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Val-MacDermid-Cover

Val McDer­mid
» 1979

Autor:Val McDer­mid (Schott­land, 2021)
Titel:1979
Aus­gabe:Atlan­tic Monthly Press New York, 2021, eng­li­sche Originalfassung
Erstan­den:Buch­hand­lung Thaer, Ber­lin-Frie­denau, auf Tipp des »Frei­tag«

Val-MacDermid-Cover

Kri­mis gehö­ren gele­gent­lich zu mei­ner Lek­türe, vor allem wenn sie lite­ra­ri­sches und gesell­schaft­li­ches Gehalt haben. Die schwe­di­sche Sjö­wal­l/­Wahlöö-Reihe der Sieb­zi­ger (Kom­mis­sar Mar­tin Beck) mit ihrer bei­ßen­den Kri­tik an der schwe­di­schen Gesell­schaft gehört dazu. Oder die »Kom­mis­sar Wal­lan­der-Reihe« des ver­stor­be­nen Hen­ning Man­kell, mit ihren Ein­bli­cken in das Leben im süd­schwe­di­schen Scho­nen, ringsum Ystad. Eher abge­sto­ßen bin ich von dem rie­si­gen Ange­bot bru­ta­ler »Schwe­den Kri­mis«, zu denen ich Man­kells Werke aus­drück­lich nicht zähle.

An den Kri­mis des Schot­ten Ian Ran­kin um den Saab fah­ren­den CID Inspek­tor Rebus schätze ich den bein­har­ten schot­ti­schen Humor (noch tro­cke­ner als der eng­li­sche und mit Sar­kas­mus gewürzt) plus die Reflek­tion des Lebens in Edin­burgh und Glasgow.

Da lag es nahe, mich ein­mal um die Werke Val McDer­mids zu küm­mern, hier die Reihe um die junge auf­stre­bende Jour­na­lis­tin Ali­son »Allie« Burns. Die im rau­hen Glas­gow spielt, ganz im Gegen­satz zum »edu­ca­ted« Edin­burg, S. 374: »His accent spoke of Edin­burgh pri­vi­lege.« was auch Ian Ran­kin stets betont.

Wobei die McDer­mid – erstaun­li­cher­weise und anders als Ran­kin – sich bei der Nut­zung des schot­ti­schen Eng­lisch mehr auf Begriffe und Idiome, denn kom­plette Sätze kon­zen­triert. Den­noch ist für beide Autoren emp­feh­lens­wert, die eng­lisch­spra­chi­gen Ori­gi­nale zu lesen. Viele Fein­hei­ten des Aus­drucks gehen sonst ver­lo­ren. Und ein Tipp: Lesen Sie unver­ständ­li­ches schot­ti­sches Eng­lisch ein­fach laut vor! Man ver­steht wirk­lich viel mehr und einfacher.

Der erste Band der Allie Burns Reihe ist ein hüb­scher Rück­griff auf Jour­na­lis­mus in der vor­di­gi­ta­len Zeit des Jah­res »1979«. McDer­mid war selbst einst als Zei­tungs­ma­che­rin aktiv. Da wur­den in der Zei­tung Arti­kel noch mit 5 Durch­schlä­gen in die Schreib­ma­schine gehäm­mert oder am Tele­fon vom Repor­ter im Außen­ein­satz in die Redak­tion dik­tiert. Für Repor­ta­gen wur­den Redak­teure mit einem Fah­rer und einem Foto­gra­fen los geschickt, für Fotos muss man auf die Abzüge aus dem Labor war­ten. 1979 war aller­dings auch das Jahr, in dem Mag­gie That­cher Pre­mier­mi­nis­te­rin wurde, in einer Zeit des wach­sen­den aber kaum reprä­sen­tier­ten schot­ti­schen Natio­na­lis­mus. Die SNP erhielt im Jahr von That­chers Amts­an­tritt gerade mal 2 Par­la­ments­sitze. Was die Autorin alles in den Roman ein­zu­bauen ver­sucht, es gelingt nur teilweise.

Erzählt wird von nur zwei bri­san­ten Recher­chen der Repor­te­rin Allie Burns mit ihrem Kol­le­gen Danny. Ein gro­ber Fall von Steu­er­hin­ter­zie­hung betuch­ter Mit­bür­ger, in die aber ein Fami­li­en­mit­glied eines Repor­ters exis­ten­ti­ell ver­wi­ckelt ist. Noch mehr per­sön­li­che Betrof­fen­heit ist im zwei­ten Fall, dem ver­hin­der­ten Spreng­stoff Atten­tat einer klei­nen Gruppe natio­na­lis­tisch gesinn­ter Glas­we­gi­ans gege­ben. Und der strenge schot­ti­sche Katho­li­zis­mus spielt seine Rolle. Weil Dan­nys Mut­ter ihn an sei­nem Arti­kel hin­dern will, der sei­nem Bru­der scha­den könnte, S. 167: »Catho­lic guilt would always trump love«.

Beide selbst recher­chierte Sto­ries sol­len den jun­gen Jour­na­lis­ten einen Durch­bruch aus der Pro­vinz zu pro­mi­nen­te­ren Blät­tern brin­gen. Wobei der Leser lernt: Im Blatt sind die einen für die Recher­che talen­tiert, die ande­ren fürs Schrei­ben. Durch­aus offen, ob die kleine Zei­tung »Cla­rion« sich über­haupt traut, die Arti­kel zu ver­öf­fent­li­chen. Da spielt der Haus­ju­rist, genannt »The razor« wegen sei­ner mes­ser­schar­fen Art« das Züng­lein an der Waage. So dass bei­den Zei­tungs­men­schen die Muffe geht, ob ihre kar­rie­re­för­dernd gedach­ten Sto­ries über­haupt publi­ziert werden.

Und hier geht es auch um die schwie­rige Situa­tion Homo­se­xu­el­ler in der Gesell­schaft Schott­lands. 1979 war in Schott­land Homo­se­xua­li­tät noch kom­plett ver­bo­ten, im Gegen­satz zu Eng­land, eine beson­ders schwie­rige Gemenge­lage für schwule Natio­na­lis­ten. Dass die Autorin dies zu einem wich­ti­gen Erzähl­strang macht liegt auch daran, dass sie eine beken­nende que­ere Femi­nis­tin ist. Die beklem­mende Situa­tion, in der Homo­se­xu­elle sei­ner­zeit leb­ten, jeder­zeit Auf­de­ckung, Aus­gren­zung, Ver­ach­tung und Ver­fol­gung befürch­ten zu müs­sen, ist haut­nah in den Roman inte­griert. Ebenso wie die selbst erlebte Situa­tion sich als junge Repor­te­rin und als Frau in einem von Män­nern domi­nier­ten Beruf durchzusetzen.

Unter­hal­tend zu sehen, was die Zei­tungs­leute so zusam­men­schrei­ben: Sen­sa­tion, Effekte, human touch – und alles mei­len­weit von dere Rea­li­tät ent­fernt. Und die lange gehal­tene Span­nung ob das etwas wird zwi­schen Allie und ihrem Kol­le­gen Danny. Span­nend bis zum »Coming out« von einem der bei­den. Bis dahin erhält Allie ein etwas zwei­fel­haf­tes Kom­pli­ment, S. 306: »…her old boss once said, you do so well, because you’re the oppo­site of gla­mou­rism. Women don’t see you as a thread and men treat you like a sis­ter«. Zwei­fel­haft, aber ihre Posi­tion in der Redak­tion treffend.

Eine ganz andere Span­nung kommt auf, als sich eine Pubgruppe von Anhän­gern der schot­ti­schen Unab­hän­gig­keit den Plan des gro­ßen Knalls ent­wi­ckelt und mit der IRA in Kon­takt tritt, um Spren­stoff zu bekom­men. Da fängt es an vor Span­nung und Kon­spi­ra­tion zu knistern.

Und gegen Ende des Kri­mis sind mehr als aus­rei­chend Ver­däch­tige für den (wohl­tu­end) ein­zi­gen Mord vor­han­den: Der Bru­der des Repor­ters, die Spreng­stoff­lie­fe­ran­ten von der IRA, der homo­se­xu­elle Call­boy, der eben­falls schwule Spe­cial Branch Mann oder die Ama­teur-Bom­ben­le­ger der Schot­ti­schen Nationalisten?

1979 konnte sich kein Queer ein öffent­li­ches Comin­gout leis­ten, das war min­des­tens exis­tenz­be­dro­hend und auch der gesell­schaft­li­che Ruin. Der Roman erzählt damit auch die Geschichte, wie lebte es sich als quee­rer Jour­na­list im Schott­land des Jah­res 1979, mit dem Ver­bot der Homosexualität?

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Val McDer­mid | Bild­quelle | Foto: KT Bruce

Die Auf­lö­sung des (ein­zi­gen) Mords kommt etwas abrupt, ver­packt in fik­tive Zei­tungs­ar­ti­kel. Dazu der Hin­weis auf M. That­cher als neue bri­ti­sche Pre­mier­mi­nis­te­rin zu pla­ka­tiv, passt aber zu der eng in das gesell­schaft­li­che Schott­land der spä­ten Sieb­zi­ger inte­grier­ten Geschichte.

Es ist – von mir hoch­ge­schätzt – wie­der mehr als ein span­nen­der Krimi mit schot­ti­schem Lokal­ko­lo­rit. Es ist auch die Geschichte des Wer­dens der jun­gen Reportin Allie zu einer gewief­ten Jour­na­lis­tin. Mit­ten in einer Män­ner­ge­sell­schaft, in der die mög­li­cher­weise que­ere und bunte Kol­le­gin Rona Dun­syre beträcht­lich hilft. Auch in punkto pas­sen­dem Out­fit, Unpas­sen­des würde einer Frau nicht verziehen.

Gefal­len hat mir die Fähig­keit der Autorin, Figu­ren des Romans mit 2-3 Sät­zen unter­scheid­bar zu zeich­nen, z.B. die Poli­zis­ten, die zur Auf­klä­rung in die Woh­nung des Mord­op­fers kom­men. Und ihr reich­lich vor­han­de­ner extrem tro­cke­ner schot­ti­scher Humor plus lan­des­ty­pi­schem Sar­kas­mus und Under­state­ment. S. 343: »Not a bad job he said. In the reluc­tant lexi­con of Scot­tish praise, that amoun­ted to laurels«.

Mehr als ein unter­halt­sa­mer Krimi aus Schottland


Nach­trag: Die deutsch­spra­chige Wiki ver­zeich­net wel­che Bücher von Val McDer­mid ins Deut­sche über­setzt wur­den. Der hier rezen­sierte Band »1979« gehört ebenso dazu wie der Nach­fol­ger »1989«.

Auf Val Mc Der­mids Web­seite lernt man viel über die heute nahe Edin­burgh lebende Autorin, auch ihre Pro­fes­so­ren­schaft, Band­mit­glied­schaft und das Spon­so­ring eines loka­len Fußballclubs.

2024 rezensiert, Atlantic Monthly Press New York, Glasgow, Homosexualität, Reporter, Schottland, Siebziger, Thatcher, Val McDermid