qua­risch

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Der Roman ›stud. chem. Helene Will­füer‹ 1929 vom Ull­stein Ver­lag ver­öf­fent­licht, erreichte inner­halb von zwei Jah­ren sechs­stel­lige Ver­kaufs­zah­len, also ein gro­ßer Publi­kums­er­folg. Von Kri­ti­kern wird Vicki Baum gelobt auf­grund ihrer prä­zi­sen Milieu­schil­de­run­gen und der Aktua­li­tät ihrer The­men, ihre Werke wur­den von Lite­ra­tur­kri­ti­kern aber auch als kit­schig und tri­vial ein­ge­stuft. Grund­sätz­lich wer­den ihre Werke in die ›Neue Sach­lich­keit‹ ein­ge­ord­net und als span­nende Unter­hal­tungs­li­te­ra­tur gese­hen. Bei die­sem Roman geht es jedoch nicht nur um span­nende Unter­hal­tung, denn es geht um eine junge Stu­den­tin, die eine wis­sen­schaft­li­che Kar­riere, für Frauen in den 20er Jah­ren sicher nicht ein­fach, ein­schla­gen möchte. Man kann es schon erah­nen, es geht auch um die Ver­ein­bar­keit von Kar­riere und Mut­ter­schaft. Helene kommt aus sehr ein­fa­chen Ver­hält­nis­sen, ihre Eltern sind früh gestor­ben und sie muss sehen, wie sie ihr Stu­dium finan­zie­ren kann. Sie ist sehr erfolg­reich, will das Stu­dium mit dem Dok­tor­grad abschlie­ßen und wird als unver­hei­ra­tete Frau schwan­ger. Der sehr labile Kin­des­va­ter begeht Selbst­mord, so dass Helene ihr Kind alleine groß­zie­hen und gleich­zei­tig ihr Stu­dium finan­zie­ren muss, um es abschlie­ßen zu kön­nen. Am Ende des Romans ist sie eine sehr erfolg­rei­che Wis­sen­schaft­le­rin, Lei­te­rin eines Che­mie­be­triebs und bald die Ehe­frau eines bekann­ten Wissenschaftlers.

Also: Ende gut – alles gut! Hol­ly­wood Kitsch! So ein­fach ist die Sache nicht!

Vicki Baum hat in ihrem Roman das Thema der ledi­gen Mut­ter­schaft ange­spro­chen und damit den Zeit­geist der Wei­ma­rer Repu­blik gegen sich auf­ge­bracht. Das Urteil lau­tete: ›scham­lose, schwei­ni­sche Sen­sa­ti­ons­ma­che‹ und ›schlim­mer als Por­no­gra­phie‹. Quelle

Nun könnte man ver­mu­ten, dass Vicki Baum eine frau­en­be­wegte Frau war, wenn sie über das Thema der unehe­li­chen Schwan­ger­schaft geschrie­ben hat. Dem würde ich jedoch nicht zustim­men, sie setzte sich eher für weib­li­che Frei­heits­be­stre­bun­gen ein und für den Typus der ›Neuen Frau‹, der moder­nen Frau. Die­ses Bild der ›Neuen Frau‹ war in ers­ter Linie nur ein Eli­te­trend. Denn man musste sich diese neuen Frei­hei­ten leis­ten kön­nen, man brauchte also Geld und das hatte nur eine kleine avant­gar­dis­ti­sche Gruppe von Frauen zur Ver­fü­gung. Aber den­noch muss betont wer­den, dass eine große Gruppe jun­ger Frauen die poli­ti­schen und sozia­len Rechte, die die Wei­ma­rer Repu­blik den Frauen ermög­lichte, nut­zen konnte. Sie gin­gen einer selb­stän­di­gen Tätig­keit nach und spreng­ten damit die tra­di­tio­nel­len Geschlech­ter­rol­len. Bestimmte Berei­che gal­ten aber wei­ter­hin als tabu: Ver­hü­tungs­me­tho­den, Sexu­al­auf­klä­rung und unehe­li­che Schwangerschaft.

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Zuerst Har­fe­nis­tin, dann Best­sel­ler-Autorin: Vicky Baum © imago images / Cola Images | Quelle

Und damit bin ich wie­der bei dem Roman. Helene gehört sicher nicht zum Typus der ›Neuen Frau‹ wurde aber von die­sem Bild ange­steckt und will die neuen Frei­hei­ten in ihrem Leben voll aus­le­ben, aber eine apo­li­ti­sche Hal­tung ist für sie cha­rak­te­ris­tisch. Den­noch möchte ich an die­ser Stelle noch­mal beto­nen, dass es hier nicht um reine Unter­hal­tungs­li­te­ra­tur aus den 20er Jah­ren geht. Eine Intel­lek­tu­elle, wie Helene, war auch in der Wei­ma­rer Zeit immer noch eine Sel­ten­heit, aber ihre Frei­heits­ge­dan­ken for­mu­liert sie ein­deu­tig. »Ich bin ein freier Mensch, ja, … das bin ich – und brau­che nie­man­dem Rechen­schaft zu geben, als mir selbst.« (S. 55). Nach­dem sie ihr Stu­dium abge­schlos­sen und wis­sen­schaft­lich Erfolg hat, wird ihr eine Stelle ange­bo­ten. Hier die Ver­hand­lun­gen über den Arbeits­ver­trag: »… ich bin drei­ßig Jahre alt. Ich habe bis­her gelebt – schlim­mer als ein Hund. Ich habe keine Zeit gehabt zu leben. Ich habe gehun­gert, gewacht, gefro­ren, ich habe mich durch jede Sorte von Not und Ent­beh­rung durch­ge­fres­sen. Jetzt möchte ich für die Leis­tung auch den Lohn. Ich möchte men­schen­wür­dig leben kön­nen, …Ich ver­lange die abso­lute Lei­tung der Abtei­lung … Dafür ein Monats­lohn von tau­send Mark. Dazu eine Betei­li­gung am Rein­ge­winn …« (S. 170).

Cha­peau! Sie setzt sich durch, so wie sie sich immer durch­ge­setzt hat, mit sehr viel Selbst­be­wusst­sein – für eine Frau aus den 20er Jah­ren erstaun­lich! In die­sem Punkt könnte sie auch ein Vor­bild sein für junge Frauen heute, die sich ihrem Arbeit­ge­ber gegen­über durch­set­zen wollen.

Eine nicht ganz ver­ges­sene Autorin der Wei­ma­rer Republik!

Unterschrift
Mar­gret Hövermann-Mittelhaus

Buch­ver­gleich
Irm­gard Keun – Das kunst­sei­dene Mädchen
Vicki Baum – stud. chem. Helene Willfüer
Rudolf Braune – Das Mäd­chen an der Orga Privat

2023 rezensiert, Neue Frau, Neue Sachlichkeit, Ullstein Verlag, Vicki Baum, Weimarer Republik