Maxie Wander
» Guten Morgen, du Schöne
Autorin: | Maxie Wander |
Titel: | Guten Morgen, du Schöne |
Ausgabe: | Buchverlag Der Morgen, Berlin 1977 |
Erstanden: | antiquarisch |
Maxie Wander, schon 1977 mit 44 Jahren an Krebs gestorben, wäre heute (2023) 90 Jahre alt geworden. Auch aus diesem Grund möchte ich einen Blick auf ihr Buch werfen, mit dem sie im Osten wie im Westen in den 70er Jahren bekannt geworden ist: ›Guten Morgen, du Schöne›, Dokumentationsprosa – weibliche Lebenszeugnisse. Nicht nur in Romanen oder Erzählungen, auch hier zeigt sich das neue weibliche Selbstbewusstsein, das sich in den siebziger Jahren in der DDR entwickelt hat. In der Vorbemerkung betont Maxie Wander, dass die Frauen nach neuen Lebensweisen suchen, »im Privaten und in der Gesellschaft. Nicht gegen die Männer können wir uns emanzipieren, sondern nur in der Auseinandersetzung mit ihnen. Geht es uns doch um die Loslösung von den alten Geschlechterrollen, um die menschliche Emanzipation überhaupt.« (S. 7).
Maxie Wander hat Frauen interviewt, Schriftstellerkolleginnen, eine junge Buchhändlerin, Nachbarinnen, die Ärztin in der Krebsklinik, Freundinnen. Sie hat ihnen Fragen gestellt zu Lebensvorstellungen, Ängsten, Sexualität, Enttäuschungen und hat zu allen diesen Themen Antworten erhalten, die auch heute noch aktuell sind. Sie hat darauf bestanden, dass alles Umgangssprachliche im Text erhalten bleibt, denn »der Duden interessiert mich nicht.« (Sabine Zurmühl, Das Leben, dieser Augenblick. Die Biografie der Maxie Wander, Berlin 2001, S. 276). Maxie Wander wollte Authentizität!
So beschreibt Rosi, Sekretärin, 32 Jahre ihren Mann, der »hat in seinem Kopf irgendein Männlichkeitsideal, meistens sind das enorm athletische Körper, mit Gesichtern wie Wildwesthelden. Für mich total reizlos – diese zupackenden, undifferenzierten Mannsbilder.« (S. 21). Im Gegensatz dazu Ute, Facharbeiterin, 24 Jahre. Sie stellt uns ihren Mann so vor: »Er will nicht dieser knallharte Typ sein, det stößt ihn ab, weil der unnatürlich und unehrlich ist, genau wie die Unterwürfigkeit der Frau.« (S. 94). Vorstellungen, wie die Gleichberechtigung konkret aussehen soll, formulieren nicht alle Frauen eindeutig. Erika, Dramaturgie Assistentin, 41 Jahre erklärt: »Aber ich weiß nicht, was das ist, eine emanzipierte Frau. Wir haben uns den ›Faust‹ angesehen und entdeckt, daß die Gretchen-Geschichte uns nicht mehr berührt. Vielleicht ist das Emanzipation, daß Dinge, die früher zu Katastrophen geführt haben, heute kein Problem mehr sind.« (S. 170).
Die Interviews bestätigen Maxie Wander, dass die Emanzipation in der DDR vorangeschritten ist, Konflikte jedoch immer noch auftauchen. Patriarchalische Machtstrukturen werden abgelehnt aber auch gegenüber der herrschenden Ideologie gibt es Ressentiments. Christa Wolf betont in ihrem Vorwort, die Frauen würden nach einer neuen und spezifisch weiblichen Lebens- und Gesellschaftsordnung suchen. So wichtig die Gleichberechtigung und die institutionellen Maßnahmen auch seien – sie würden der DDR-Frau also nicht genügen. (vgl. S.14). Die Frauen sprechen also über Träume und Visionen, »in ihren Texten spiegelt sich die Zeitgeschichte, werden menschheitsgeschichtliche Themen verhandelt.« Quelle Die Frauen würden angesichts untergehender Gesellschaftsutopien auf ›Privat›-Utopien setzen, so die Schriftstellerin Irmtraud Morgner, die weiterhin betont: »Maxie Wander hat uns mit ihrer Sammlung protokollarischer Lebensbeschreibungen von Frauen erstaunliche Nachrichten von der Menschwerdung geschenkt. In keinem Roman der letzten Zeit fand ich solche Reichtümer.« Quelle Auch der Schriftsteller Thomas Brasch betont, dass ganze Passagen in Maxie Wanders Interview-Buch zur wichtigsten Literatur gehören, die er in den letzten Jahren gelesen habe und kommt zu dem Schluss: »Maxie Wander hat die Arbeit unternommen, auch scheinbar unwichtige Details zu notieren. Dabei hat sie ein Buch von gewaltigem Materialwert (im besten Sinn) hergestellt, ein Buch ohne Koketterie mit den angeblich ›kleinen Leuten‹«. Quelle
In ihrem Buch hat Maxie Wander nicht nur viel preisgegeben von den Frauen, die sie interviewt hat, sondern auch vieles von sich selbst. Immer zwischen den Zeilen mit der Aufforderung, etwas zu verändern, um dem Ziel der Gleichberechtigung näher zu kommen. So erscheint der Titel ›Guten Morgen, du Schöne‹ »vielen Frauen als Frauengruß, als eine zärtliche Formel des Einverständnisses unter Freundinnen. Eine Aufmunterung in schweren Zeiten, für künftig bessere Zeiten.« (Sabine Zurmühl, Das Leben, dieser Augenblick. Die Biografie der Maxie Wander, Berlin 2001, S. 284). Zum Abschluss Christa Wolf:
»Wie können wir Frauen ›befreit‹ sein, solange nicht alle Menschen es sind?« (S. 19)
Auch heute noch sehr lesenswert!
Margret Hövermann-Mittelhaus
2023 rezensiert, Buchverlag Der Morgen, DDR, Frauenbewegung, Gleichberechtigung, Irmtraud Morgner, Lila Villa Chemnitz, Maxie Wander, Protokolle