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London-Waelder

Jack Lon­don
» In den Wäl­dern des Nordens

Autor;Jack Lon­don (USA, 1902-1910)
Titel;In den Wäl­dern des Nordens
Aus­gabe;Bücher­gilde Guten­berg, 1979
Über­set­zungErwin Magnus
Erstan­den;Fami­li­en­erbe
London-Waelder
Ein Band von 23 in der far­ben­fro­hen Aus­gabe der Büchergilde

Nord-Geschich­ten

Erst kürz­lich ist mir bewusst gewor­den, dass die gelieb­ten 14 Bände der Jack Lon­don Aus­gabe (ein Fami­lien-Erb­stück) der Bücher­gilde, gar nicht voll­stän­dig sind: Es wur­den ins­ge­samt sogar 24 Stück, incl. der Bio­gra­fie von Irving Stone. Da soll mir nun ein fach­kun­di­ger Dresd­ner Samm­ler und Anti­quar zum Rest ver­hel­fen. Auf das ich die auch äußer­lich bunte Reihe unsere Biblio­thek noch mehr ver­schö­nere und ich noch mehr Rezen­sio­nen die­ses Schrift­stel­lers erstel­len kann.

Dies­mal ist es ein Band mit Erzäh­lun­gen, meist aus den Wäl­dern des hohen Nor­dens des ame­ri­ka­ni­schen Kon­ti­nents, also gera­dezu »klas­si­sche« Sujets Lon­dons. Die in ins­ge­samt 16 Erzäh­lun­gen Nie­der­schlag fin­den, dabei weit mehr als Wald-Schnee-Gold­su­cher Roman­tik bie­tend. Von allen möchte ich einige herausgreifen:

In »Das Gesetz des Lebens« erzählt er den Auf­bruch eines India­ner­stamms zu einem neuen Lager­platz und drin­gend nöti­gen neuen Jagd­grün­den. Und dem Abschied vom Leben eines alten Häupt­lings, der allein­ge­las­sen mit einem Feuer und etwas Holz seine letz­ten Stun­den ver­bringt. Ein bei Natur­völ­kern übli­cher Umgang mit Alten. Bis die Wölfe kom­men, die nicht nur den Elch jagen. Der Alte reflek­tiert sein lan­ges Leben, sieht die Wölfe im Kampf mit dem Elch, im Kampf um Fleisch und sinnt: »War es nicht das Gesetz des Lebens?«

Nicht ganz so stark erzählt ist »Nam-Bok der Lüg­ner«. Nam-Bok, der Jahre bei den Wei­ßen ver­bracht hat, ver­sucht nach sei­ner Rück­kehr zum Stamm sei­nen Genos­sen von den Wun­dern der Zivi­li­sa­tion zu erzäh­len. Die aber glau­ben ihm nicht, weder die Größe der Schiffe der Wei­ßen, noch gar segel­lose Kähne, also Dampf­schiffe. Das sind Dinge aus dem »Schat­ten­reich«, dem bedroh­li­chen Reich der Toten. Und dort­hin sol­len sie mit­samt dem Erzäh­ler bitte zurück­keh­ren. Und so schi­cken sie Nam-Bok wie­der von dannen.

»Die Män­ner des Son­nen­lan­des« erzählt von einem lan­gen und grau­sa­men Kampf zwi­schen einem Eski­mo­volk und einem klei­nen Trupp Wei­ßer. Das ist nicht nur in sei­ner Bru­ta­li­tät erschre­ckend, zwi­schen den Zei­len riecht man förm­lich, wie Lon­don (wie­der ein­mal) von der Über­le­gen­heit der Wei­ßen über­zeugt ist. Der Kampf bricht aus wegen der Unver­träg­lich­keit bei­der Zivi­li­sa­tio­nen, wozu auch gehört (S. 80): »Sie bli­cken auf unsere Frauen und neh­men sie eine nach der ande­ren.« Es wird ein lan­ger blu­ti­ger Kampf inclu­sive eines Ver­suchs die Wei­ßen durch Bela­ge­rung aus­zu­hun­gern. Doch für die Inuit heißt es (S. 94). »Wer ist so schnell wie das schnell­be­schwingte Blei?« – ein unter­le­ge­ner Kampf gegen die bes­se­ren Waf­fen der Wei­ßen. Der Kampf endet schließ­lich durch Ver­rat in einem Höh­len­kom­plex, vie­len der Ein­ge­bo­re­nen wird – im Sinne des Wor­tes – der Hals umge­dreht. Sie müs­sen auf­ge­ben und enden als Lohn­skla­ven in den neuen Erz­berg­wer­ken der »Män­ner des Son­nen­lan­des« – nur eine Epi­sode in der Unter­wer­fung der Ein­ge­bo­re­nen, auf der sich die Zivi­li­sa­tion der USA gründet.

»Die Krank­heit des ein­sa­men Häupt­lings« berich­tet, wie ein Häupt­lings­sohn im Kampf von einer alten Ver­let­zung geheilt wird. Und selbst ein gro­ßer Häupt­ling wird. »Bis das Dampf­boot kam«, mit ihm die wei­ßen Män­ner und – die ganze india­ni­sche Zivi­li­sa­tion zer­stört wird.

London-und-Traven
Aus einem Pro­spekt der Bücher­gilde in den Acht­zi­gern, da waren es erst 21 Bände, heute sind’s 23 plus eine Biografie.

»Keesh, der Sohn des Keesh«, ver­tritt offen­bar die These, dass die Chris­tia­ni­sie­rung von Ein­ge­bo­re­nen am Yukon nur ober­fläch­lich war, wirk­lich? Aber super­span­nend erzählt. Das gilt auch für »Bas­tard«, ein Höl­len­ge­schöpf von einem Hund, mit dem »schwar­zen Leclerc« als Herrn. Die beide nahezu gleich­zei­tig zur Hölle fah­ren, grau­sam und gewalttätig.

»Jees Uck« ist eine ganz andere Geschichte. Die von zwei Ehen, die ein (wei­ßer) Mann gleich­zei­tig führt. Eine mit einer India­ner­mi­sch­lings­frau und eine mit einer Wei­ßen in San Fran­zisko. Die India­ne­rin, ver­blüfft über Abreise und Fern­blei­ben ihres Man­nes, reist ihm mit ihrem (und sei­nem) Sohn nach und es gelingt ihr, ihn zu fin­den. Das führt dazu, dass er beginnt, sie und ihre india­ni­sche Hei­mat­sied­lung zu spon­so­ren, selbst aber in Fri­sko zu blei­ben. Die India­ne­rin geht mit­samt dem gemein­sa­men Sohn zurück und beschließt, unver­hei­ra­tet wei­ter zu leben. Und die weiße Frau wun­dert sich. Eine sanfte Geschichte, die trotz des Zusam­men­sto­ßes zweier völ­lig unter­schied­li­cher Kul­tu­ren gut aus­geht – eine schöne Geschichte.

Völ­lig anders ist das »Ver­lo­rene Gesicht«. Ein Pole (19. Jahr­hun­dert), uner­bitt­lich im Kampf um die Unab­hän­gig­keit und das Wer­den sei­ner Nation. S. 243: »Und er sah die Schar … jun­ger Leute, die von einem selbst­stän­di­gen Polen mit einem König und War­schau als Haupt­stadt geträumt hat­ten.« Immer auf der Flucht, ver­schlägt es ihn, via Beh­ring­straße in den hohen Nor­den Ame­ri­kas., nein zu die­sem Zeit­punkt heißt es noch »Rus­sisch-Ame­rika«. Schließ­lich lan­det er unter wei­ßen Pelz­die­ben, die die Ein­ge­bo­re­nen für ihre Zwe­cke gna­den­los aus­beu­ten Jedoch, S. 248: »Nun ja, sie hat­ten das Blut gesät, und jetzt ern­te­ten sie Blut«, heißt es, als sie durch einen Auf­stand der India­ner in deren Gewalt gera­ten. Und ihnen nun der Mar­ter­pfahl und aus­ge­klü­gelte Fol­ter dro­hen. Fol­tern, die den stärks­ten Mann schwach machen, wie den hünen­haf­ten »Kosa­ken« im Buch. Mit der Geschichte einer frei erfun­de­nen Medi­zin gelingt es Subi­en­kow, dem Polen, den Häupt­ling statt der elen­den Fol­ter eine glatte Ent­haup­tung abzu­trot­zen. Der rein­ge­legte Häupt­ling aber ist vor allen sei­nes Stam­mes bla­miert wor­den und heißt fortan »Ver­lo­re­nes Gesicht«; raf­fi­niert erzählt.

Schließ­lich wäre die »Neben­son­nen­wan­der­dung« erwäh­nens­wert. Sitka Char­ley, ein domes­ti­zier­ter India­ner, unter­nimmt mit zwei Weis­sen zu Fuß eine über alle Erschöp­fungs­gren­zen gehende Reise. Quer durch die Wäl­der des Nor­dens – um einen ande­ren Mann zu jagen und zu töten. Eine beson­ders packende Vari­ante des The­mas »Ein­sa­mer Trip der Rache«. Wenn einer so etwas erzäh­len kann, dann ist das Jack Lon­don. Was auch für die übri­gen sie­ben der in den »Wäl­dern des Nor­dens« ver­sam­mel­ten Erzäh­lun­gen, die hier nicht expli­zit erwähnt wer­den, gilt.

jack-london-3Jack Londonhttp://www.playbuzz.com/davidt11/50-writing-tips-from-famous-writers

Lon­don bringt in die­sem Band seine klas­si­schen The­men, India­ner, Weiße, Gold­grä­ber und der rauhe Nor­den wie­der ein­mal zur Ent­fal­tung. Wobei er sowohl der Inu­i­t/In­dia­ner-Kul­tur als auch dem für die Ein­ge­bo­re­nen meist töd­li­chen Zusam­men­prall der unter­schied­li­chen Kul­tu­ren Raum gibt. Seine Beson­der­hei­ten bekommt diese Erzäh­lungs­samm­lung durch Geschich­ten wie »Jees Uck« und »Das ver­lo­rene Gesicht«. Beide haben ihren Reiz schon darin, dass sie aus dem klas­si­schen Sche­mata von Lon­dons Geschich­ten einer­seits her­aus­fal­len, ande­rer­seits sich geschickt damit ver­bin­den. Eine defi­ni­tiv loh­nende Aus­gabe von Erzäh­lun­gen des gro­ßen Erzäh­lers Jack London.

Unter­hal­tung mit Geist!


Nach­trag: Bei die­ser Gele­gen­heit ein Blick auf die vier Jack Lon­don Titel, die ich bis­her rezen­siert habe:

  • Im März 2019 gab’s die leicht kit­schige, doch schöne Saga vom Glück des Tüch­ti­gen, »Das Mond­tal«
  • Im glei­chen Monat – nicht nur – für Hun­de­lieb­ha­ber – kamen die Geschich­ten der Hunde Jerry bzw. Michael
  • Der Januar 2020 sah zwei große klas­si­sche Lon­don-Erzäh­lun­gen in dem Band ver­eint sind.
  • Zwei Monate spä­ter, im März 2020, kamen mit dem »Wahn­sinn des John Har­nack« eine Samm­lung der unter­schied­lichs­ten, aber stets gut erzäh­len Geschichten

Und ich ver­spre­che, es war nicht die letzte Rezen­sion über den gro­ßen Erzäh­ler Jack London.

2023 rezensiert, Abenteuer, Büchergilde Gutenberg, Jack London, Norden, USA